Hilfe für ukrainische Flüchtlinge

Eine Armee hilft in der Krise

Im Hauptbahnhof Zürich werden Flüchtlinge aus der Ukraine freundlich empfangen. Die Heilsarmee und Freiwillige bieten Getränke, Verpflegung und Übersetzung an. Diese Zeichen der Anteilnahme werden sehr geschätzt.
Einige Helfer der Heilsarmee (Bild: Mirjam Fisch-Köhler)
Marcel Dübi und Markus Muntwiler (Bild: idea Schweiz)
Ukrainische Frauen

«Am 11. März wurden wir von den Behörden um Hilfe gebeten, am 12. März bereiteten wir 300 Sandwiches zu», erklärt Markus Muntwiler. Seine Frau Iris und er sind Offiziere der Heilsarmee und leiten seit vier Jahren das Corps Zürich-Zentral. Es waren Mitglieder des Ukraine-Schweiz-Vereins, welche für die ersten Flüchtlinge in Zürich da waren, erzählt der 60-Jährige sichtlich beeindruckt. «Sie übersetzen, begleiten die Menschen zum nächsten Zug oder zu den Schweizer Behörden, waren zum Teil bis zu 16 Stunden pro Tag im Einsatz.»

Als sich immer mehr Helfer und Reisende in der grossen Halle am Hauptbahnhof versammelten, schritt die Stadtpolizei ein und verlagerte den Empfang der Flüchtlinge in ein Zwischengeschoss beim Eingang Sihlpost. Sie markierte einen Empfangsbereich für Flüchtlinge und bat die Heilsarmee um Unterstützung bei der Verpflegung der Gäste.

Zusammenspiel der Hilfswerke

«Wir bieten im Hope House, unserem Gemeindelokal im Kreis 4, zweimal pro Woche Essen für bedürftige Menschen an», erzählt Muntwiler. Dieses Engagement ist den Behörden bekannt, genauso wie die übrigen sozialen Einsätze der Heilsarmee. Für den Theologen ist klar: «Eine Armee ist da für Krisensituationen.»

Als die Flüchtlingswelle begann, bekamen die Mitglieder der Heilsarmee – auch Salutisten genannt – eine Info-Mail. Mit diesem Einsatz wurde die Hierarchie plötzlich zweitrangig. Der Gemeindeleiter wird zum Offizier der Armee Gottes und übernimmt die Leitung dort, wo er am dringendsten gebraucht wird. Er setzt die Freiwilligen gezielt ein. Der dreifache Vater stellt trocken fest: «Das ist der Vorteil, wenn man so organisiert ist wie wir.» Die Heilsarmee reagierte rasch. Der Gottesdienst dauerte nur noch halb so lang. «Stattdessen haben dann alle miteinander Sandwiches zubereitet.»

Schnell ergab sich eine Zusammenarbeit mit dem Christuszentrum der Sozialwerke Pfarrer Sieber in Zürich. Heute werden die belegten Brote dort hergestellt, 300 bis 400 Stück pro Tag, im Wert von etwa 10'000 Franken pro Woche. «Früchte und Schokolade kaufen wir bei der Migros im Bahnhof, dort dürfen wir Übriggebliebenes über Nacht auch einlagern», führt der erfahrene Nothelfer weiter aus. Inzwischen hat er die Projektleitung an Marcel Dübi übergeben. Der 22-Jährige absolvierte seinen Zivildienst beim Chrischtehüsli, nun wurde er für den Einsatz im Zürcher Hauptbahnhof angestellt. Voraussichtliche Dauer: bis im Sommer, wenn nötig bis Ende Jahr.

Heilsarmee weltweit

Es gibt etwa zehn Heilsarmee-Gemeinden in der Ukraine, ihr Logo ist auch der Öffentlichkeit bekannt. Auf den Tischen liegen Info-Zettel in Russisch und Ukrainisch, damit die Gäste wissen, wer sie hier empfängt und verpflegt. Kaufen können sie unterwegs nichts, dafür fehlt ihnen die richtige Währung. Es sind vor allem Züge aus Budapest, Bratislava und Wien, mit denen jeweils bis zu 70 Personen ankommen. Hauptsächlich Frauen, etwa ein Viertel Kinder. «Eine Mutter stand mit Tränen in den Augen vor dem Angebot an Nahrungsmitteln, während ihre Kinder freudig Süssigkeiten auswählten», erinnert sich Marcel Dübi. «Die Kleinen wissen wohl nicht immer, warum sie unterwegs sind.»

Freiwillige kommen von überall her

Muntwiler ist beeindruckt, wie viele Menschen herkommen, um zu helfen. «Krisen überfordern alle, dann spielt es keine Rolle, welchen Hintergrund die Helfenden haben», sagt er. Die Freiwilligen der Heilsarmee sind während fünf Schichten von jeweils drei Stunden vor Ort. Sie haben sich über eine Plattform angemeldet, welche vom Corps Zürich-Zentral aufgeschaltet wurde. Manche Passanten bringen Gaben zum Verschenken, oft Schokolade oder Snacks. Eben hat eine Frau mittleren Alters ein ganzes Postiwägeli mit Hygieneartikeln ausgeräumt. In einer anderen Kiste liegen Beutel mit Hunde- und Katzenfutter für die mitgebrachten Haustiere. Eine Mutter mit einem Vogel im Transportkäfig und ihr Sohn nehmen freudig einen Becher Kaffee und Schokolade mit, bevor sie zum Ausgang streben. «Man muss die Flüchtlinge oft ermutigen, sich zu bedienen», sagt Marcel Dübi. Bei der Essensausgabe für Obdachlose werde manchmal gehamstert – «hier nicht!»

Notunterkunft in der Stadt

Wer in Zürich bleiben will, muss sich bei den Mitarbeitenden der Asylorganisation Zürich (AOZ) melden. Diese weisen ihnen eine Unterkunft zu, sei es in der Saalsporthalle oder in einem leerstehenden Teil des Altersheims Adlergarten in Winterthur. Von dort sind soeben vier Frauen zurückgekehrt. Sie bedanken sich beim Empfangsteam für den freundlichen Empfang vor drei Wochen. Noch warten sie auf den Status S, damit sie arbeiten können. Eine ist Lehrerin, eine Sales-Managerin, beide sprechen Englisch, die anderen beiden nur Ukrainisch. Aber alle vier sind sehr dankbar, dass sie in die Schweiz kommen durften und eine Zukunftsperspektive haben.

Weiterführende Angebote

Die Juristin Anna Werren, Russin aus der Ukraine, hat in der Schweiz Jura studiert. Sie meldete sich beim Ehepaar Muntwiler, um eine Informationsveranstaltung zum Schweizer Arbeitsrecht durchzuführen und aufzuzeigen, wie Stellensuchende vorgehen müssen. Ausserdem wird ab dem 12. April an der Geroldstrasse ein Zelt bereitstehen, wo sich Flüchtlinge mit Kleidern versorgen können.

«Wenn wir ein Bedürfnis erkennen, reagieren wir», erklärt Markus Muntwiler. Er ist mit vielen anderen froh darüber, die Not nicht nur wahrzunehmen, sondern etwas dagegen tun zu können. Eine Gruppe seiner Gemeinde betet regelmässig für die Menschen auf der Flucht. Andere helfen praktisch im Bahnhof. Sie geben Gottes Liebe und Nähe durch freundliche Gesten weiter, hören zu, wenn das sprachlich möglich ist. «Die Hälfte aller Freiwilligen gehört nicht zur Heilsarmee», stellt er klar. «Die Solidarität ist unglaublich – wir können voneinander lernen!» 

Dieser Artikel erschien zuerst bei IDEA Schweiz.

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Datum: 22.04.2022
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: IDEA Schweiz

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