Trennung von Kirche und Staat

Freikirchen leben es vor

Dieses Jahr wurden christliche Institutionen angeprangert, weil Christen ein freiwilliges Lehrergebet organisierten. Es ist Tatsache, dass immer weniger Menschen in der Schweiz zur christlichen Kirche stehen. Eine Stellungnahme von freikirchen.ch.
Peter Schneeberger (Bild: Livenet)

Kirche und Staat sind in der Schweiz grundsätzlich getrennt. Dies obwohl es mit den Reformierten, Katholiken und Christkatholiken drei offizielle, vom Staat anerkannte Kirchen gibt, die zum Beispiel auch Steuern von Unternehmen erhalten. Die Freikirchen leben die Trennung von Kirche und Staat vor: Die Teilnahme, das Mittragen und die finanzielle Unterstützung erfolgen freiwillig. Trotz dieser staatsunabhängigen Finanzierungsgrundlage scheinen Aktivitäten von Werken oder Freikirchen oftmals unter Generalverdacht zu stehen.

Mediensturm um Sexualkunde des SWK

So gerieten die Freikirchen dieses Jahr bereits zweimal in einen heftigen Mediensturm: Ein Zeitungsartikel prangerte mit der Schlagzeile «Wie Evangelikale die Sexualkunde an Schweizer Schulen unterwandern» (watson.ch am 12.09.2022 und AZ am 13.09.2022) ein Schulen betreffendes  Thema an. Im Artikel wird dem Schweizerischen Weissen Kreuz (SWK) an mehreren Stellen das Prädikat «religiös» (6x) und «evangelikal» (3x) zugeschrieben. Dabei arbeitet das SWK ökumenisch und sowohl in Kirchgemeinden als auch in Schulen. Die Sexualpädagogen sind teils auch Mitglied von (nichtchristlichen) Fachzirkeln, in denen der regelmässige Fachaustausch mit anderen in der Schweiz tätigen Sexualpädagogen stattfindet. Die kritische Feststellung, dass derzeit keine Überwachung von sämtlichen in der Schweiz tätigen sexualpädagogischen Fachkräften und deren Ausbildungsstätten existiert, stimmt. Eine solche könnten und würden wir allerdings begrüssen, da sich der Unterricht an unseren Schulen nach den Inhalten des Lehrplans 21 richtet.

Angriff auf freiwilliges Lehrergebet

Ein weiterer Angriff betraf das Beten an der Schule. Auf Antrag einer Lehrperson hatte der Kreisschulvorstand (KSV) Safenwil-Walterswil über die Frage zu entscheiden, ob ein freiwilliges Lehrergebet – ausserhalb von Arbeitszeit und Unterricht – in den Räumlichkeiten der Schule stattfinden dürfe. Nach eingehender Diskussion entschied der KSV, dass ein solches Gebet an der Kreisschule möglich sei.

Es wurde keine Geheimnistuerei daraus gemacht. Trotzdem wurde ihnen unter dem Motto «Wehret den Anfängen» Missionieren an der Schule vorgeworfen und im Namen der Neutralität gefordert, dass Beten an der Schule verboten wird. Dabei zwingen diese Lehrpersonen niemandem etwas auf. Solange niemand gezwungen wird zu beten, wen stört's? Gegen die Lehrpersonen liegen keinerlei Vorwürfe von Seiten der Eltern vor. Was hier offiziell in der Schule beantragt wurde, darf nicht mit dem Privatleben begründet werden.

Keine Frage der Neutralität

Möchte man das Beten an der Schule verbieten, dann müssten auch Ayurveda, Shiatsu, Meditationsmusik, Mandalas malen, Schamanen-Tänze und Yoga verboten werden. Religiöse Neutralität heisst, keine Religion zu bevorzugen. Dem Beten der Lehrpersonen steht also die Neutralität nicht im Wege. Es muss nur gleiches Recht für alle (Religionen) geben. Es ist falsch, dass der Glaube nur im Privaten ausgelebt werden darf. Das wäre gegen die europäische Menschenrechtskonvention (Art 9): «Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.»

Neutralität bedeutet nicht, dass man Dinge verbietet, sondern dass man unterschiedliche Meinungen wertungsfrei akzeptiert. Die Schweiz wurde von vielen Klosterschulen geprägt. «Ora et labora» (bete und arbeite) ist ein Motto, das sich auf die Tradition des Ordens der Benediktiner bezieht. Die westliche Kultur ist damit gut gefahren. Wenn man konsequent sein will, müsste man sonst auch Weihnachten, Ostern und Pfingsten abschaffen.

Keine Frage der Macht

Es geht bei der Gesellschaftsrelevanz der Freikirchen nicht um strukturelle (politische) Macht in der Gesellschaft. Da sind die weissen Evangelikalen in den USA ein schlechtes Vorbild: 2020 wählten 76 Prozent von ihnen Donald Trump, weil sie ihn als von Gott gesandt betrachteten. Sie wollten mit der Gottesherrschaft irdische Macht über die Gesellschaft erlangen. Das Ansinnen geriet spätestens nach dem Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 in komplette Schieflage.

Jesus hat nie einen Machtanspruch gestellt, doch er hat die Mächtigen seiner Gesellschaft bis tief ins Mark provoziert und zum Nachdenken gebracht. Jesus war der grösste Mann der Geschichte. Er hatte keine Diener, doch man nannte ihn Meister. Er hatte kein Diplom, doch sie nannten ihn Lehrer. Er hatte keine Medikamente, und doch nannte man ihn Heiler. Er hatte keine Armee, doch Könige fürchteten ihn. Er gewann keine militärischen Schlachten, doch er eroberte die Welt.

Demokratische Übereinstimmung im Staat

Der Staat hat sich in der Pandemiephase zu einer Grösse entwickelt, die in persönliches und gemeindliches Leben eingreift. Dass der Staat so kollektiv ins persönliche Leben und das der Freikirchen eingreift, um verletzliche Menschen zu schützen, das war ausserordentlich neu und schwierig. Um eine demokratische Übereinstimmung in einem Staat zu gewinnen, benötigt ein Staat gemäss einer Theorie drei Voraussetzungen:

  • eine gewisse Balance zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien

  • die Erfahrung von Stabilität und Sicherheit

  • allgemein ein Klima des Vertrauens.

Die letzten beiden Punkte wurden in der Pandemie angeknackst. Wie können Freikirchen in einer so angespannten Situation den Inhalt von Römer, Kapitel 13, Vers 1 – «Jeder soll sich den Behörden und Amtsträgern des Staates unterordnen.» – leben? Gemäss biblischer Ordnung hat der Staat den Auftrag, das Chaos in dieser Welt zu bändigen und einen Rahmen zu geben, in dem seine Bürger geschützt sind und ihr Umfeld selbst gestalten können. Das «Obrigkeit-Sein des Staates» ist nicht moralisch, sondern ausschliesslich als von Gott her verliehene Würde zu verstehen. Es spielt also für Christen eine untergeordnete Rolle, ob der Staat immer korrekt entscheidet.

Entscheidend ist, ob der Staat über Heil oder Unheil entscheiden will. Der Staat hatte in der Pandemiezeit die äussere Ordnung durch die Schutzmassnahmen zu gewährleisten. Und auch jetzt, in Zeiten von Energieknappheit, versucht er Hilfestellungen zu geben. Es braucht jedoch keine Mikroverfügungen des Bundesrates, wie sparsam geduscht oder gekocht werden soll. Mittels Referenden, Initiativen und auch Abstimmungen können sich alle Stimmberechtigten an der Führung des Staates beteiligen und allenfalls auch Grenzen setzen.

Auch Christen sind auf Ordnungen angewiesen. Ich habe mich dafür entschieden, innerhalb dieser Ordnungen zu arbeiten. Ich will mitgestalten und die Massstäbe des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung gemäss 1. Korinther, Kapitel 13 in sie hineintragen. Zwei Punkte der Mitgestaltung drängen sich vor allem auf: Genau in einem Jahr finden wieder Parlamentswahlen statt. Christen im Parlament sind wichtige Träger der Hoffnungsbotschaft in der politischen Gestaltung der Schweiz.

Anglikanische Kirche als Vorbild

Spannend ist die Initiative der Anglikanischen Kirche in England: Sie lanciert mit «Cultural Witness» ein Programm mit dem Ziel, dass christliche Inhalte im Kontext der gesellschaftlichen Diskussion wieder relevant werden können. Sie hat dafür extra Bischof Graham Tomlin beauftragt. Er hat die Aufgabe, die «Würdigung des Glaubens in einem breiteren öffentlichen Diskurs mit dem Aufbau von Vertrauen in die theologische und intellektuelle Festigkeit des Glaubens unter Laienchristen» zu fördern. Er soll die Kirche in die Lage versetzen, in diesen herausfordernden Zeiten ein lebendiges Zeugnis zu bewahren und zu entwickeln. Die Anglikanische Kirche ist überzeugt: «Die Verwirklichung all dieser Bestrebungen erfordert einen ernsthaften Versuch, die christliche Geschichte in der Öffentlichkeit offensiver zu erzählen und diesen Glauben in unserem gegenwärtigen Klima intelligent und fantasievoll zu verteidigen und zu verkünden.» Sie weiss: Die öffentlichen Medien hören der Kirche noch zu, wenn sie sich zu politischen Themen äussert oder sich für soziale Belange einsetzt. Doch ist es schwieriger geworden, im öffentlichen Diskurs dem Kern der kirchlichen Botschaft Gehör zu verschaffen, die sich auf Jesus Christus und die kreative, fantasievolle kulturgestaltende Kraft des christlichen Evangeliums konzentriert.

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Datum: 17.11.2022
Autor: Peter Schneeberger
Quelle: freikirchen.ch

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