«Krieg kann nicht Gottes Wille sein»
Sie sind von Aussenseitern im russischen Raketenhagel zu Mitverteidigern der ukrainischen Freiheit geworden. Noch fahren im zentralukrainischen Winnyzja die ihr von der Stadt Zürich nach der Wende gespendeten blau-weissen Strassenbahnen, am Ufer des Bug steht bisher unbeschadet die Baptistenkirche «Haus des Evangeliums», eines der grössten evangelischen Gotteshäuser von ganz Europa.
Umso mehr fallen unscheinbare Bethäuser (Dim Molitvy) im ganzen Land Wladimir Putins Flächenbombardements zum Opfer, die ganze Stadtviertel und Orte samt Kliniken und den Bombenkellern der Zivilbevölkerung «ausradieren». So auch Kirchen der trotz allem moskautreuen Orthodoxie, wo Ausgebombte, ihrer Kinder oder Eltern beraubte Menschen Kerzen anzünden und vor den Ikonen von Schutzheiligen ums eigene Überleben flehen. Um ein wunderbares göttliches Eingreifen in die Hölle ringsum beten auch alle freikirchlichen Christen.
«Volksrepubliken» verbieten Baptistenkirchen
Nach einem Ende der Feindseligkeiten könnte alles für alle nur besser werden, meinen viele schon abgekämpft und erschöpft. Dass dem nicht so sein muss, zeigt das Vorgehen der Russen in den schon 2014 besetzten und jetzt mitten im Krieg als unabhängige Staaten anerkannten ostukrainischen Gebieten: dem so genannten Donbass. Dort wurde sogleich den Baptisten das Abhalten von öffentlichen und auch hauskirchlichen Gottesdiensten verboten. Pastoren wurden ihre Autos weggenommen, damit sie keine «Propagandafahrten» mehr unternehmen könnten.
Die frischgebackenen «Volksrepubliken» von Donezk und Luhansk haben überhaupt den «Allukrainischen Bund von Evangeliumschristen/Baptistengemeinden», der sogar die Stalinzeit überdauert hatte, zu einer «extremistischen religiösen Organisation mit destruktiven Aktivitäten» erklärt und unter dieser Begründung verboten. Dagegen protestierte in Kiew der «Gesamtukrainische Rat von Kirchen und Religionsgemeinschaften», in dem die Baptisten eine wichtige Rolle spielen. Die wird aber zu Ende sein, wenn Russland diesen Krieg um die Ukraine gewinnen sollte.
Kriegsgefangene austauschen
Das Gremium, dem 16 christliche, jüdische und islamische Glaubensgemeinschaften angehören, hatte sich nach der ukrainischen Unabhängigkeit von 1991 konstituiert. Als wichtigen Schritt zur Entspannung drängt es jetzt auf einen Austausch der Kriegsgefangenen. Auch die Geistlichen in der Russländischen Föderation sollten die Rückkehr von Gefangenen zu ihren Familien unterstützen. «Menschen mit geistlicher Autorität – gemeint ist der orthodoxe Patriarch Kyrill von Moskau – könnten Menschen retten, die in den Klauen dieses schrecklichen Krieges gefangen sind.»
Menschlichkeit gegenüber russischen Soldaten
Die ukrainischen Streitkräfte zeigten laut des Rates «Menschlichkeit» gegenüber russischen Soldaten: «Sie erhalten medizinische Versorgung, Lebensmittel, Wasser und werden in warmen Räumen untergebracht.» Mit dieser Haltung beweise die ukrainische Armee, dass sie sich an die Normen des humanitären Völkerrechts halte. Die Ukraine wolle den Krieg und das Blutvergiessen beenden, was möglich sei, sobald das russische Militär zu seinen ständigen Stützpunkten zurückkehre und aufhöre, friedliche Städte und Dörfer in der Ukraine zu zerstören.
Baptisten mit landesweitem Hilfsprogramm
Zur Linderung der durch den Krieg hervorgerufenen Nöte hat der Präsident des ukrainischen Baptistenbundes, Igor Bandura, ein landesweites Hilfsprogramm aufgebaut. So gibt es an mehreren strategisch günstig gelegenen Orten, darunter in Lemberg, Lagerhäuser, von denen aus humanitäre Hilfsgüter verteilt werden. Gearbeitet wird an einem Projekt, über das Eisenbahnnetz Güter in schwer erreichbare Städte zu bringen. Während es an vielen Orten noch möglich ist, Geld abzuheben, ist das Bankensystem an anderen Orten bereits zusammengebrochen.
Noch sind Lebensmittel und andere Güter im Land verfügbar, aber Igor Bandura befürchtet, dass sich das bald ändern könnte. Diese Befürchtung teilt auch die Synode der Europäischen Brüder-Unität, die ab dem 5. März an ihrem Gründungsort Herrnhut in der Lausitz tagte. Dazu trafen Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet ein. Drei Mütter berichteten von ihren schrecklichen Erlebnissen der letzten Tage. Die Synode fühlte sich dadurch von der kalten und nahen Wirklichkeit des Krieges tief berührt: «Wir glauben und bekennen wir, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll. Er ist kein Mittel, um Konflikte zu lösen, sondern stürzt unzählige Menschen in Not und Verderben.»
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Datum: 24.03.2022
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet