«Man fasst viele Themen nicht an, weil sie umstritten sind»
Als Jugendpastoren wart ihr in den vergangenen beiden Jahren sehr aktiv auf Social Media, mit oft täglich neuen Inhalten. Jetzt wollt ihr weniger Zeit dort verbringen. Warum?
Sem Dietterle: Ein Grund ist, dass der Hype zu Beginn der Pandemie, dass man alles digital macht, abgenommen hat. Ich nehme ausserdem wahr, dass Instagram eine Konsum-Plattform geworden ist – mehr als früher und auch vom Algorithmus und von den Strukturen her. Instagram entwickelt sich immer mehr weg von einer Community- und hin zu einer Content-Plattform. Mark Zuckerberg hat vor kurzem betont, dass den Nutzern in Zukunft mehr Inhalte ausgespielt werden von Menschen, denen sie nicht folgen, anstatt denen, die sie abonniert haben. Und wir merken auf Instagram, dass es fast keine Accounts mehr gibt, die wachsen. Das ist demotivierend. Wenn man Wachstum will, dann ist es ein Vollzeitjob. Und selbst dann klappt es oft nicht. Das regelt der Algorithmus.
Patrick Senner: Sem und ich haben fast zweieinhalb Jahre täglich Inhalte geliefert während der Pandemie. Jetzt bin ich einfach ausgelaugt. Die Luft ist raus. Bei uns, die das quasi ehrenamtlich machen, ist es was anderes als bei Creators (Ersteller von Inhalten, Anm. d. Red.), die davon leben und bei denen alles monetarisiert ist. Bei mir ist jetzt wieder der normale Alltag da, das Offline-Business läuft wieder als Reise-Jugendpastor. Ich besuche viele Events und Jugendkreise. Für Social Media ist einfach kaum noch Zeit übrig. Ich weiss nicht, wo ich die Zeit dafür hernehmen soll, ohne dass meine Familie darunter leidet. Sem und ich haben kein Team hinter unseren Accounts, die uns unterstützen. Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass ich weniger poste. Ich weiss auch nicht mehr genau, wo mein Mehrwert ist. Ich habe die letzten zwei Jahre versucht, verschiedenste Formate zu entwickeln und auszuprobieren, wo die Zielgruppe hängen bleibt. Sem und ich als Pastoren würden gerne gute geistliche Inhalte bringen, aber ich weiss nicht mehr, welche Themen, welches Format sich eignen. Es gibt von allem genug. Eigentlich braucht man nicht noch einen Pastor, der irgendwas erklärt.
Gibt es noch mehr christliche Influencer, denen das so geht?
Sem Dietterle: Ich nehme in der christlichen Szene stark wahr, dass viele ausgepowert, ermüdet und demotiviert sind. Auch grosse Accounts. Und ich weiss es auch von Gemeinde-Accounts, bei denen man eigentlich denken würde, sie hätten einen speziellen Auftrag und Fokus. Auch da herrscht eine extreme Ernüchterung und sie merken, dass es super schwierig ist, bei der Zielgruppe zu landen. Ich kriege Anfragen, ob ich helfen kann. Dadurch, dass Instagram sich inhaltlich verändert, die Bedingungen erschwert und eher auf bezahlte Inhalte setzt, glaube ich, dass es in Zukunft noch schwieriger wird. Es ist natürlich auch eine Frage, was man will. Man kann auch mit 100 oder 500 Abonnenten zufrieden sein und für die einen super Dienst machen. In der Corona-Zeit haben viele Creators Lifestyle-Content gemacht: persönliche Inhalte und Themen, die sie gerade beschäftigen. Das hilft aber langfristig nicht. Langfristig braucht man eine klare Vision und Ziel, was man mit seinem Account erreichen möchte.
Patrick, du hast in einem Post geschrieben, dass du zehn Wochen offline warst und in dieser Zeit niemand nachgefragt hat, dich anscheinend niemand vermisst hat. Wie nimmst du die Beziehungsebene bei Social Media wahr im Vergleich zum analogen Leben?
Patrick Senner: Unverbindlicher und kurzlebiger. Ich bin seit drei Jahren als Social-Media-Creator am Start und war zwei- oder dreimal für mehrere Wochen nicht online. In der ganzen Zeit zusammengenommen hat mich eine einzige Person gefragt, ob alles ok wäre. Ich hatte ein hohes Ideal an meine Community, was Treue, Verbindlichkeit und Austausch angeht. Aber wenn man einige Zeit nicht mehr in der Story erscheint, wird man einfach ersetzt. Ich habe mich dann gefragt, welchen Wert will ich diesen Beziehungen beimessen?
Die Beziehung zwischen Medienmachern und Followern hat sich verändert in den letzten Jahren. Es geht mehr darum, gezielt Inhalte zu erstellen wie ein Anbieter und weniger, das Leben miteinander zu teilen. Ich habe Social Media bisher eher als Letzteres verstanden: Wir sind eine Gemeinschaft, machen Projekte zusammen, tauschen uns aus. Überspitzt gesagt ist es aktuell aber so: Die Leute melden sich nur noch, wenn sie was wollen. Andererseits haben einige im Nachhinein auch gesagt, sie hätten sich nicht in der Position gefühlt, nachzufragen, was bei mir los ist, weil man nicht eng befreundet ist. Der Unterschied von dem, was man als Arbeit in die Plattform reinsteckt und was am Ende als Rückmeldung kommt, ist schon krass.
Hat Social Media in der Corona-Zeit zur Evangelisation beigetragen?
Patrick Senner: Es gab viele gute Gespräche. Ich möchte das aber nicht direkt als evangelistisch bezeichnen. Instagram hatte für mich eher den Charakter eines Informationsportals mit Menschen, die auf deine Fragen antworten. Ich glaube, die Begegnung im echten Leben ist stärker als es ein evangelistisches Format online kann. Ich finde es aber gut, dass wir als Evangelisten zwischen all den Inhalten vorgekommen sind in den letzten zwei Jahren. Dass die Leute zwischendrin gute Inhalte sehen und ins Nachdenken kommen. Es gibt sicher Accounts, die es anders erlebt haben. Bei mir waren es aber eher viele gute seelsorgerliche Gespräche.
Sem Dietterle: Es ist sehr abhängig von den Inhalten. Ich habe zu Beginn sehr evangelistisch geprägte Inhalte gemacht und damit Nichtchristen erreicht. Nach wie vor erreichen wir auch auf den Kanälen von «Truestory» (früher «Jesushouse») Leute, die eher nicht in unserer christlichen Bubble sind.
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Datum: 10.10.2022
Autor: Swanhild Brenneke
Quelle: PRO Medienmagazin