Türkei: Bibelgesellschaft überwindet Einschüchterung
Als 1820 die Türkische Bibelgesellschaft in Istanbul gegründet wurde, hiess die Stadt noch Konstantinopel und wurde von den Sultanen regiert. Einer von ihnen, Mehmet IV., hatte überhaupt als erster 1662 bis 1666 eine Übersetzung der Bibel ins osmanische Türkisch in Auftrag gegeben. Einer ziemlich freien Verbreitung der Bibel setzte aber seit den 1920er Jahren ausgerechnet die moderne Türkische Republik Grenzen.
Dem von Kemal Atatürk gegründeten, radikal nationalistischen Staat galten Bibel und Christentum als etwas Fremdländisches, ja Artfremdes. Die Bibelgesellschaft musste ihren bis dahin mit der British and Foreign Bible Society getragenen Namen ablegen und sich auf Türkisch «Kitabi Mukaddes Sirketi» (Gesellschaft des Heiligen Buches) nennen.
Als im Jahr 1928 in der Türkei anstelle der arabischen die lateinischen Buchstaben eingeführt wurden, stellte man auch die türkische Bibel in lateinischer Schrift her. Wichtige Impulse erhielt die Bibelarbeit vor allem ab den 1950er Jahren, als sich in der Türkei evangelikale Gemeinden bildeten, die Jesus auch in die Muslimbevölkerung zu tragen begannen.
Verkündigung trotz Beschränkungen
Das unentgeltliche Verteilen von Bibeln – wie überhaupt jeder christlichen Literatur – ist in der heutigen Türkei als «Missionieren» verboten. Das Wort Gottes darf nur in den beiden Buchläden der Bibelgesellschaft in Istanbul und dem südtürkischen Adana zum Kauf angeboten werden.
Besonders gut gelingt das dem Buchladen in der «City» von Istanbul: Das 1966 in der Fussgängerzone der Einkaufs-Strasse Istiklal eröffnete Geschäft wurde allgemein als «Bibel-Botschaft» bekannt; eine Anspielung auf die zahlreichen diplomatischen Vertretungen in der Nachbarschaft. Ausserdem ist die Bibelgesellschaft regelmässig mit einem Stand auf türkischen Buchmessen vertreten.
Muslimas und Muslime greifen nach der Bibel
«Jedes Jahr verkaufen wir in der Türkei rund 20'000 vollständige Bibelausgaben und 40'000 Neue Testamente», sagt die langjährige Generalsekretärin der Türkischen Bibelgesellschaft, Tamar Karasu. Das ist eine erfreulich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass unter 80 Millionen vorwiegend islamischen Einwohnern nur knapp 100'000 Christen sind; die meisten von ihnen nicht gerade «bibeleifrige» Orthodoxe. Es handelt sich also also vorwiegend um Muslimas und Muslime, die nach Jesu Botschaft greifen.
Dies führt zu Feindseligkeit und Aggressivität fanatischer Anhänger des Islams. Die Ermordung von drei Mitarbeitern eines Buch- und Bibelverlages in der osttürkischen Stadt Malatya im April 2007 war der schlimmste Gewaltakt.
Übersetzung ins Türkisch unserer Tage
Dieser Schock wirkt bis heute nach. Doch lässt sich die Türkische Bibelgesellschaft nicht einschüchtern. Für ihr Jubiläumsjahr 2020 bereitet sie einen Atlas zur Bibel und eine Neubearbeitung der bisherigen Übersetzung vor. Die stammt aus dem Jahr 1941 mit Verbesserungen von 2001. Sie wird von allen evangelischen, aber auch katholischen und orthodoxen Christen verwendet. Inzwischen hat sich das Türkische jedoch stark verändert, so durch Ausmerzen der früher vielen arabischen und persischen Lehnwörter. Diese empfinden heute gerade junge Türkinnen und Türken als verstaubt und abgeschmackt. Die Bibel muss jedoch in frischer, zeitgemässer Sprache ansprechend angeboten werden.
Christsein keine westliche Angelegenheit
Kutsal Kitap, das Heilige Buch, hilft in der türkischen Öffentlichkeit allgemein, durch Medien und im Schulunterricht oft verzerrte Vorstellungen vom Christentum zu korrigieren. Ob es sich um gläubige Muslimas und Muslime, Atheisten oder einfach suchende Menschen handelt. In den Buchhandlungen der Bibelgesellschaft träfen viele von ihnen überhaupt zum ersten Mal mit Christen zusammen: «Die meisten Besucher verlassen die Geschäfte mit einem ganz anderen, viel besseren Eindruck, als sie ihn vorher hatten», sagt Generalsekretärin Tarasu: «Sie erfahren auch, dass Christen kein Import aus dem Westen sind, sondern erstmals diesen Namen in Antakya (Antiochien) auf dem Boden der heutigen Türkei erhielten.»
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Datum: 08.08.2019
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet