Nach schweren Ausschreitungen

Pakistan: Polizei verhaftet 146 Muslime und 2 Christen

Ruine eines verbrannten Hauses (Symbolbild)
In einem christlich geprägten Viertel in der Stadt Jaranwala in der Provinz Punjab kam es in der vergangenen Woche zu massiven Gewaltakten gegen Christen, ihre Häuser, Kirchen und Friedhöfe. Der Vorwurf: Blasphemie.

Ein Mob hatte aus Wut über die angebliche Schändung des Korans rund ein Dutzend Kirchen und fast zwei Dutzend Häuser von Christen angegriffen und zum Teil niedergebrannt, wie die Behörden am Donnerstag mitteilten. Unter anderem wurden eine Kirche der Heilsarmee und der Presbyterianer sowie zwei Kirchen evangelikaler Gemeinden verwüstet und angezündet und ein christlicher Friedhof entweiht.  

Christen fassungslos

«Wir sassen zu Hause, als wir plötzlich hörten, dass ein Mob kam, Häuser anzündete und Kirchen angriff», sagte Shazia Amjad, die weinend vor ihrem niedergebrannten Haus stand. Der Mob habe Hausrat und Möbel verbrannt und einige ihrer Besitztümer gestohlen, während sie mit ihrer Familie an einen sicheren Ort fliehen konnte. Andere Christen schilderten fassungslos ähnliche Gewaltakte. Azeem Masih sass weinend vor den rauchenden Resten seines Hauses und berichtete, dass einige der Randalierer mit Fahrzeugen gekommen seien, um den Hausrat der Christen abzutransportieren, nachdem sie Möbel und andere Gegenstände verbrannt hatten. «Warum haben sie uns das angetan? Wir haben nichts Falsches getan», sagte er.

Wütender Ausbruch

Der Polizeichef der Stadt, Bilal Mehmood, erklärte, die Beamten hätten Raja Amir und einen Freund verhaftet, die von örtlichen Muslimen beschuldigt worden waren, Seiten aus einem Koran herausgerissen, beleidigende Bemerkungen auf andere Seiten geschrieben und das Buch auf den Boden geworfen zu haben. Die Richtigkeit dieser Vorwürfe liess sich nicht bestätigen.

Der regionale Polizeichef Rizwan Khan sagte, sehr schnell habe sich eine Menge versammelt und begonnen, Kirchen und christliche Häuser anzugreifen. Die Randalierer stürmten auch das Büro eines Stadtverwalters, doch die Polizei griff ein, schoss in die Luft und setzte Schlagstöcke ein, um die Angreifer, auch mit Hilfe muslimischer Geistlicher und Ältester, zu vertreiben.

Videos und Fotos in sozialen Medien zeigen, wie eine aufgebrachte Menge eine Kirche stürmt, Ziegelsteine wirft und sie in Brand setzt. In einem anderen Video werden vier weitere Kirchen angegriffen und deren Fenster eingeschlagen, während die Angreifer Möbel nach draussen werfen und sie anzünden. Ein weiteres Video zeigt einen Mann, der auf das Dach einer Kirche klettert und ein Stahlkreuz entfernt, nachdem er wiederholt mit einem Hammer darauf geschlagen hat, während eine Menschenmenge ihm zujubelt.

«Ein solcher Wahnsinn kann nicht zugelassen werden»

Die Behörden setzten Militär und paramilitärische Truppen ein, um die Ordnung wiederherzustellen, und die christlichen Bewohner kehrten am Donnerstag langsam in ihre zum Teil zerstörten Häuser zurück. Die Gewalt wurde landesweit verurteilt, und der amtierende Premierminister Anwaarul-ul-Haq Kakar wies die Polizei an, für die Festnahme der Randalierer zu sorgen. Der Polizeichef erklärte, 146 Personen seien als mutmassliche Randalierer festgenommen worden und die Situation sei unter Kontrolle.

Pakistans früherer Premierminister, der bis vor wenigen Tagen noch im Amt war, verurteilte die Ausschreitungen. «In keiner Religion ist Platz für Gewalt. Alle religiösen Orte, Bücher und Persönlichkeiten sind heilig und verdienen unseren höchsten Respekt», schrieb Shehbaz Sharif auf X und ergänzte: «Ein solcher Wahnsinn kann nicht zugelassen werden.»

Regierungsbeamte erklärten, dass alle beschädigten Kirchen und Häuser innerhalb einer Woche repariert und die Opfer entschädigt würden.

«Gut durchdachte Verschwörung»

Der Informationsminister von Punjab, Amir Mir, erklärte, eine erste Untersuchung der angeblichen Koranschändung habe ergeben, dass es sich bei dem Vorfall um eine «gut durchdachte Verschwörung zur Aufhetzung der öffentlichen Meinung» handle. Er ging nicht näher auf seine Behauptungen ein.

«Die Sicherheitsvorkehrungen für die Kirchen wurden verschärft und eine grosse Anzahl von Sicherheitskräften wurde eingesetzt», so Mir in einer Reihe von Beiträgen auf X, der sozialen Plattform, früher bekannt als Twitter.

Knackpunkt Blasphemiegesetze

Amnesty International forderte die Abschaffung der umstrittenen Blasphemiegesetze. Nach den pakistanischen Blasphemiegesetzen kann jeder, der den Islam oder islamische religiöse Persönlichkeiten beleidigt, zum Tode verurteilt werden; Blasphemievorwürfe werden oft dazu benutzt, religiöse Minderheiten einzuschüchtern und persönliche Rechnungen zu begleichen.

Auch wenn die Behörden bisher noch kein Todesurteil wegen Blasphemie verhängt haben, reicht eine Beschuldigung oft aus, um den Mob zu Gewalt, Lynchjustiz und Mord anzustacheln. So stürmte im Februar eine Menschenmenge eine Polizeiwache und tötete einen Mann. Im März enthaupteten drei Lehrerinnen einer islamischen Mädchenschule eine Kollegin.

Vedant Patel, Sprecher des US-Aussenministeriums, forderte Pakistan zu einer umfassenden Untersuchung der neuesten Gewaltakte auf. «Wir unterstützen die friedliche Meinungsfreiheit und das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit für alle», sagte er am Mittwoch in Washington.

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Datum: 19.08.2023
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Deutsche Welle / AP / Al Jazeera

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