Juden finden vermehrt zu Jesus

«Die Erkenntnis verbreitet sich weitaus schneller als früher»

Seit bald 50 Jahren steht die «Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel» (AMZI) messianischen Juden und arabischen Christen bei. Mittlerweile existieren in Israel rund hundert messianische Gemeinden, einige davon werden von Arabern und Juden besucht. Zudem verbreitet sich die Erkenntnis, dass Jesus «etwas Gutes, jüdisches ist» weitaus schneller als früher, sagt Martin Rösch, theologischer Leiter von AMZI im Interview mit Livenet.
Martin Rösch

Martin Rösch, seit Jahren setzt sich die AMZI für arabische Christen und messianische Juden ein - wie hat sich dieses Miteinander in den letzten Jahren verändert?
Martin Rösch: In den letzten Jahren ist der Anteil arabischer Christen in den palästinensischen Gebieten deutlich zurückgegangen. Viele von ihnen sind ausgewandert, insbesondere nach Südamerika. Sie sehen für sich keine Zukunft mehr in einer Gesellschaft, die immer mehr islamisch geprägt ist. Dass arabische Christen genauso wie Muslime von den Sicherheitsmassnahmen Israels betroffen sind, also nur mit Genehmigung die Checkpoints in Richtung Israel passieren können, dass die Arbeitslosigkeit in den palästinensischen Gebieten hoch ist, sind nicht die einzigen Gründe für die erwähnte Abwanderung. In Israel profitieren arabische Christen von Religionsfreiheit und haben die vollen Bürgerrechte. Arabische Christen auf der palästinensischen Seite können sich nicht öffentlich positiv zum Existenzrecht des Staates Israel äussern. Unter arabischen Christen in Israel hingegen gibt es solche, die freiwillig Dienst in der israelischen Armee leisten, sich also mit dem Staat identifizieren.

Juden in Israel, die sich zu Jesus als ihrem Messias bekennen, verstehen sich mehrheitlich nicht als Christen, weil das Christentum von vielen jüdischen Menschen noch immer als dem jüdischen Volk gegenüber feindliche Religion eingeschätzt wird. Dies äussert sich auch in der Weise, dass Juden, die sich Jesus als Messias zuwenden, als dem jüdischen Volk verloren Gegangene betrachtet werden – im Widerspruch zum Selbstverständnis messianischer Juden. Hat es in den 1960er Jahren nur eine einzige messianisch-jüdische Gemeinde in Israel gegeben, so sind es heute gut 100. Die Gesamtzahl messianischer Juden in Israel schwankt in den Schätzungen zwischen 10'000 und 15'000. Inzwischen nehmen auch die Medien in Israel die messianischen Juden wahr. Messianische Juden nutzen die Religionsfreiheit im Land und gehen mit der Botschaft vom jüdischen Messias auf unterschiedlichen Wegen an die Öffentlichkeit – mit Anzeigen in Zeitungen beispielsweise und in wachsendem Umfang über Internet-Plattformen.

Gibt es viele Gemeinden, in denen Menschen beider Seiten gemeinsam Gottesdienste feiern; und wie sieht das aus?
Die Zahl der Gemeinden, in denen arabische Christen und messianische Juden gemeinsam Gottesdienst feiern, ist klein. Als AMZI sind wir seit langem verbunden mit der relativ grossen messianischen Gemeinde auf dem Karmel-Gebirge bei Haifa, wo betont wird, dass Juden und Nichtjuden in der Gemeinde Jesu den «einen neuen Menschen» bilden, wie es in Epheser 2 Vers 15 steht. Dort wirkt regelmässig ein arabischer Pastor einer Tochtergemeinde an der E-Gitarre im Schabbat-Gottesdienst mit. Ein anderer arabischer Pastor übersetzt gelegentlich Prediger aus dem Englischen ins Hebräische. Die eigenen Gemeinden dieser Pastoren feiern am Sonntag Gottesdienst. Eine weitere messianisch-jüdische Gemeinde in Haifa hat einen arabischen Pastor. In verschiedenen messianisch-jüdischen Gemeinden gibt es arabische Jesus-Nachfolger als reguläre Gemeindemitglieder. Von ihnen wird nicht viel Aufhebens gemacht. Das Miteinander von jüdischen und arabischen Jesus-Nachfolgern in Israel wird erleichtert, wenn arabische Gemeindeglieder in der hebräischen Sprache zu Hause sind. Die umgekehrte Situation ist selten. Immer wieder feiern jüdische und arabische Gemeinde einzelne Gottesdienste gemeinsam.

Verzeichnen Sie manchmal auch Rückschläge?
Sobald es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern kommt, erschwert dies auch das Miteinander von jüdischen und arabischen Nachfolgern Jesu. Auch sie stehen dann in der Gefahr, Vertretern der jeweils anderen Seite mit Zorn und Misstrauen zu begegnen. Als hilfreich hat sich erwiesen, wenn der Gesprächsfaden in Krisenzeiten zumindest über das Telefon aufrechterhalten wird. Differenzen zeigen sich auch im Umgang mit der Bibel. Nicht wenige arabische Christen tun sich ausgesprochen schwer damit, die Rückkehr des Volkes Israel aus aller Welt ins Land der Väter als heilsgeschichtlich bedeutsames Geschehen, das heisst als Erfüllung biblischer Prophetie zu verstehen.

Vor wenigen Wochen hat die AMZI eine Woche lang je ein Ehepaar von der israelischen und der palästinensischen Seite zu Gast gehabt. Anlass dafür waren Begegnungen mit Gemeinden in der Schweiz und in Deutschland. Arabisches und Jüdisches ist mit diesen vier Menschen aufeinander getroffen. Dass dies in versöhnter Verschiedenheit möglich geworden ist, verdanken die Gäste und wir als AMZI dem, von dem der Apostel Paulus geschrieben hat: «Er ist unser Friede», wie es in Epheser 2 Vers 14 beschrieben ist.

Sind die Menschen vor Ort offen für den christlichen Glauben oder offener als auch schon?
In Israel ist es für jüdische Menschen vielfach etwas völlig Neues, dass der Glaube an Jesus etwas «gut Jüdisches» sein soll. Diese Erkenntnis verbreitet sich heute weitaus schneller als in früheren Jahrzehnten. Auf der einen Seite müssen messianische Juden mit harter Ablehnung insbesondere von orthodox-jüdischer Seite rechnen, wenn sie sich zu Jesus und seiner weltweiten Gemeinde bekennen. Andererseits gibt es orthodoxe Juden, die Interesse an Jesus und an den Schriften des «Neuen Bundes» zeigen. So hat vor einiger Zeit ein Vertreter dieser Bevölkerungsgruppe in Israel einen Buchladen der dortigen Bibelgesellschaft betreten mit der Frage: «Habt ihr das Buch?» Er hatte also die Scheu noch nicht überwunden, den zweiten Teil der Bibel beim Namen zu nennen. Dementsprechend hat er sich «das Buch» auch diskret verpacken lassen – aus begründeter Furcht, in seinem eigenen Umfeld schwere Vorwürfe zu ernten. Wie in anderen Gegenden der Welt auch sind die Menschen im Nahen Osten in Krisenzeiten offener für Gott; dies gilt für Juden wie Araber. Das Internet bietet hier grossartige Möglichkeiten für suchende Menschen, sich über den Glauben an Jesus zu informieren. Sowohl auf Hebräisch wie auf Arabisch gibt es Plattformen mit Videoclips über Glaubensfragen, Erlebnisberichten und Chat.

Mit wie vielen Gemeinden und Werken arbeiten Sie zusammen?
Die AMZI erhält von etwa 50 Gemeinden und Werken mehr oder weniger regelmässig Informationen und Gebetsanliegen und verbreitet diese in ihrer wöchentlichen Gebets- und Informationsmail sowie im zweimonatlich erscheinenden Magazin «focus israel». Die Kontakte sind in ihrer Intensität sehr unterschiedlich; vom gelegentlichen Empfang von Rundbriefen bis zum näheren Begleiten von einzelnen Werken. Dies trifft vor allem auf einzelne kleine Arbeiten zu, die sehr evangelistisch tätig sind. 

Welche Projekte und Anlässe stehen als nächstes bei der AMZI an?
Neben den jedes Jahr stattfindenden Begegnungstagen bewegt sich die AMZI langsam auf ein Jubiläum zu: 2018 werden fünfzig Jahre vergangen sein seit ihrer Gründung als Zweigwerk der damaligen Pilgermission St. Chrischona. Heute gehört die AMZI als selbständiger Verein mit einem Schweizer und einem deutschen Zweig zum Verband Chrischona International.

Was berührt Sie bei Ihrer Arbeit besonders?
Wenn wir von Menschen lesen und hören, die aus neugierigem und zweifelndem Interesse zur Gewissheit finden, wenn sie Angenommen- und Geborgen-Sein beim jüdischen Messias Jesus erleben und dies auch bezeugen. Dies geschieht heute unter jüdischen und vor allem arabisch-muslimischen Menschen vielfach durch Träume und Visionen, aber auch durch das Anschauen von Videos im Internet. Jesus begegnet ihnen als Sohn des lebendigen Gottes, und er lädt sie liebevoll dazu ein, ihm nachzufolgen.

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Datum: 13.08.2016
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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