Blutrünstiger Kriegsgott?
Für uns heutige Menschen ist das ein harter, ja vielleicht sogar abstossender Text. Er passt nicht zu unserem Bild vom «lieben Gott». In der Tat haben bei einer Umfrage «Schwierigkeiten beim Bibellesen» sehr viele Menschen geantwortet, dass sie Mühe hätten mit der Gewalt in der Bibel. In unserem Text wird nicht nur auf Gewalttätigkeit hingewiesen, Gott wird direkt damit in Verbindung gebracht. Was hat Gott mit dem Krieg zu schaffen?
Unbeschreibliches Leid
Schreckliche Kriege haben die Menschheitsgeschichte seit ihren Anfängen begleitet. Noch heute sind die Zeitungen voll von Kriegsberichten. Dahinter verbirgt sich unsägliches Leid.
Im Zug erzählte mir einmal ein alter Mann, dass er während des Zweiten Weltkrieges in der französischen Armee gedient habe. Es war unschwer festzustellen, dass er keine Zähne mehr hatte. «Die habe ich im Nahkampf verloren», erzählte er. «Für den Frontkampf haben sie uns immer Alkohol gegeben, damit wir die Angst und die Gewalt aushalten konnten.» Der Mann erzählte keine Heldengeschichten. Er war nur froh, dass er überlebt hatte, und er machte sich keine Illusionen mehr über die Menschen. So direkt habe ich noch kaum jemanden von einem Krieg erzählen hören. So sieht also der wirkliche Krieg aus: grausam und unmenschlich.
Wenn wir uns die Kriege in der Bibel vornehmen, dann haben wir dieses schreckliche Anschauungsmaterial aus Vergangenheit und Gegenwart vor Augen. Die Bibel kennt die furchtbare Wirklichkeit des Krieges auch.
Die historische Situation
Wie können wir nun einen Text wie 2. Mose 15,3 verstehen? Seit langer Zeit leben die Israeliten als Fremdlinge in Ägypten. Sie sind rechtlose Arbeitssklaven des Pharao. Die Israeliten sind heimatlose Fremdlinge unter der Herrschaft der damaligen Supermacht Ägypten. Da und dort ist vielleicht noch die Hoffnung wach geblieben auf die Verheissung, die Abraham einmal von Gott bekommen hat. Aber realpolitisch gibt es eigentlich keine Chance für die Israeliten, dass sich ihre Situation verbessern könnte.
In dieser Situation tritt einer aus ihrem Volk auf, Mose, ein soweit assimilierter Zögling der Ägypter. Er kommt und verkündet, dass er sie im Auftrag Gottes aus der ägyptischen Sklaverei herausführen werde. Nach langen und zähen Verhandlungen und unter beträchtlichem Druck lässt der Pharao die israelitischen Sklaven ziehen. Schon bald reut es aber den König Ägyptens, dass er diese billigen Arbeitskräfte hat ziehen lassen. Mit seiner bestens ausgerüsteten Armee jagt er hinter dem Haufen von Arbeitssklaven her. Die Hoffnung der Israeliten auf Freiheit und ein Leben in Menschenwürde beginnt zu schwinden.
In dieser ausweglosen Situation greift Gott in unerwarteter Weise ein. Die Israeliten ziehen trockenen Fusses durch das Schilfmeer. Bei den kriegserprobten ägyptischen Soldaten entsteht Panik, und die ganze Armee ertrinkt in den Fluten des Meeres.
Die grösseren Zusammenhänge
Unser Text steht in einem Lied, das Mose und die Israeliten nach den erschütternden Ereignissen am Schilfmeer gesungen haben. Unser Vers ist also Teil eines Lobliedes für Gott. In diesem Vers spiegelt sich die Erfahrung der Israeliten mit Gott wider. Gott stellt sich nicht selbst als «Mann des Krieges» vor. Die Israeliten haben aber Gott in ihrer hoffnungslosen Lage als starken Helfer erfahren. Da liegt für sie das Bild vom «Mann des Krieges» nahe.
Gott leistet handfeste Hilfe
Gott hat seinem Volk beim Auszug aus Ägypten geholfen. Diese Hilfe war nicht nur geistlich, sondern ganz handfest. Für diese geschichtliche Erfahrung prägten die Israeliten das Bild vom «Mann des Krieges». Die Menschen der Bibel brauchen immer Bilder aus ihrem Erfahrungshorizont, um Gott zu beschreiben. Gott wird in der Bibel als Hirte, König, Richter, Mutter oder eben als Mann des Krieges bezeichnet. Hinter diesen Bildern verbergen sich ganz verschiedene Erfahrungen der Menschen mit Gott. All diese Bilder weisen darauf hin, dass Gott als Person erfahren wird, nicht als unpersönliche Kraft.
Biblischer Bogen
Was steckt hinter dem Bild vom «Mann des Krieges»? Ist Gott ein blutrünstiger altorientalischer Kriegsgott? Nein! Gott hat die Welt geschaffen und sie für sehr gut befunden. Gott zerstört nicht willkürlich, was er geschaffen hat. Schon im Alten Testament ist die Zukunftsvision, die Gott den Menschen gibt, das Friedensreich (z.B. Jes 2). Gott ist kein Kriegsgott. Gott lässt sich aber in die Niederungen der menschlichen Geschichte herab, dort, wo Gewalt, Krankheit und Tod existieren. Gott steigt zu uns herab und macht sich dabei die Hände schmutzig.
Gott wird von den ausziehenden Israeliten als «Mann des Krieges» erfahren. Der Prophet Jesaja erzählt vom «Mann der Schmerzen» (Bibel, Jesaja, Kapitel 53, Vers 3). Auch in Jesus Christus hat sich Gott auf unsere Geschichte eingelassen. Den endgültigen Sieg hat Gott am Kreuz auf Golgatha errungen. Damals hat er selbst den Tod auf sich genommen. Der biblische Bogen geht vom «Mann des Krieges» bis zum «Mann der Schmerzen». Immer ist er der Gott, der uns Menschen ganz nahe sein will.
Zitat zum Nachdenken:
«Ihr Christen habt in eurer Obhut ein Dokument mit genug Dynamit in sich,
die gesamte Zivilisation in Stücke zu blasen, die Welt auf den Kopf zu
stellen, dieser kriegszerrissenen Welt Frieden zu bringen. Aber ihr geht damit so um, als ob es bloß ein Stück guter Literatur wäre, sonst weiter nichts.»
(Mahatma Gandhi, indischer Menschenrechts- und Unabhängigkeitskämpfer, die Friedensbotschaft von Jesus hat seinen gewaltfreien Kampf für Freiheit geprägt)
Bibel zum Thema Frieden:
Die Friedensbotschaft von Jesus an die Menschheit
Buch zum Thema:
Der Christ und der Krieg - 4 (unterschiedliche) Standpunkte
Datum: 19.08.2012
Autor: Martin Forster
Quelle: Bausteine/VBG