Die unermüdliche Jagd nach Wahrheit
Johanna, Sie haben sich
in Oxford intensiv mit der Apologetik auseinandergesetzt. Nun leiten Sie das
Ressort Apologetik bei der VBG. Was ist denn Apologetik genau?
Johanna Mahler-Gündel: Man kann sehr vieles unter Apologetik verstehen. Ich sehe
die Apologetik als ein Antwortengeben auf Fragen, die an mich als Christin
hingetragen werden. Entweder Fragen, die ich mir selbst stelle oder die mir das
Leben stellt. Oder auch Fragen, die mir andere Leute stellen, insbesondere
jene, die meinen Glauben nicht teilen. Ich beziehe mich dabei auf den 1. Petrus-Brief, Kapitel 3, Vers 15: «Und seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch
auffordert, Auskunft über die Hoffnung zu geben, die euch erfüllt.» In der klassischen Apologetik geht es oft nur darum, den
Glauben zu verteidigen, gute Antworten auf intellektuelle Fragen zu geben und
das Gegenüber in die Ecke oder in den Himmel zu argumentieren. Für mich geht es
aber um mehr als das: Die Apologetik soll schliesslich dazu dienen, Einwände
und Hürden abzubauen, die jemanden daran hindern, Gott näher zu kommen. Es soll
darum gehen, der Person da zu begegnen, wo sie ihre grossen persönlichen Fragen
hat, und sie darin zu unterstützen, Antworten zu finden.
Und Sie haben zum Ziel,
diese Herangehensweise an den christlichen Glauben in der Schweiz voranzutreiben.
Genau, ich will Plattformen schaffen, um die schwierigen
Fragen an den christlichen Glauben und existenzielle Lebensfragen zu
thematisieren und zu diskutieren auf der Suche nach tragfähigen Antworten aus
christlicher Perspektive.
Was bringt Sie zur
Apologetik?
Ich bin von Natur ein kritischer Mensch. Nachdem ich mit 14
Jahren Christin wurde, schloss ich mich einer Kirche an und begann, mich in
einem christlichen Umfeld zu bewegen. Da ich wenig Erfahrung und wenig Wissen zum
christlichen Glauben hatte, stellte ich viele zum Teil auch kritische Fragen.
Leider wurde ich immer wieder mit Floskeln und einfachen Sätzen ruhiggestellt.
In mir wurde es dabei nur unruhiger. «Aber warum?», «Ja, aber…», «das macht
doch keinen Sinn!», wandte ich wieder und wieder ein. Nicht selten bekam ich
die Antwort «Du musst das halt glauben, das steht so in der Bibel». Ich kam
schliesslich zur Ansicht, dass der christliche Glaube den Fragen wohl nicht
standhält, verliess die Kirche und fing an, mir immer mehr auch existentielle
Fragen über das Leben zu stellen. Hat das Leben einen Sinn? Wie begründe ich,
welche Werte mir wichtig sind? Erst als ich im Masterstudium die VBG-Gruppe an der Uni
Basel besuchte, merkte ich, dass es noch viele andere Menschen gibt, die sich
mit diesen Fragen beschäftigen und dass es aus christlicher Perspektive sehr
sinnvolle Antworten darauf gibt. Ich stürzte mich in die Apologetik und fand
Schritt für Schritt zurück zu Gott. Nun will ich mit meiner Arbeit
Möglichkeiten schaffen, wo Menschen, denen es so geht wie mir damals, in ihren
Zweifeln ernst genommen und Fragen diskutiert werden.
Das tun Sie zum Beispiel am MEHRGRUND-Tag am 18. Januar 2020,
wo Sie für die Jugendlichen ein Referat über Glauben und Zweifel halten werden.
Glauben und Zweifel, ist das nicht ein Widerspruch?
Ich finde nicht. Als Christinnen kommen wir nicht drum
herum, irgendwann in unserem Leben mit Zweifeln konfrontiert zu sein. Wenn ich
in den Evangelien lese, finde ich krass, wie oft auch die Leute, die Tag und
Nacht um Jesus waren, zweifelten. Trotzdem braucht er sie und sendet sie aus.
Für Gott ist es keine Voraussetzung, dass man alles 100 Prozent versteht und von jedem
Detail, welches uns in christlichen Kreisen präsentiert wird, vollumfänglich
überzeugt ist. Viel mehr will Gott authentische Nachfolger. Für mich können
Zweifel sogar sehr positive Auswirkungen haben. Wir sollten uns erlauben,
gewisse Glaubenssätze, die man einfach immer hört, in Frage zu stellen und
versuchen zu begründen. Bei mir hat dies dazu geführt, dass ich jetzt auf einem
festen Fundament stehe, dem ich vertrauen kann, weil ich es selbst geprüft
habe. Natürlich können Zweifel auch negative Züge annehmen. Zum
Beispiel, wenn man das Zweifeln zur Grundhaltung macht, statt der Antworten nur
noch die Fragen sucht. Wir sollen schliesslich nicht den Zweifeln nachjagen,
sondern der Wahrheit.
Was meinen Sie, wie
zweifelt man denn «richtig»?
Es ist Realität, dass Leute alles
Mögliche hinterfragen. Man kann da auf jeden Fall nicht sagen: «Das darfst du
anzweifeln und das nicht.» Wichtig ist also vor allem, dass keine dieser Fragen
unterdrückt wird, sondern dass Leute ermutigt werden, sich damit zu beschäftigen.
Schlussendlich glaube ich, dass bei Auseinandersetzungen mit Glaubensfragen
Gott und meine persönliche Beziehung zu ihm im Zentrum stehen sollten.
Für eine Beziehung
braucht es immer zwei. Was ist die Rolle von Gott in Ihrem Zweifeln?
In der Bibel sehe ich klar, dass er Fragen und Zweifel
aushält und mir sogar darin begegnet. Ich sehe aber auch, dass es viele Fragen
gibt, die wir nur andenken können. Wir werden nun mal zu Lebzeiten nie die
ganze Wahrheit in den Händen halten. Klar, bei einem unendlichen Gott und einem
endlichen Menschen. Genau deshalb hoffe und vertraue ich darauf, dass Gott uns
die Antworten und das Verständnis dann irgendwann schenkt, wenn wir vor ihm
stehen.
Diese Spannung, dass
man nie alles verstehen wird, und die Tatsache, dass Hinterfragen in der Kirche
nicht immer willkommen ist, ist einer der viel genannten Gründe, wieso vor
allem junge Leute aus der Kirche austreten. Was macht das mit Ihnen?
Ich habe sehr viel Verständnis und sogar Sympathie für diese
Menschen. Vor allem, weil es ja auch meine Geschichte ist. Wenn die Kirche
darin versagt, Leuten, die echte Fragen haben, zu zeigen, wie sie damit umgehen
können und wo es Antworten gibt – und ich bin überzeugt, die gibt es –, dann
fühlen sich diese Menschen nicht willkommen. Dann muss man sich nicht wundern,
wenn sie sich schliesslich von der Kirche und vielleicht auch vom Glauben
entfernen. Natürlich ist daran nicht einfach die Kirche schuld. Von Zweiflern
erwarte ich, dass sie auch aktiv auf die Suche gehen nach Antworten.
Was empfehlen Sie den
Lesenden, die mit Leuten zu tun haben, die Fragen und Zweifel haben? Wie kann
man darauf reagieren?
Es ist als Erstes wichtig, ein Klima zu schaffen, wo es ok
ist, Fragen zu stellen. Eine Kultur, wo man offen über Fragen spricht und
gemeinsam mit Zweifeln ringt. Natürlich muss man nicht selbst alle Antworten haben.
Manchmal ist es am besten, sich mit den Fragenden gemeinsam auf die Suche nach
Antworten zu begeben. Dabei ist es sicher von Nutzen, ein paar Ressourcen zu
kennen, wo man nachforschen kann. Wichtig ist auch, nicht nur Antworten zu
suchen, sondern auch tiefer zu gehen und zu fragen, ob vielleicht auch etwas
anderes hinter den Zweifeln steckt. Vielleicht ein negatives Erlebnis, das besprochen
werden sollte? Oder auch die Frage aufzunehmen, wie die Zweifel die Gottesbeziehung
beeinflussen. Wenn wir nur auf der inhaltlichen Ebene bleiben, verpassen wir
die Chance, Leute näher zu Jesus zu bringen.
Und was wollen Sie den
Zweiflern und Skeptikerinnen auf den Weg geben?
Dass du Zweifel hast und kritisch bist, macht dich weder als
Mensch noch als Christ zu einem Sonderling. Das ist ganz normal. Such dir
jemanden, mit dem du diesen Fragen nachgehen kannst. Du kannst sie als Chance
nutzen, um im Glauben zu wachsen und ein besseres Fundament zu bauen.
Sie haben gesagt, die
Fragen werden nie aufhören. Was ist denn gerade Ihre grösste Frage, Johanna?
Eine meiner grössten Fragen, die immer wieder aufkommt, ist
die Frage nach der Erlösung. Wie bringe ich das Konzept von Himmel und Hölle
mit einem gerechten und liebenden Gott zusammen?
Am MEHRGRUND-Tag am 18. Januar erzählt Johanna noch mehr zu diesem Thema. In Form von Referaten, Workshops und Podiumsgesprächen wird an diesem Tag Jugendlichen und ihren Fragen eine Stimme gegeben. MEHRGRUND ist eine Initiative der VBG, die Zweifel ernstnimmt und den christlichen Glauben begründet.
Mehr
Informationen zum MEHRGRUND-Tag und Anmeldung unter mehrgrund.ch
Zum Thema:
Erträgt der Glaube Zweifel?
Glauben: Sieben grosse Zweifel an Gott
Zum Start ins Herbstsemester: «Studenten und Gott» – Grosse Fragen im Livenet-Talk
Datum: 07.01.2020
Autor: Olivia Häberli
Quelle: VBG