Alt werden: wenn es mir «graut»
Ich komme immer schwerer aus dem Bett. Das Morgen-Grauen beim Blick in den Spiegel. «Was hast du gesagt?» fällt häufiger, die Bewegungen werden langsamer, die Gedächtnislücken peinlicher. Schmerzhafte Einschränkungen und Veränderungen müssen akzeptiert werden, Freunde sterben ringsum weg – Altwerden ist wahrhaftig nichts für Ängstliche, es erfordert vielmehr enormen Mut. Nicht umsonst bittet der Beter in den Psalmen: «Verwirf mich nicht in meinem Alter; verlass mich nicht, wenn ich grau werde» (Psalm 71,9).
Die andere Seite
Man kann diese Lebensphase – die auf uns alle wartet – auch von einer anderen Seite anschauen. Wenn du grau wirst, hast du wenigstens noch Haare. Es ist schön, nicht mehr alles machen und mitmachen zu müssen. Das Leben bietet weniger Stress und mehr Ruhe. Die Erfahrungen gehen nicht mehr in die Weite, aber in die Tiefe. Verlust kann zu Gewinn werden. Erinnerungen sind etwas Kostbares. Man wird dankbar für kleine Dinge und gnädiger mit den Schwächen der Mitmenschen oder des Partners.
Etwas vom Schönsten: Altwerden ist die Gelegenheit, meinen Wert vor Gott immer weniger an meiner Leistung festzumachen. Ich erfahre immer mehr: Ich bin angenommen, weil ich bin und wie ich bin. Weniger Leistung im Alter heisst mehr Gnade im Alter. Unter diese Gnade fallen auch all die verpassten Gelegenheiten, alles «Hätte ich doch» – all das, was ich nicht mehr gut machen kann.
Altwerden heisst: Der äussere Mensch nimmt ab – aber die Chance ist, dass der innere Mensch (und das ist eigentlich der, der zählt) zunimmt. Wem viel vergeben ist, der liebt viel.
Das Entscheidende aber ist die Zusage Gottes: «Ja, ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich will es tun; ich will heben und tragen und erretten.» Das verspricht er in Jesaja 46,4. Gott ist nicht nur ein Gott für das Jungvolk und für die Aktiven und Leistungsfähigen. Ich gehe bei Gott nicht so langsam in Vergessenheit.
Jochen Klepper hat die Zusagen für grau werdende Menschen unübertrefflich schön in einen Vers gefasst:
«Ihr sollt nicht ergrauen, ohne dass ichs weiss, müsst dem Vater trauen, Kinder sein als Greis. Lasst nun euer Fragen, Hilfe ist genug – Ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug.»
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