«Zuletzt wird es Frieden geben im Nahen Osten»
«Spektrum»: Was hat sich in Bethlehem in den letzten 2000 Jahren wesentlich verändert?
Hanspeter Obrist: Heute gibt es in Bethlehem keine jüdische Bevölkerung mehr. Und der Anteil der christlichen Bevölkerung hat innerhalb der letzten 40, 50 Jahre rapid abgenommen. Die Christen sind meist ausgewandert. Durch den Chrischona-Bruder Johann Ludwig Schneller sind nach 1860 die Schneller-Schulen entstanden. Daher sind dort die Christen gut ausgebildete Leute. Viele von ihnen konnten sich in andern Ländern eine wirtschaftliche Existenz aufbauen. Vor 100 Jahren war die Bevölkerung von Bethlehem noch mehrheitlich christlich. Heute nimmt ihr Anteil ständig ab.
Wie weit ist Israel heute vom Frieden entfernt?
Israel kommt dem Frieden jeden Tag einen Tag näher! Die Bibel spricht ja davon, dass es noch einen grossen Konflikt geben wird und Jerusalem zum Ärgernis für alle Völker wird. Zuletzt aber wird es Frieden geben im Nahen Osten.
Im Moment scheint die politische Lage im Nahen Osten doch etwas friedlicher zu sein.
Zurzeit ist es etwas ruhiger, das trifft zu. Doch die innere Distanz zwischen der jüdischen und der palästinensischen Bevölkerung wird grösser. Immer mehr spitzt sich der ganze Konflikt auf Jerusalem zu, vor allem auf die Altstadt und den Tempelplatz. Alles andere wäre verhandelbar. Doch für Israel sind hier keine Kompromisse möglich, weil sich Gott nach jüdischem Glauben auf dem Tempelberg offenbaren wird und weil sein Friedensreich von hier ausgehen wird. Der israelischen Regierung wäre es am liebsten, wenn man dieses Thema umgehen könnte.
Ist eine politische Lösung für den Tempelplatz denkbar?
Es gibt in Israel schon Pläne für einen geteilten Tempelplatz, ohne dass ein Abriss des Felsendoms nötig würde. Immer mehr Israelis träumen von einem friedlichen Nebeneinander der beiden Religionen auf dem Tempelplatz.
Entspricht es denn Gottes Plan, dass Israel auch 2000 Jahre nach der Friedensankündigung noch nicht im Frieden lebt?
Gottes Plan ist es, dass das jüdische Volk in eine Beziehung zu ihm tritt. Die Bibel zeigt, dass Israel immer in Konflikten mit seinen Nachbarn leben wird, wenn es nicht in enger Beziehung mit Gott lebt.
Vieles erinnert auch die Juden an die Person Jesus. Warum können sie ihn nach wie vor nicht als den von Gott gesandten Friedensfürsten erkennen?
Jesus ist nicht so gekommen, wie sie ihn erwartet hatten. Die Juden erwarten einen Messias, der politischen Frieden bringt. Selbst Johannes der Täufer hat ja gefragt: «Sollen wir auf einen andern warten?» Auch die Jünger von Emmaus hatten ursprünglich eine andere Erwartung. Es braucht eine göttliche Offenbarung, um zu erkennen, dass der Messias ein leidender Mensch war, der als verherrlichter Messias zurückkommen wird. Nach jüdisch-rabbinischer Vorstellung kann Jesus nicht der Messias sein.
So erlebt Israel momentan eine trügerische Ruhe?
Ja, es könnte eine Ruhe vor dem Sturm sein. Es «köchelt» schon. Es gibt heute zum Beispiel viel weniger freundschaftliche Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern. Man separiert sich viel mehr und dämonisiert die andere Seite. Es werden ständig neue Feindbilder aufgebaut.
Was verspricht sich Israel davon, dass US-Präsident Barack Obama gerade den Friedensnobelpreis bekommen hat?
Nichts. Obama wird in Israel kritisch betrachtet, weil er sich für die Moslems einsetzt. Interessant ist ja, dass es in Israel jeweils relativ ruhig ist, wenn eine rechte Regierung im Amt ist, die sich relativ radikal äussert. Wenn die Linke am Ruder ist und Frieden schliessen will, kommt es jedes Mal vermehrt zu Unruhen und Krieg. Ein kompromissloses Auftreten hat offensichtlich abschreckende Wirkung.
Wonach sehnt sich das jüdische Volk wirklich: nach politischem Frieden, wirtschaftlicher Blüte, dem Kommen des Messias?
Es sehnt sich einfach nach einem friedlichen Leben, einem Leben ohne Angst. Es ist sehr beunruhigend, wenn man in Sedrot oder an der Grenze zum Libanon nie weiss, wann die nächste Rakete kommt. Auch durch die ständigen Drohungen aus dem Iran gibt es einen enormen psychischen Stress. Er führt letztlich in die Lethargie. Die Leute sagen sich: «Ich lebe heute, was interessiert mich schon das Morgen?»
Wie könnte der Teufelskreis von Gewalt, Gegengewalt und Resignation denn durchbrochen werden?
Jesus sagt, dass das Reich Gottes von veränderten Menschen ausgeht. Was nützt ein «Heiliges Land» ohne heilige Menschen? Man kann die Menschen nicht von aussen verändern. Das muss von innen kommen und bewusst gewollt werden.
Wie kann es zu diesem Veränderungswillen kommen?
Dazu braucht es die eigene Kapitulation und die Erkenntnis, dass man es aus eigener Kraft nicht schafft. Veränderung kann nur mit Gottes Hilfe geschehen.
Wie weit ist das jüdische Volk von einer solchen Kapitulation entfernt?
Durch den Libanon-Krieg und den Gaza-Krieg ist das Bewusstsein gewachsen, dass militärische Überlegenheit allein nicht zum Ziel führt. Darum wächst in Israel auch das Interesse für religiöse Fragen - aber in alle Richtungen.
Wie wird in Israel Weihnachten gefeiert?
Nur die arabischen Christen feiern Weihnachten mit Kerzen und dem Weihnachtsmann wie in Amerika. Die Juden feiern Chanukka. Es fand wieder vom 11. bis 18. Dezember statt. Chanukka ist das Tempelweihfest nach Johannes 10,22 und erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels 164 Jahre vor Christi Geburt. Mit der Einweihung verbunden war das Wunder, dass das geweihte Öl nicht einen, sondern acht Tage lang gebrannt hat.
Was steht für die messianischen Juden an Chanukka im Zentrum?
Für sie ist Chanukka das Lichterfest. Nach Jesaja 49,6 betonen sie an Chanukka, dass Jesus das Licht der Welt ist. Hier liegt die grösste Differenz zwischen unserer westlichen Festkultur und der messianisch-jüdischen Kultur: Bei uns wird Weihnachten betont, für sie ist Pessach - der Auszug aus Ägypten mit Jesus als Passahlamm - das wichtigste Fest.
Wie wichtig ist Weihnachten für den israelischen Tourismus?
Bedeutend ist er nur für Jerusalem und Bethlehem, weil dann viele katholische Pilger kommen, die hier die Mitternachtsmesse feiern wollen. An Weihnachten ist auch die Grenze während der ganzen Nacht offen. Paradox ist, dass viele Israelis doch irgendwie Weihnachten erleben wollen, indem sie Weihnachtskonzerte besuchen.
Wie gehts den Christen im Gazastreifen?
Ein grösserer Teil ist in die Westbank ausgewandert. Von etwa 120 evangelischen Christen sind vielleicht 30 geblieben. Doch in der Zwischenzeit sind hier etliche Muslime zum Glauben an Jesus gekommen. Genaue Angaben macht niemand, denn man will nicht noch mehr unter Druck kommen. Die Bibelgesellschaft, mit der wir zusammenarbeiten, muss heute jedenfalls vom Untergrund aus operieren.
Was macht Ihnen Hoffnung für die Zukunft von Israel?
Mich lässt hoffen, dass Jesus nach wie vor um das jüdische Volk wirbt. Er steht zu seinen Verheissungen. Und nach wie vor erleben es Menschen, dass sie durch Jesus Hoffnung und Frieden auf Erden bekommen können.
Was sollen Schweizer Christen dem Volk Israel wünschen?
Der grösste Wunsch ist der, dass Israel und Jerusalem Frieden erleben werden. Und zwar einen Frieden, der mehr ist als ein politischer Frieden.
Das vollständige Gespräch mit Hanspeter Obrist finden Sie in der aktuellen Ausgabe von «idea Spektrum Schweiz».
Webseite: www.amzi.org
Datum: 25.12.2009
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz