Gottesdienst ist mehr als Predigt
Livenet: Stefan Schweyer, was hat Sie bewogen, sich mit dem Thema Gottesdienst auseinander zusetzen?
Stefan Schweyer: Es begann, als ich selbst noch Pastor war. Da kamen Leute mit Wünschen zu mir, zum Beispiel mit Blick auf den Musikstil, aber auch mit anderen Themen. Oft ging es auch um Details. Dabei wurde mir klar, dass ich eine übergeordnete Perspektive brauchte, um sachgerecht darauf einzugehen. Vor vier Jahren entschloss ich mich dann für ein Habilitationsprojekt zum Gottesdienst an der Universität Fribourg.
Gab es dabei ein Schlüsselerlebnis?
Mir wurde deutlich, dass zwar viele Menschen in freikirchlichen Gottesdiensten mitwirken, aber nur wenige darüber reflektieren, weshalb sie es gerade so tun und nicht anders.
Was hat Sie bei ihren Recherchen bzw. ihrer Studie besonders interessiert?
Ich wollte genauer wissen, was sich in einem Gottesdienst ereignet, aber auch den theologischen Motiven nachgehen, die eine bestimmte Form von Gottesdienst hervorbringen. Einige dieser Motive sind durchdacht und können auch genannt und begründet werden. Vieles wird aber unbewusst getan, wobei die Motive dazu zwar wirksam sind, aber nicht bewusst.
Profitieren Sie bei der Leitung eines Gottesdienstes auch selbst von den gewonnenen Erkenntnissen?
In den meisten Freikirchen sind die Leute, welche den Rahmen gestalten, und die Person, die predigt, nicht dieselben. Ich war meistens in der Rolle des Predigers. Ich entschloss mich daher, auch Mitglied des Gottesdienstleitungsteams unserer Gemeinde zu werden. Damit konnte ich gewisse Erkenntnisse situativ und kontextuell einbringen.
Ein Beispiel dazu?
In freikirchlichen Gottesdiensten reden wir zwar viel über das Beten, beten aber wenig. In vielen Freikirchen ist die Gebetskultur wenig ausgebildet. Daher wurde es mir als Gottesdienstleiter wichtig, das gemeinsame Beten im Gottesdienst zu fördern.
Wie tun Sie das konkret?
Die Gebetstexte, die ich selbst spreche, überlege ich sorgfältig und immer mit dem Blick darauf, dass möglichst viele die Worte mitbeten können, dass es also zu einem gemeinsamen Gebet wird. Passend zum Predigtthema verwende ich auch andere Formen des gemeinsamen Betens, zum Beispiel das gemeinsame Beten von Psalmen, Zeiten der Stille, oder Fürbitten, an denen sich Einzelne beteiligen können – oft auch das «Unser Vater», das sonst in Freikirchen weniger praktiziert wird.
Was schätzen Sie an der heutigen Gottesdienstkultur – in Freikirchen und in Landeskirchen?
Die Stärke des freikirchlichen Gottesdienstes ist, dass er nahe an der Alltagswelt der Menschen und attraktiv gestaltet ist. Die Leute merken und schätzen das. Auf der horizontalen Ebene – der Kommunikation von Mensch zu Mensch – sind diese Gottesdienste stark. Aber die Gefahr liegt darin, dass diese Kommunikation im Banalen stecken bleibt und der Inhalt zerredet wird.
Wo sehen Sie dringenden Verbesserungsbedarf?
Sie liegt in der Vertikalen. Gottesdienst ist zuerst einmal die Begegnung Gottes mit der Gemeinde. Diese vertikale Ebene kommt oft zuwenig zum Zug und müsste gefördert werden. In der freikirchlichen Gottesdienstkultur sind wir stärker darin, über Gott zu reden als mit Gott. In der Stärkung der vertikalen Dimension liegt noch Potenzial.
Wie lautet Ihre Analyse des traditionell landeskirchlichen Gottesdienstes?
Ich habe diese Gottesdienste weniger intensiv evaluiert. Ich meine aber, dass die Stärke des landeskirchlichen Gottesdienstes darin liegt, dass er feste Elemente kennt, die sich wiederholen, wie zum Beispiel das «Unser Vater», die sorgfältig gestaltete Fürbitte oder die Sensibilität für den Segen am Schluss des Gottesdienstes.
Was muss eine gute Predigt in den Zuhörern bewirken?
Eine gute Predigt ist dann gut, wenn das geschieht, worüber sie predigt. Wenn Menschen etwas von der befreienden Kraft von Jesus Christus erfahren und davon ergriffen werden. Das kann man aber nicht einfach machen, sondern nur darauf vertrauen und darum zu bitten. Es ist letztlich ein Wunder, ein besonderes Ereignis!
Wie kann die Wirkung der Predigt durch die anderen Elemente des Gottesdienstes verstärkt werden?
Wenn es ein gutes Zusammenspiel gibt. So ist zum Beispiel der Einstieg in den Gottesdienst entscheidend. Wenn hier schon deutlich wird, dass es um die Begegnung mit Gott geht, um Bibelwort und Gebet, wird damit ein guter Boden gelegt und der Charakter des Gottesdienstes als Gottesdienst festgelegt. Die Predigt muss dann nicht beim Punkt Null beginnen, sondern kann direkt an das anknüpfen, was im Gottesdienst bereits geschah. Ausserdem sollte der Gottesdienst einen Resonanzraum bieten für das, was die Predigt bewirken will, zum Beispiel mit einem anschliessenden Vertiefungsteil. Das kann eine Zeit des Gebets und des Lobpreises sein. Das Antwortgeschehen sollte ein Teil des Gottesdienstes sein.
Fliessen die gewonnenen Erkenntnisse in Ihre Tätigkeit als Assistenzprofessor bei der STH Basel ein?
Ja, sicher. Im neuen Lehrplan, der ab September 2017 gilt, ist Gottesdienst (Liturgik) neu ein Pflichtfach und zwar in Verbindung mit der Predigtlehre (Homiletik). Das ist eine konkrete Folge meiner Forschungsarbeit. Bislang war Liturgik ein Wahlfach, das nur alle 3-4 Jahre angeboten wurde. Die STH bietet im kommenden Frühling dazu erstmals ein Seminar an, das von allen interessierten Personen besucht werden kann.
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Datum: 27.11.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet