An Geburtstagsfeier von idea

Giuseppe Gracia: «Christen sind Ausserirdische»

Mit einem engagierten Referat ermahnte der katholische Publizist Giuseppe Gracia evangelikale Prominenz am 20. Geburtstag von ideaSpektrum in Bern. Er warnte davor, einen «Schmusekurs mit der Gesellschaft» zu fahren.
Giuseppe Gracia

Angesichts der rapiden gesellschaftlichen Veränderungen in den 20 Jahren der idea-Geschichte erklärte der Schriftsteller, BLICK-Kolumnist und Medienbeauftragte des Bistums Chur, Giuseppe Gracia (52), dass wir uns nicht dafür entschuldigen müssten, weiterhin «klassische Christen» zu sein.

«Angepasste, harmlose Jesus-Freunde»

In den Medien stammten die meisten Berichte über das Christentum von Leuten, «die das traditionelle Christentum nicht besonders mögen. Sie wollen, wenn es schon Christen geben muss, angepasste, harmlose Jesus-Freunde. Sie halten das klassische Christentum für anti-fortschrittlich und frauenfeindlich», erklärte Gracia. Gerade diese Missverständnisse seien Gründe, warum Christen öffentlich auftreten müssten: «Nur wir können zeigen: auch im 21. Jahrhundert hat der Glaube Wesentliches, Unersetzbares zu bieten.»

Die Kirche: «nicht zeitgemäss, sondern gottgemäss»

Unsere heutige «funktionale, digitalisierte Gegenwartskultur» brauche die Hoffnung auf die Liebe Gottes. Christen dürften darum heute nicht zuerst mit den zehn Geboten oder mit der Moralkeule die Türen einrennen. Das Evangelium sei ein «geistliches Juwel», ein Weg in die Tiefe der Existenz, das den Menschen von der Last befreie, sein ganzes Leben allein leben und verantworten zu müssen.

Provokativ formulierte Gracia: «Die Kirche muss nicht zeitgemäss sein, sondern gottgemäss. Und wenn sie das ist, ist sie auch menschengemäss. Denn es ist Gott, der die Menschen liebt, und nicht die digitalisierte Moderne». Wenn die Kirche in diesem Sinne unangepasst bleibt, stehe sie automatisch gegen den Mainstream, wie man bei typischen Zeit-Themen wie Emanzipation, Macht oder Sexualiät sehe. So könne man dem Menschen, der im «Chefsessel der Existenz» sitze, sagen: «Nein, du bist nicht der Chef. Du entscheidest nicht über Leben und Tod.»

Grüner Sex

Sex sei in der Gesellschaft zu einem «konsensbasierten Gesellschaftsspiel» geworden, stellte Gracia fest. Demgegenüber könne die Kirche sagen «Nein, wechselnde Partner führen nicht zu gutem Sex, sondern meist einfach zu unverbindlichem Sex». Und der bringe Angst mit sich. Wer viele Partner hat, müsse sich notgedrungen schützen. «Dieser Lebensstil macht langfristig eher einsam statt glücklich». Wirklich guten Sex könne man in der Ehe, im «Schutzraum einer treuen Liebe» finden. Und man solle nicht nur beim Essen, bei den Kleidern oder der Umwelt grün und biologisch handeln, riet der verheiratete Referent (zwei Kinder) augenzwinkernd, sondern auch im Bett: «Benutze keine Chemie und keine umweltschädlichen Gummis».

Eine Mischung aus Halbgott und Ameise

Anhand der Seligpreisungen von Jesus zeigte Gracia dann den Gegensatz zwischen Moderne und christlichem Menschenbild auf und hielt noch einmal fest: «Ein Christentum, das sich selbst ernst nimmt, stösst automatisch auf Widerstand und Ablehnung. Denn es ist grundsätzlich zeitkritisch». Der heutige Mensch lebe in einem tiefen inneren Widerspruch: auf der einen Seite als rein zufälliges Produkt der Evolution und doch mit dem «Wunschbild eines zum Selbstentwurf bestimmten Wesens». Der Theologie Romano Guardini bezeichnete diesen inneren Widerspruch als «eigenartige Mischung aus Halbgott und Ameise». Die Kirche kann nach der Überzeugung von Gracia dagegen eine «echte, hoffnungsvolle Stimme sein»; schliesslich habe sie in ihrer 2000-jährigen Geschichte eine «grosse Kenntnis des Menschen angesammelt». Kein Medienhaus und keine politische Partei könne sich so viel kritische Distanz zum Zeitgeist leisten.

Gemeinschaft der Ausserirdischen

Nach dem Gespräch mit einem Pfarrer, der sich nach dem Gespräch mit einer kritischen Journalistin «wie ein Ausserirdischer» vorkam, hielt Gracia fest: «Ich glaube, dass wir uns alle wie Ausserirdische vorkommen sollten. Ich würde sogar sagen: wer sich als Christ nicht wie ein Ausserirdischer vorkommt, bei dem ist die Antenne schief gewickelt. Ausserirdisch heisst: nicht von dieser Welt. Und genau das gilt für die Kirche. Sie ist – nach Johannes – in der Welt, aber nicht von der Welt.» Das Gute dabei sei: «Ausserirdische sorgen immer für Schlagzeilen. Deshalb dürfen wir damit rechnen, dass wir medienrelevant bleiben. Und deshalb sehe ich gute Chancen für die christliche Kommunikation.»

Gerade weil die Kirche von aussen in die Welt hineinsprechen kann, dürfe sie heute nicht mit der Moral anfangen, sondern zuerst Horizonte öffnen, den Wert des Menschen und die «tiefe, zeitlose Hoffnung über Krankheit und Tod hinaus» propagieren.

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Datum: 22.11.2019
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Guiseppe Garcia

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