Fördert der Terror Endzeitgruppen?
Der Sektenexperte Hugo Stamm hat es wieder als erster gemerkt: «Die Zeugen Jehovas befinden sich in einem regelrechten Apokalypse-Fieber.» Sobald sich die Weltlage verschlechtere, nutzten sie die Gunst der Stunde, um ihre Endzeit-Theorien verstärkt zu propagieren. Aber auch andere Gruppen profitierten von Endzeitstimmung. Was ist da dran?
«Tatsächlich beobachten wir, dass Gemeinschaften, die mit dem baldigen Beginn endzeitlicher Ereignisse rechnen, in ihrer Naherwartung durch negative Meldungen in den Medien bestärkt werden und diese in ihrer missionarischen Bemühung auch gerne aufgreifen», meint dazu der Sektenexperte Georg Otto Schmid. Neu sei dieses Phänomen aber nicht, gerade das Beispiel der Zeugen Jehovas zeige ja, «dass eine Gemeinschaft über einen Zeitraum von weit über 100 Jahren hinaus aus Zeitgeschichtlichem das unmittelbare Bevorstehen der Endzeit ablesen kann, ohne sich durch vergangene verfrühte Erwartungen beirren zu lassen.»
Finanzkrise bei den Zeugen?
Der Verkauf ihrer teuren Grundstücke in Brooklyn und der Neubau einer neuen Zentrale im weit billigeren Newark lässt laut Schmid darauf schliessen, dass sich die Zeugen Jehovas zurzeit in einer finanziellen Krise befinden. Die zahlenmässige Entwicklung in westlichen Ländern verlaufe horizontal oder gar negativ, der Anteil junger Menschen, welche durch die Taufe selbst Mitglied der Zeugen Jehovas werden wollen, sinke. «Angesichts dieser Situation hat die Leitende Körperschaft in den letzten Jahren die Zügel angezogen. So werden junge Leute zu einer frühen Taufe motiviert, und die Weltendsbotschaft erhält im Schrifttum ein höheres Gewicht als auch schon», beobachtet Schmid.
Von der Haustüre auf die Strasse
Allerdings sei eine Intensivierung der Missionstätigkeit der Zeugen Jehovas in jedem Frühsommer zu beobachten, da die Zeugen jährlich im Vorfeld der Bezirkskongresse zu verstärktem Predigtdienst aufgefordert würden. Der sogenannte «stille Predigtdienst» auf der Strasse werde zunehmend mit fahrbaren Literaturständen ausgeführt, welche auffälliger wirken als die traditionelle Vorgehensweise mit in der Hand gehaltenen Schriften. Schmid: «Gerade jüngere Menschen scheinen sich in dieser neuen Form des 'stillen Predigtdiensts' zu engagieren, weshalb vorstellbar wäre, dass sich die missionarische Bemühung der Zeugen bis zu einem gewissen Grad von der Haustür auf die Strasse verlagert.
Persönliche Krise als Auslöser
«Beitritte von Menschen zu radikalen Gemeinschaften erfolgen immer aus einer persönlichen Krise heraus, durch negative Meldungen in den Medien verstärkt werden kann», so Schmid. «Dass aber eine psychisch stabile, wohlintegrierte und gut situierte Person durch Terrorangst derart aus der Bahn geworfen worden wäre, dass sie sich allein aufgrund der entsprechenden Medienmeldungen einer radikalen Gemeinschaft angeschlossen hätte, davon hätten wir keine Kenntnis.»
Die Wirkung negativer Meldungen
Interessant ist die folgende Beobachtung des Religionswissenschafters: «Dass der Missionserfolg von Weltendsgemeinschaften in Zeiten gehäufter negativer Meldungen in den Medien signifikant grösser wäre, ist meines Wissens nicht wissenschaftlich erhärtet. Krisen- und Kriegszeiten haben in der Vergangenheit eher zu einer Stabilisierung der religiösen Landschaft geführt als zu massiven Verschiebungen. In unsicheren Zeiten neigen Menschen dazu, sich auf ihre weltanschaulichen Wurzeln zu beziehen. Religiöse Experimente sind weniger gefragt.»
Umgekehrt gebe es einen Zusammenhang zwischen der Angst vor gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Marginalisierung und dem Zuspruch zu apokalyptischen Bewegungen. Schmid: «Wer seine Welt untergehen sieht, empfindet die Verkündigung von der Nähe des Endes nicht als Drohung, sondern als Frohbotschaft.»
Zum Thema:
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Von Noah lernen: Wie Christen in Zeiten des Terrorismus leben sollten
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Datum: 19.08.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet