Richter bestreiten das Recht der Eltern
Die Kölner Richter argumentierten in dem am 26. Juni 2012 veröffentlichten Urteil, die religiöse Beschneidung sei ein dauerhafter und irreparabler Eingriff. Die Beschneidung gelte auch bei Zustimmung der Eltern als Körperverletzung. Das Grundrecht des Knaben auf körperliche Unversehrtheit gehe vor. Es sei den Eltern zuzumuten, die Beschneidung aufzuschieben, bis das Kind (im beurteilten Fall ein vierjähriger Knabe) selbst entscheiden könne.
«Beispielloser und dramatischer Eingriff»
Jüdische und islamische Verbände kritisierten die Entscheidung als unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit und forderten den Bundestag auf, für Rechtssicherheit zu sorgen. Für den Zentralrat der Juden steht die Religionsfreiheit auf dem Spiel.
Das Kölner Urteil stelle einen beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften dar. Beschneidung sei für das Judentum unverzichtbar, hielt die Orthodoxe Rabbinerkonferenz fest. «Ohne das Recht auf Beschneidung ist die vom Grundgesetz zugesicherte Religionsfreiheit für das Judentum eine leere Hülle und ein reines Lippenbekenntnis.»
Was die Eltern dürfen, zum Wohl des Kindes
Der deutsche Zentralrat der Muslime kritisierte, das Urteil stelle «einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht» dar.
Für die Evangelische Kirche in Deutschland EKD unterstrich der Leiter des Kirchenamtes Hans Ulrich Anke, das elterliche Recht der Personensorge, gerade auch in religiösen Dingen, sei «ein hohes Rechtsgut, denn es trägt auch dem Gedanken des Schutzes der Familie Rechnung und dient gerade dem Wohl des Kindes. Dazu gehört auch, ein Kind in sein Umfeld und in das religiöse Leben seiner Familie hinein zu nehmen.»
Das Landgericht habe es versäumt, die Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungs- und Personensorgerechts mit dem Recht der körperlichen Unversehrtheit angemessen abzuwägen, äusserte Anke. Die Entscheidung bedürfe deshalb der Korrektur.
Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hält ein Beschneidungsverbot für verfassungswidrig. Eine Kriminalisierung der religiös begründeten Beschneidung «bedeutet nichts anderes als jüdisches Leben in Deutschland grundsätzlich für unerwünscht zu erklären», warnte der Dachverband der christlich-jüdischen Gesellschaften.
Nachhall uralter Judenfeindschaft?
In Deutschland leben etwa 105‘000 Juden und gegen vier Millionen Muslime. Nach einer Studie von 2007 waren 11 Prozent der Knaben (0-17 Jahre) beschnitten. In den USA werden mehr als die Hälfte der Knaben beschnitten, aus hygienischen Gründen.
Im Londoner Daily Telegraph prangerte der Kolumnist Brendan O'Neill das Kölner Urteil als Nachhall des hässlichen Antisemitismus im europäischen Mittelalter an. Es könne nicht hingenommen werden, dass Atheisten und Freidenker solche althergebrachten religiösen Praktiken als Kindsmissbrauch verteufelten. «Viele antijüdische Pogrome der Vergangenheit wurden damit gerechtfertigt, dass die Juden Kinder missbraucht hätten.»
Buch zum Thema:
Judentum - Religion verstehen
Datum: 02.07.2012
Quelle: Livenet / epd