Missbrauch nicht energisch verfolgt

Erzbischof von Canterbury tritt zurück

Der Erzbischof, Justin Welby
Erzbischof Justin Welby kündigte am Dienstag seinen Rücktritt an. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht hatte festgestellt, dass er den Missbrauch junger Männer durch den verstorbenen Anwalt John Smyth hätte anzeigen «können und müssen».

Es ist nicht die wiederholte Forderung theologisch konservativer Anglikaner, die Justin Welby nun zurücktreten liess, sondern sein Versäumnis, einem besonders scheusslichen Missbrauchsfall konsequent genug nachzugehen. Laut dem unabhängigen Makin-Bericht hatte der 2018 verstorbene Anwalt John Smyth über 40 Jahre lang mehr als 100 Jungen und junge Männer in Ferienlagern «traumatischem körperlichen, sexuellen, psychologischen und geistlichen» Missbrauch ausgesetzt, zuerst in England, dann auch in Afrika.

Nachdem Welby noch Anfang dieser Woche einen Rücktritt abgelehnt hatte, kapitulierte er am Dienstagnachmittag mit einem Mal – nicht zuletzt, nachdem eine Online-Petition mit 12`000 Unterschriften seine Ablösung verlangt hatte.

Bereits 2013 informiert

Bevor er ordiniert wurde, arbeitete Welby unter anderem als Heimleiter in den von Smyth geleiteten Camps in Dorset. Laut dem Makin-Bericht könne man nicht feststellen, «ob Justin Welby vor (seinem Amtsantritt) 2013 von der Schwere des Missbrauchs im Vereinigten Königreich wusste». Es sei aber «sehr wahrscheinlich, dass er zumindest ein gewisses Mass an Wissen darüber hatte, dass John Smyth von gewisser Bedeutung war». Welby selbst erklärt: «Als ich 2013 informiert wurde und erfuhr, dass die Polizei benachrichtigt worden war, habe ich fälschlicherweise geglaubt, dass eine angemessene Lösung folgen würde.» Deshalb sei es «ganz klar, dass ich persönlich und institutionell die Verantwortung für den langen und traumatisierenden Zeitraum zwischen 2013 und 2024 übernehmen muss», betonte Welby.

«Tiefes Gefühl der Scham»

Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche erklärte: «Fast zwölf Jahre lang habe ich mich bemüht, Verbesserungen einzuführen. Es ist Sache anderer, darüber zu urteilen, was getan worden ist.» Die letzten paar Tage hätten sein «seit langem empfundenes und tiefes Gefühl der Scham über die historischen Versäumnisse der Kirche von England im Bereich der Sicherheit erneuert».

Er versprach, seiner Verpflichtung nachzukommen, die Opfer zu treffen und alle seine anderen derzeitigen Verantwortlichkeiten für den Schutz zu «delegieren, bis die notwendige Risikobewertung abgeschlossen ist».

«Ich hoffe, dass diese Entscheidung deutlich macht, wie ernst die Kirche von England die Notwendigkeit von Veränderungen und unser tiefes Engagement für die Schaffung einer sichereren Kirche nimmt. Ich trete in Trauer mit allen Opfern und Überlebenden von Missbrauch zurück», sagte er abschliessend.

«Richtig und ehrenvoll»

Der Erzbischof von York, Stephen Cottrell, der zweithöchste Geistliche der Anglikanischen Kirche, bezeichnete Welbys Rücktritt als «die richtige und ehrenvolle Entscheidung». Das Verfahren zur Auswahl seines Nachfolgers wird voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern.

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Datum: 15.11.2024
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Evangelical Focus / Neue Zürcher Zeitung

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