Die Zukunft für Geheimchristen und Afroasiaten in der Türkei
Während des Völkermords an den Christen 1915 mussten zahlreiche im Osmanischen Reich lebende Armenier, syrisch-orthodoxe und griechisch-orthodoxe Christen – vornehmlich Kinder und Frauen – zwangsweise zum Islam konvertieren. Andere kamen ihrer Ermordung oder zumindest Vertreibung zuvor, indem sie konvertierten. Vielfach wussten die Kinder und Kindeskinder der «Konvertiten» nichts von ihrer Herkunft, in anderen Familien wurde das Geheimnis streng gehütet und christliche Traditionen heimlich weiter gepflegt.
Gemeinsamkeiten
Alle diese Kryptochristen verschiedenen Ursprungs haben etliches gemeinsam: Die Jahrzehnte, oft Jahrhunderte im Untergrund – wie etwa in Gebieten am Schwarzen Meer – haben ihr Christsein vom äusseren Gepräge und Gehabe befreit. Das gilt für ihr liturgisch und sakral-künstlerisches Brauchtum, aber auch die engen Satzungen in den orientalischen Kirchen. Das patriarchale Hohepriestertum musste einem allgemeinen christlichen Dienst von Männern und Frauen Platz machen. Schlichte Tauf- und Abendmahlsfeiern wurden an verborgenen Orten abgehalten. Oft wurde nur mehr von Mund zu Mund und Ohr zu Ohr flüsternd gepredigt.
All das hat zur Folge, dass sich in Zeiten, wo es wieder möglich ist, aus dem Untergrund zu kommen, die Re-Integration in bestehende Kirchen nur selten gelingt. Zu stark ist das aufs ganz Wesentliche konzentrierte Kryptochristentum in den Nachkommen von Armeniern, Griechisch- oder Syrisch-Orthodoxen Christen verwurzelt.
Evangelische Gemeinschaften als Aufnahmebecken
Umso mehr fühlen sich diese Untergrundchristen aber in evangelikalen Gemeinschaften mit ihrem ursprünglichen Glauben und Leben zu Hause. In den Freikirchen liegt ihre Zukunft, aber auch die Zukunft der türkischen evangelischen Christen, von denen eine Million Glaubensgeschwister in den Kellerverstecken während langer islamischer Herrschaft ausharrten.
Grosses Verkündigungspotenzial
Ein zweites, bisher wenig erschlossenes Potential für die Verkündigung von Jesus in der Türkei stellen die überraschend vielen dort «hängen gebliebenen» Afroasiaten dar, die sich in die Flüchtlingsströme aus den Kriegs- und Bürgerkriegsländern Syrien, Afghanistan, Jemen, Libyen oder Somalia gemischt haben. Die türkischen Behörden geben über ihre Zahl und Herkunft keine Auskunft, doch gibt es Hochrechnungen der Vereinigten Nationen. Sie betreffen zu den über drei Millionen, die ihr Leben vor dem islamistischen oder dem Regimeterror in Syrien in türkische Lager retten konnten, rund eine halbe Million. Sie kamen – geordnet nach ihrer Zahlenstärke – aus den folgenden Ländern: Iran, Pakistan, Kongo, Turkmenistan, Äthiopien, Usbekistan, Ägypten, Uganda, Tadschikistan, Sudan, Bangladesch, Jordanien, Mongolei, China, Dschibuti, Nigeria, Simbabwe, Marokko, Kamerun, Angola, Kirgistan, Myanmar, Burundi, Zentralafrika, Tunesien, Kongo, Saudi-Arabien, Guinea, Algerien und Togo.
Die Wanderbewegung als Herausforderung
Diese Vielfalt zeigt, dass wir es nicht mehr mit Flüchtlingen vor einem bestimmten Kriegs- oder Notzustand wie in der Vergangenheit zu tun haben. Es handelt sich um eine allgemeine Wanderbewegung wie einst zur Zeit der Völkerwanderung. Diese Menschen sind zu unterschiedlich, um ihre Probleme äusserlich rasch zu bewältigen. Natürlich muss ihnen materiell zum Überleben geholfen werden. Die wahre Hilfe, Hoffnung, Geduld und Zuversicht kann aber nur von Jesus Christus kommen.
Das katholische Beispiel
Die katholische Kirche hat die Notwendigkeit einer gezielten Hinwendung zu diesen Afroasiaten schon erkannt. Ihr wohl erfahrenster deutschsprachiger Pfarrer in Istanbul, Franz Kangler, sagte unlängst wörtlich: «Es gibt neue Herausforderungen für die Kirchen in der Türkei. So zunehmend die Christen aus Asien und Afrika, mit einer ganz eigenen Spiritualität. Darum müssen wir jetzt auch unsere Gottesdienste etwas charismatischer gestalten, damit uns diese Gläubigen nicht zu den evangelikalen Kirchen davonlaufen.»
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Datum: 05.10.2019
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet