Einander zum Fliegen bringen
Sie haben ihre Gegensätzlichkeiten als Geschenk entdeckt, können sie als Ergänzung und Bereicherung anschauen und nicht als Konkurrenz oder Manko. Sie kennen sich und wissen gut, wie der andere etwas meint, ohne dass er alles erklären muss. Mit den Jahren wächst die Vertrautheit. Es geht weniger um mich als um die Sicht des anderen und darum, seine Stärken zu fördern, ihn zum Fliegen zu bringen. Dafür braucht es eine gewisse Reife.
Worauf
sollen Paare, die am Anfang ihres gemeinsamen Weges stehen, achten, damit sie richtig
einspuren?
Wichtig
ist, genug Zeit zu nehmen, um sich wirklich gut kennen zu lernen in ganz
unterschiedlichen Situationen. Und dies als bewusste Paar-Zeit einzuplanen. Das
Gespräch über Vorstellungen, das Abgleichen der Visionen und Träume fürs gemeinsame
Leben hilft. Paare sollen üben, sorgfältig zu kommunizieren.
Das gemeinsame Gebet hilft, die Beziehung zu reflektieren und durch den Blick nach oben, über Streit hinweg zu finden und zu lernen, was Liebe wirklich heisst, nämlich bedingungslose Annahme. Weiterhin sollten die Paare lernen, über Bedürfnisse und Gefühle zu reden, sowie Gemeinsames finden und stärken. Damit immer mehr ein WIR entsteht. Der Aufbau von guten Freundschaften zu anderen Paaren ist ebenfalls eine gute Investition für schwierigere Zeiten.
Muss
man einfach viel beten für den Partner und die Ehe, und dann wird alles gut?
Wie rechnen Sie mit Gott in Beziehungsfragen?
Wenn
ich mit Gott in Beziehung bin, offenbart er mir sein Wesen und ich lerne, wie
ich mit anderen in Beziehung treten soll. Manchmal offenbart er auch Einzelnes
und Konkretes, aber Liebe und Akzeptanz durch Gottes Liebe gibt Frieden. Gott
als Dritten im Bunde zu haben ist ein Geschenk und gibt Sicherheit. Ich
verstehe das so: Gott hat den Ehebund geschaffen und geschenkt und innerhalb
diesem dürfen mein Partner und ich unsere Ehe ausgestalten. Das ist spannend,
abenteuerlich und bereichernd.
Was
wenn nach Jahren der Glanz der Beziehung auf der Strecke geblieben ist? Wie
frischen Paare ihr Miteinander auf?
Es
ist belebend, vergessen gegangene Träume wieder auszugraben und als Paar etwas
Neues, Mutiges und vielleicht auch etwas Verrücktes mit Gott zu wagen. Ein
gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Vision bereichert das Paar und gibt neue
Verantwortung, neue Aufgaben. Ein Eheseminar wäre natürlich auch etwas. Oder
eine Reise oder sonst etwas Aussergewöhnliches. Vielleicht werden Sie und Er auch
etwas Gewöhnliches zu etwas Aussergewöhnlichem machen. Gemeinsam Erlebtes und
Erarbeitetes verbindet.
Wie
können Paare Schwierigkeiten begegnen? Manche bleiben ungewollt kinderlos,
andere leiden unter chronischen Krankheiten oder Tiefschlägen.
Wenn
die Ehe einen neuen Fokus braucht, ist es oft hilfreich, die Paar-Auszeiten zu
intensivieren – bei Kinderlosigkeit liegt das Geheimnis darin, neue Möglichkeiten
zu entdecken. Davor ist es aber nötig, Gott die eigenen Träume zurück zu geben
oder auch Vergangenes loszulassen, um von Gott neue Perspektiven geschenkt zu
bekommen. Paare tun gut daran, in ein tragfähiges Freundschaftsnetz zu
investieren. Oft stellt sich die Frage: Kann ich Gott weiterhin vertrauen und
hat er trotzdem gute Pläne für mich?
Ein Weg braucht Zeit. Die Seele hängt oft hinterher, hat immer einen längeren Weg zum Verarbeiten. Es ist gut, einen bewussten Trauerprozess zu durchlaufen, Wut und Traurigkeit zuzulassen und sich Zeit zu geben für alle Emotionen.
Wie
kann sich der Einzelne beziehungsfördernd verhalten?
Eine
fröhliche, wohlwollende Natur hilft. Hilfsbereitschaft und Zuversicht machen es
einfacher, zusammen zu leben. Wer narzisstisch um sich selbst kreist, beschwert
die Ehe. Der Charakter ist zwar grundsätzlich nicht veränderbar, das Verhalten
aber schon. Man kann immer an seinem Verhalten arbeiten.
Weiterhin sollte ich mein Glück nicht von meinem Partner abhängig und ihn nicht dafür verantwortlich machen. Ich muss für mein Leben selber Verantwortung übernehmen und Zufriedenheit finden.
Was
tun, wenn nur ein Partner unzufrieden ist in der Ehe oder wenn ein Partner
ausserhalb der Ehe Interessen entwickelt?
Wichtig
ist ein ehrlicher Austausch über ungestillte Bedürfnisse, Wünsche und
Vorstellungen. Einander verstehen wollen gehört dazu. Ich sage immer: Gesagt
ist noch nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht
einverstanden.
Dem
anderen etwas zuliebe zu tun und sich Zeit füreinander zu nehmen, hilft über
die innere Distanz hinweg. Wer emotional ausgehungert ist, weil ihm
Verständnis, Nähe und Wertschätzung fehlen, wird anfällig für Wertschätzung und
Vertrautheit von ausserhalb.
Welchen
Einfluss haben unsere Herkunftsfamilien auf unser Beziehungsverhalten und wie
gehen wir damit um?
Die
Herkunftsfamilie hat einen grossen Einfluss. Diesen zu kennen, hilft auch den
Partner zu verstehen. Positiv ist natürlich, wenn man gute Lösungsansätze
gelernt hat und mitbringt. Wenn man sich der Prägung nicht bewusst ist und aus
alter Last und Verletzung heraus reagiert, kompliziert dies die Ehe. Vieles
läuft unbewusst ab. Änderbar ist es nur, wenn es bewusst wird. Prägungen sind
änderbar.
Heute
trennen sich viele Paare. Was ist der Wert einer langjährigen, stabilen
Beziehung im Gegensatz zum Kick einer neuen, jungen Liebe?
Bindung
und Vertrautheit, sich gut zu kennen, der gemeinsame Erfahrungsschatz, die
gemeinsamen Erlebnisse, Freundschaften, Kinder: Das alles ist sehr wertvoll und
vieles bricht abrupt ab, wenn man sich trennt. Der Kick geht auch in einer
neuen Beziehung nach drei Jahren vorbei, der Trennungsschmerz und die
Verletzungen bleiben bei einem selbst und im Umfeld jedoch längere Zeit. Ich
nehme mich selbst und meine Prägungen und Verletzungen ja immer mit. Insgesamt
scheitern mehr Zweit- als Erstbeziehungen.
Was
motiviert Sie am meisten im Einsatz für Ehen und Beziehungsarbeit?
Ich
empfinde Ehe als eine der genialsten Erfindungen und Geschenke von Gott. Sie
ist sicherer Ort für mich und meine Familie und ich wünsche anderen, ebenfalls
in solcher Sicherheit zu leben und aufzuwachsen. Nichts ist so sozialisierend
und identitätsstiftend wie die dauerhafte Nähe und Zeit mit jemandem. Das
bewusste Ja eines anderen Menschen hilft, über sich hinaus zu wachsen. Nichts
hat mich so beflügelt wie mein Partner. Es ist ein Geschenk, jemanden so nah zu
haben.
Susanna Aerne ist Bildungsleiterin Beziehungen im Schweizerischen Weissen Kreuz und dort auch verantwortlich für die twogether-Schulungen von Ehe-Mentoren für junge und erfahrene Paare. In eigener Praxis in Zofingen arbeitet sie zudem als systemische Paar- und Familienberaterin IKP.
Das Gespräch erschien im EGW-Magazin wort+wärch, Februar 2019.
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Datum: 11.02.2019
Autor: Ulrike Weininger
Quelle: wort+wärch