Welcher Vogel gehört auf den Kirchturm?
«Nach der Kirche kräht doch kein Hahn mehr», sagte mein Bekannter schmunzelnd, als wir darüber sprachen, warum da oben so ein vergoldetes Federvieh thront (und sich schön nach dem Wind dreht). Aber im Ernst: Der Hahn ziert seit Hunderten von Jahren unzählige Kirchtürme in Europa – und schickt uns, wenn wir ihm gut zuhören, eine doppelte Botschaft runter.
Wer wir wirklich sind
Petrus leugnete, dass er diesen Jesus kennt, «und alsbald krähte der Hahn», erzählen uns die Evangelien – und Petrus ging hinaus «und weinte bitterlich». Der Hahn erinnert uns an das «Rohmaterial», aus dem die Kirche gemacht ist: Wir sind Sünder. Aus purer Angst dreht sich Petrus nach dem Wind und verleugnet den, der ihm der Liebste ist. Wir können uns noch so viel vornehmen «das passiert mir nie» – aber da ist eine stärkere Macht, die uns zwingt, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht wollen.
Ist das menschenverachtend? Nein – es ist purer Realismus. Und die Voraussetzung zur Erlösung. Vor allen moralischen Appellen muss die Kirche immer wieder auf den Boden der Realität kommen: Wir sind Sünder und glauben deshalb an einen «Erlöser».
Das war ja das Grossartige: obwohl Petrus über sich schockiert war und bittere Tränen vergoss – Jesus hatte den Verrat seines Lieblingsjüngers vorausgesagt: «Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.» Und damit erfuhr Petrus eigentlich: Obwohl Jesus weiss, dass ich versagen werde, hat er mich doch zu einem «Felsen» gemacht.
Wenn wir das nächste Mal einen Hahn auf der Kirche sehen, sollen wir uns erinnern: Das Entscheidende sind nicht meine Entschiedenheit, meine festen Absichten und meine Leistungen, sondern die Gnade Gottes und seine Berufung über meinem Leben.
Seid wachsam
Der Hahn da oben ist zwar stumm, aber seine Brüder hier unten wecken uns morgens aus dem Schlaf – zumindest noch in ländlichen Gegenden. Egal aus welcher Ecke der Wind pfeift: Der Hahn mahnt uns «seid wachsam». Kirche – und das sind wir Christen – darf nicht einschlafen und sich unkritisch irgendwelchen Zeitgeistern hingeben. Das Evangelium ist eine Stimme jenseits bequemer Positionen. Wenn der Hahn oben auf dem Turm krähen könnte, täte er es gegen den Wind.
Der eigentliche Vogel
Wir sehen, die Kirche hat einen Vogel, und der hat seine Bedeutung. Aber eigentlich müsste da oben ein anderer Vogel sitzen, der leider nicht so gross-schweifig daherkommt wie der Hahn: der Haupt-Vogel der Kirche ist die Taube. Dieses Symbol des Heiligen Geistes kam bei seiner Taufe auf Jesus herab, und diesen Geist gibt Jesus an alle weiter, die durch Umkehr und Glauben in seine Erlösung eintreten. Die Taube ist kein Raubvogel, sie ist sanft und kräht nicht jedem Ereignis nach; aber sie ist die gewaltige Kraft eines veränderten Wesens. «Sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt» – diese Erfahrung von Pfingsten ist die Stunde Null der Kirche. Durch den Geist Gottes wird Neues möglich. Darum ist «Kirche» mehr als nur die Erinnerung an unsere alten Sünden. Sie ist der Ort, wo erlebt wird: «Wer in Christus ist, ist eine neue Kreatur.» In der Kirche treffen sich Prototypen der neuen Schöpfung – selbst wenn in unserer aufgeklärten Gesellschaft kein Hahn nach ihnen zu krähen scheint.
Zum Thema:
Mehr über den Glauben erfahren
Dossier Heiliger Geist
Jünger am Boden zerstört: Die dunkelste Stunde von Petrus
Datum: 27.03.2025
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Jesus.ch