Talk zu Patchworkfamilien

«Ein Ja zum Unperfekten finden»

Jede zehnte Familie in der Schweiz ist eine Patchworkfamilie. Im Livenet-Talk sprechen das Ehepaar Regine und Christoph Schmutz und die Paar- und Familienberaterin Susanna Aerne über Herausforderungen und Chancen von Patchworkfamilien. Wie kann man Altes hinter sich lassen und die neue Familie stärken?
Patchworkfamilie Schmutz (Bild: HOPE Emmental)
Susanna Aerne

Ehepaar Schmutz bekam am 24. Mai 2021 das sechste Kind. Zum Zeitpunkt, an dem der Livenet-Talk stattfand, war Noan Schmutz noch nicht auf der Welt. Nun präsentiert sich die Patchwork-Situation bei Schmutzes wie folgt: Regine Schmutz hat zwei Söhne mit in die Ehe gebracht, Christoph einen Sohn; gemeinsam haben sie nun nochmals drei Kinder bekommen.

Stärkung der Veränderung

Susanna Aerne betont, dass die Stärkung der Veränderung wichtig sei. Der neue Alltag für den getrenntlebenden Elternteil, der nun allein für die Kinder sorgt, könne gerade zu Anfang sehr anstrengend sein. Alle seien nun herausgefordert, eine neue Einheit zu suchen: Mama allein mit den Kindern und Papa allein mit den Kindern. Aerne unterstreicht: «Die Einheit von der Kernfamilie ist enorm wichtig. Sie gefährdet die neue Familie nicht – im Gegenteil: Sie stärkt sie! Ansonsten entsteht bei den Kindern der Eindruck, dass der neue Partner ihnen den einen Elternteil weggenommen hat.» Es ginge für alle darum, neue Stabilität der Beziehungen zu gewinnen.

Regine Schmutz bestätigt, dass die Anfangszeit nach der Trennung «hochintensiv» gewesen sei: Sie sei mit zwei kleinen Kindern allein gewesen und habe mit Schuldgefühlen gekämpft. Sie habe Frust empfunden: «Mein Familienbild war kaputt!» Zudem sei der «Kriegszustand» zwischen ihr und ihrem Ex-Mann in den ersten beiden Jahren sehr zermürbend gewesen.

Christoph Schmutz hat die Anfangszeit ähnlich herausfordernd erlebt: «Ich war plötzlich allein in einer Wohnung und fühlte mich einsam. Zum Glück hatte ich die Gelegenheit, beim Umbau der Kirche zu helfen und meine leere Zeit so zu füllen.» Die Besuche am Wochenende von seinem Sohn seien auch eine Umstellung für ihn gewesen. Da er nicht mehr für alles zuständig gewesen sei, habe er sich immer mehr aussen vor gefühlt.

Kinder sollten nicht in Paarkonflikte hineingeraten

Für Kinder bedeute Trennung und die Gründung einer neuen Patchworkfamilie eine grosse Herausforderung, weiss die Familienberaterin Susanna Aerne. Wenn sie vorher Gewalt und Streit bei den Eltern erlebt hätten, seien sie manchmal zwar sogar froh über die Trennung, aber ansonsten seien Kinder oft verunsichert und wütend. «Wut ist grundsätzlich gut, denn sie beugt Depressionen vor, denn Depression kommt aus Traurigkeit», erklärt Aerne. «Kinder müssen nur lernen, mit Wut umzugehen.»

Es sei wichtig, dass die Kinder nicht in den Paarkonflikt hineingezogen würden. Am besten sei es, wenn das Paar sich wohlwollend trenne, dann würden die Kinder am wenigsten leiden. So könnten die Beziehungen in der Kernfamilie schnell wieder an Stabilität gewinnen. Es sei jedoch notwendig, die vorherige Beziehung aufzuarbeiten, damit der Stabilitätsprozess der Kernfamilie und der neuen Patchworkfamilie gelingen könne.

Verletzungen aufarbeiten und sich Zeit lassen

Christian Schmutz hat es als heilsam erlebt, sich viel Zeit in dem Prozess zu lassen. Der Kurs von Familylife «Lieben – Scheitern – Leben» zur Bewältigung und Aufarbeitung von Trennung und Scheidung habe ihm sehr geholfen, wieder Boden unter den Füssen zu bekommen.

Regine Schmutz hat durch diesen Kurs gelernt, einen neuen Weg einzuschlagen. Sie erzählt von ihrer Wut gegen ihren Ex-Ehemann und gegen sich selbst. Im Laufe des Kurses habe sie gelernt, Vergangenes loszulassen und für die Zukunft zu beten und schliesslich ihrem Ex-Mann und sich selbst zu vergeben. Das sei der Schlüssel gewesen, um ihre Verletzungen zu verarbeiten und auch mit ihrem Ex-Mann anders umzugehen.

Susanna Aerne meint: «Es ist nicht hilfreich, die Verletzungen aus der alten Beziehung mitzunehmen. Sie sollten erst aufgearbeitet werden, damit Neues entstehen kann.»

Die Basis von jeder Familie ist die Paarbeziehung

«Wenn die Paarbeziehung nicht sicher ist, sind auch die Kinder nicht sicher», stellt Susanna Aerne fest. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass bei verhaltensauffälligen Kindern oft nicht das Kind das Problem sei, sondern die Paarbeziehung der Eltern bzw. das Familiensystem. Es sei wichtig, eine stabile Paarbeziehung in der Patchworkfamilie aufzubauen und sich vertieft kennenzulernen. Man solle auch keine Vergleiche mit der alten Beziehung ziehen, denn die neue Beziehung sei etwas ganz anderes mit neuen Charakteren: ein neues Kapitel.

Partner erst Kindern vorstellen, wenn die Paarbeziehung stabil ist

«Der richtige Zeitpunkt, um den Kindern den neuen Partner vorzustellen, ist erst dann, wenn die neue Paarbeziehung Stabilität und eine gute Zukunftsperspektive hat, wenn Einheit über die Gestaltung der Beziehung besteht», erklärt Aerne. Man müsse verstehen, dass die Kinder nach der Trennung stark in ihrer Sicherheit erschüttert seien. Daher sei es enorm wichtig, dass sie nicht zu viele neue Leute kennenlernen und wieder loslassen müssten, denn dies verunsichere und demotiviere die Kinder noch mehr. Man solle sich bei dem Prozess viel Zeit lassen.

Regine Schmutz bekräftigt, dass es ihnen wichtig gewesen sei, sich viel Zeit zu lassen, bis beide sicher gewesen seien, dass sie eine Beziehung anfangen wollten. Sie hätten zunächst nur die «kinderfreien» Wochenenden für Treffen und Absprachen genutzt, sodass eine gute Grundlage ihrer Beziehung geschaffen worden sei. Christoph verrät, dass die Kinder zu Anfang sehr rebelliert hätten, vor allem sein neunjähriger Sohn, der als Einzelkind aufgewachsen war. Regine bekennt, dass sie nach der ersten Begegnung der drei Kinder gedacht habe, dass diese Patchworkfamilie nie funktionieren würde! Aber sie habe sich entschlossen, nicht aufzugeben, und es habe geholfen, dass Christoph und sein Sohn eine gute Beziehung gehabt hätten.

Der Schlüssel zu einem guten Miteinander der Kinder sei die Geburt der gemeinsamen Tochter gewesen. Die gemeinsame Schwester habe die drei Jungen verbunden und der Familie Einheit gegeben. Für alle sei sie zu gleichen Teilen «meine Schwester» gewesen, und alle hätten sich auf das Baby gefreut.

Neue Rollen in der Patchworkfamilie finden

Susanna Aerne vergleicht die Patchworkfamilie mit einem Uhrwerk, einem hochkomplexen System. Bei Familie Schmutz sei das gemeinsame Baby verbindend gewesen, bei anderen Patchworkfamilien könne das System dadurch jedoch auch so erschüttert werden, dass alles zum Erliegen komme. Wesentlich sei das Klären von Rollen: «Der neue Partner ist nicht der neue Papa, die neue Partnerin ist nicht die neue Mama. Selbst wenn ein Elternteil stirbt und der verwitwete Elternteil wieder einen neuen Partner findet, ist der neue Partner oft kein Mama- oder Papa-Ersatz.»

Ein Kindergartenkind habe es so ausgedrückt: «Ich habe eine Mama – und die ist im Himmel. Ich will keine andere Mama.» Es sei durchaus legitim, die neue Ehefrau des Papas beim Vornamen zu nennen. Es dürfe nicht eingefordert werden, dass der neue Partner als neues Elternteil von den Kindern verstanden und akzeptiert würde. «Die Erziehung bleibt bei den leiblichen Eltern.» Die Paarbeziehung sei zwar getrennt, aber nicht die Elternbeziehung. «Zuerst geht es darum, Freundschaft aufzubauen, zurückhaltend zu sein und einander kennenzulernen.»

Regine erzählt: «Da wir alle zusammenleben, müssen wir uns als Paar immer wieder gut absprechen, was uns wichtig ist, wie wir zusammen Boden finden können.» Ihre Erfahrung sei, dass die Einheit der Eltern der Patchworkfamilie beim Zusammenleben sehr wichtig sei – ansonsten würden die Kinder es ausnutzen, dass die Eltern sich nicht einig seien.

Nicht schlecht über die leiblichen Elternteile reden

Wie reagiert man, wenn ein Kind sich über die leibliche Mama oder den leiblichen Papa beklagt, nachdem es dort gewesen ist? Regine und Christoph Schmutz haben bewusst entschieden, bei den Kindern positiv über die leiblichen Elternteile zu reden. Regine erzählt: «Es hat geholfen, sich in die Ex-Frau meines Mannes einzufühlen. Ich habe Fragen gestellt und sie in Schutz genommen. Ich habe dem Sohn meines Mannes erklärt, dass seine Mutter es gerade streng habe.»

Dies sei für ihn sehr hilfreich gewesen, wie dieser heute selbst bestätigt. Susanna Aerne erklärt: «Wenn schlecht über Mama oder Papa geredet wird, kommen die Kinder in einen Loyalitätskonflikt. Es ist weise, Verständnis für die Ex-Frau oder den Ex-Mann zu zeigen und zu überlegen: Wie würde es mir als Mama oder Papa gehen?»

Tipps für die Gründung einer Patchworkfamilie

Christoph Schmutz rät anderen Patchworkfamilien, sich Zeit zu lassen, sich Gedanken über die Gestaltung der Beziehung zu machen und bei Herausforderungen nicht aufzugeben. Regines Tipp: «Reden, reden, reden…». Es gehe darum, sich über Ansichten und Grundwerte als Paar und Familie zu verständigen, ein Ja zum Unperfekten zu finden und das Gute darin zu sehen.

Sehen Sie sich hier den ganzen Livenet-Talk an:

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Datum: 08.06.2021
Autor: Meike Ditthardt
Quelle: Livenet

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