Neues Buch von Thomas Härry

Der Mensch hat eine bedürftige Seele

Thomas Härry im Livenet-Talk
Im Sommer bieten die Livenet-Talks jeweils Lesetipps und Hintergrundinfos zu den Büchern. Heute spricht Thomas Härry im Talk über sein neues Buch «Die Seele des Leitens».

«Ich profitiere sehr viel von dem, was das jüdisch-biblische Menschenbild über uns Menschen sagt», sagt der Theologe Thomas Härry. In vielem sei dies dem westeuropäischen Verständnis des Menschen ähnlich, in vielen anderen Dingen aber auch ganz anders. Im Livenet-Talk spricht er mit Florian Wüthrich über sein neues Buch.

Der Mensch ist ein bedürftiges Wesen

«Was die Bibel über die Seele sagt, finde ich sehr hilfreich.» Alle, die mit Menschen zu tun haben, können davon profitieren. In seinem Buch zeigt Thomas auf, wie unberechenbar und verletzlich die menschliche Seele ist. Der Mensch ist keine Maschine, welche auf Knopfdruck immer auf dieselbe Weise reagiert. «Da ist alles ein bisschen komplizierter. Es hilft zu wissen, dass der jüdisch geprägte Mensch für die Seele dasselbe Wort verwendet wie für seine Kehle, seinen Hals. Das sagt viel über uns aus: So wie die Kehle verletzlich, hungrig und durstig ist, so ist auch der Mensch. Er ist ein bedürftiges Wesen.» Deshalb reagiert er im Alltag oft irritierend.

Das Verhalten von Menschen kann irritieren

Im Buch erwähnt Thomas eine junge Frau aus der Kirche. «Wenn ich das Potential in einer Person sehe, nehme ich sie gerne mit in meine Tätigkeit.» Bei besagter junger Frau war er überzeugt, dass sie anderen etwas geben konnte. Eine längere Zeit war dies auch so, doch auf einmal wurde sie von Angst vor Kritik und Versagen überrannt und blies alles ab. Das sei typisch für die menschliche Seele.

Im Talk teilt Thomas auch Persönliches. In den Ferien sprach seine Frau Dinge an, die sie an ihm als schwierig empfand. «Ich war überhaupt nicht in der Laune, über problematische Dinge zu sprechen.» Sie liess nicht locker, das Gespräch wurde intensiver und lauter, bis sie die Aufmerksamkeit anderer Gäste hatten. «Wenn sich die Seele meldet, reden wir gerne aneinander vorbei und tun einander weh.» Es sei dann wichtig, die Sache auszudiskutieren, damit die Seele wieder zur Ruhe kommen kann.

Menschen haben gute und schlechte Tage

«Ich habe manchmal den Eindruck, dass wie Leiterinnen und Leiter dazu neigen, zu erwarten, dass die Leute, die wir führen, immer gut funktionieren. Natürlich haben wir Erwartungen und vielleicht gibt es sogar eine Aufgabenbeschreibung. Es ist auch richtig, dass die Leute ihren Job machen.» Thomas spricht aber von der verbreiteten Erwartung, dass Menschen immer optimal funktionieren müssen. «Strategien und Visionsprozesse sind manchmal ein unbewusster Versuch, ein nichttriviales System 'Mensch' trivialer zu machen.» Damit versucht der Leiter, die Menschen so zu machen, wie er sie sich vorstellt.

Menschen haben gute und schlechte Tage. Natürlich sollen sie auch an schlechten Tagen ihren Job machen, gleichzeitig müssen wir aber Verständnis dafür haben. «Ich wollte, dass Leiter mit Menschen nicht wie mit Maschinen umgehen, die immer funktionieren müssen.» Dieses Anliegen führte letztlich zum Buch «Die Seele des Leitens».

Der Mensch ist kein triviales System

Menschen sind kein triviales System und reagieren auf den selben Input nicht immer gleich. Sie reagieren nicht nur entsprechend des Inputs, sondern auch aufgrund dessen, was gerade in ihnen abläuft. «Die Reaktion auf den gleichen Satz kann heute anders sein als sie gestern war.» Das Angetriebensein von Furcht und Angst gehört für Thomas ebenfalls zu diesem Thema. «Wenn eine Kritik oder eine E-Mail ganz heftig kommt, kann ich fast immer davon ausgehen: Hier hat ein Mensch Angst.» Gleichzeitig macht er sich bewusst, ebenfalls eine hungrige Seele zu sein. «Gerate ich selbst in die Angstfalle, reagiere ich genauso heftig.»

Mit seinem Buch will Thomas helfen, sich selbst besser als Seelenwesen zu verstehen. «Es gibt Tage, an welchen ich dazu neige, Druck auszuüben, wenn etwas schief läuft. Und das hat mit eigenem Stress und Angst zu tun.» Thomas gefällt die Formulierung, den eigenen Hunger zu managen. «Du musst mit deinen Bedürfnissen umgehen, denn wenn diese entfesselt sind, wirst du als Leiterin oder Leiter viel Schaden anrichten.»

Die Schafe weiden oder sich selbst an den Schafen weiden

Es sei legitim, sich an Wertschätzung zu freuen. Man kann sich aber so darauf fixieren, Lob und Anerkennung zu erhalten, dass diese letztlich eingefordert wird. «Auf einmal weide ich nicht mehr die Schafe und bin nicht mehr derjenige, der ihnen etwas gibt. Wenn ich nur noch leite, um von den Schafen etwas zu empfangen, dann weide ich mich an meinen Schafen.» Es sei nicht die Aufgabe von Geführten, ihren Leitern die Seele zu stillen. Es könne aber auch vom Leiter nicht erwartet werden, dass er jederzeit unsere Seele sättigt.

Der Hintergrund von Missbrauchsgeschichten sei die bedürftige Leiterseele. Leiter stillen sich ihre Wünsche bei denjenigen, die sie leiten. Sie müssen lernen, ihren Hunger anderswo zu stillen. Hierzu gehören passende Arbeitsbedingungen. Am Ende sei aber entscheidend, dass die Seele von Gott versorgt wird. Anhand Psalm 131 zeigt Thomas auf, dass der Mensch seine Seele lehrt und führt, damit sie bei Gott satt werden kann.

Übers Elternsein und Klaus Eickhoff

Thomas spricht von Eltern, die von ihren Kindern erwarten, sie immer zu mögen und zu bestätigen. Dies sei aber nicht die Aufgabe der Kinder. «Wenn der Zustand meiner Seele davon abhängig ist, ob mein Kind mich toll findet, dann habe ich ein Problem. Ich passe mich an oder fordere es ein.»

«Gute Predigten machen Gott gross», sagte Klaus Eickhoff in einer prägenden Weiterbildung. «Er kritisierte, dass wir von Menschen etwas fordern, bevor wir ihnen etwas geben und zeigte pointiert auf, wie dies dem Wesen des Evangeliums widerspricht.» Beim Evangelium komme immer die Gnade zuerst. Erst ein versorgter Mensch könne hingehen und handeln.

Wir verlosen fünf Bücher von Thomas Härry «Die Seele des Leitens». Schreiben Sie uns bis zum 06. August eine E-Mail mit Ihrem Namen und Adresse an: redaktion@livenet.ch

Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Thomas Härry an:

Zum Buch:
Die Seele des Leitens

Zum Thema:
Talk mit Thomas Härry: Von der dunklen Seite der Macht
Leiten mit Charakter: Buchtipp: «Von der dunklen Seite der Macht»
Wenn Glaube oberflächlich ist: Livenet-Talk: «Echt und stark» mit Thomas Härry

Datum: 21.07.2023
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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