Heiner Studer: „Politik faszinierte mich von Jugend an“

Heiner Studer, Nationalrat EVP

Die Wahl in den Nationalrat im Herbst 1999 war für mich eine neue Chance.

Meine Tätigkeit als Geschäftsführer des Blauen Kreuzes der deutschen Schweiz gab ich folglich ab. Ich blieb Vizeammann (Vize-Stadtpräsident) meiner Gemeinde und wurde faktisch Berufspolitiker. Daneben bin ich gerne bereit, Führungsaufgaben in christlichen und gemeinnützigen Werken zu übernehmen. Dazu gehört insbesondere das Präsidium des Theologisch-Diakonischen Seminars Aarau wie auch der Einsatz für Menschen mit Alkoholund Drogenproblemen (Blaues Kreuz und stationäre Suchthilfe).

Politik faszinierte mich von Jugend an. Schon vor meinem 18. Geburtstag betätigte ich mich aktiv. Ich wählte die Evangelische Volkspartei, weil mir ihre Politik ideell am Nächsten lag. Es wurde mir damals rasch bewusst, dass es wichtig war zu klären,welche Motivation mich prägt. Der Glaube an Jesus Christus ist für mein Leben zentral. Für mich steht im Vordergrund, biblische Werte in der Öffentlichkeit umzusetzen. Dabei ist immer klar, dass Gottes Wort zu den meisten Fragen nicht eine direkte Antwort gibt, dass jedoch die Bibel klare Kriterien zur eigenen, verantwortlichen Beurteilung schenkt. Weiter wurde mir bewusst, dass diejenigen, die schon Einfluss und Macht haben, mich nicht brauchen. Leitlinie wurde mir vielmehr ein Kanon,den ich in einer Ferienwoche als Neunjähriger lernte: «Der hat sein Leben am Besten verbracht, der die meisten Menschen hat froh gemacht.» Durch die Politik lernte ich anfangs der Siebziger Jahre meine Frau Marit aus Norwegen kennen.Von norwegischen Politikern, welche bewusst als Christen in der Öffentlichkeit tätig sind, lernte ich viel.

Am Anfang war für mich geprägt von der neuen politischen Mitverantwortung auf Bundesebene. Das Kennenlernen der Menschen und Strukturen war wesentlich. Mit der Problematik der gefährlichen Hunde musste ich mich auf politischer Ebene befassen. Ich lernte viel über Menschen und ihre Reaktionen aufgrund ihrer Beziehung zu den Hunden.

Im Blick auf das kommende Zeit bin ich dankbar, wenn es auf der persönlichen und familiären Ebene so weitergehen darf wie jetzt. National, europaweit und weltweit habe ich drei mir besonders wichtige Grundanliegen:

Wir leben in einer zu egoistischen, auf sich und seine Interessenvertreter bezogenen Welt. Mehr Nächstenliebe in der Praxis, im zwischenmenschlichen,sozialen,politischen und wirtschaftlichen Bereich wäre wichtig. Solidarität im echten Sinne sollte zum Leitwort werden.

Wir leben auch in einer Zeit, in der das Leben von der Zeugung bis zum natürlichen Tod zu wenig geschützt ist. Dabei geht es mir u.a. um den Schutz des ungeborenen Lebens, um ein würdiges Leben im Alter; aber auch um die Menschen, die durch Hunger und Krieg bedroht sind. Der Mensch mit seiner Würde sollte wieder im Zentrum stehen.

Die Erde ist Gottes Schöpfung und damit seine Leihgabe, für die wir Verantwortung tragen. Der Schutz unserer Umwelt gehört für mich zu unserem Auftrag.Wir werden für den Umgang mit den uns gegebenen Gaben (inklusive finanzielle Mittel) verantwortlich sein.

Interview

Warum haben Sie so Angst vor Hunden?

Heiner Studer: Angst vor Hunden? Wenn damit meine parlamentarische Motion für ein Verbot von Kampfhunden angesprochen wird, so ging es mir um ein Problem, das viele Menschen echt beschäftigt. Wenn man jedoch aus Angst politische Aktionen starten würde, ginge es sowieso schief!

Warum kämpft ein Christ ausgerechnet gegen Kampfhunde?

So habe ich immer politisiert: Wenn ein Problem auftaucht, frage ich mich nie, wie populär es ist, sondern ob ich mich persönlich dieser Frage stellen muss. Natürlich gibt es hier für einen Christen einen klaren Zusammenhang: Es geht um den Menschen, der in der göttlichen Werthierarchie zuoberst steht und einen ersten Anspruch auf Schutz hat. Aber dann geht es auch um den korrekten Umgang mit dem Tier. Auch das Tier ist eine Schöpfung Gottes, aber es steht hinter dem Menschen.

Was war für Sie die grösste Überraschung im Nationalrat?

Als sehr positiv erlebe ich das gute zwischenmenschliche Klima zwischen den einzelnen Ratsmitgliedern, auch mit den Mitgliedern des Bundesrates. Das Klima ist viel besser, als man es aufgrund von Medienberichten meinen könnte.

Die grösste Enttäuschung?

Dass der Egoismus auch auf dieser Ebene sehr stark zum Zug kommt. Von den meisten Seiten wird zum Beispiel erwartet, dass der Bund mit seinen Mitteln sehr sparsam umgeht. Gleichzeitig fordert man aber für die eigenen Interessen zusätzliche finanzielle Mittel...

Wie viele gute Freunde haben Sie unter der Bundeskuppel gefunden?

Aus allen Fraktionen habe ich viele Leute so kennengelernt, dass ich in grossem Vertrauen mit ihnen zusammenarbeiten kann. Darunter habe ich auch etliche gute Freunde gefunden. Das gilt vor allem für Parlamentarier, die regelmässig am Mittwoch zu den überkonfessionellen Besinnungen kommen. Für diese Zusammenkünfte bin ich nach dem Rücktritt von Otto Zwygart mit zuständig. In dieser Funktion konnte ich damals auch Bundespräsident Dölf Ogi verabschieden, der einer der treuesten Besucher dieser Besinnungen war.

Fristenlösung, Sterbehilfe und anderes mehr, wie vertreten Sie ihre Anliegen?

Überzeugte Christen sind immer stark herausgefordert. Vor allem gegen die Fristenlösung habe ich mich sehr stark engagieret. Ich habe gemerkt, dass ich hier ernst genommen werde, wenn ich als Christ sachlich auftrete, ohne Andersdenkende anzugreifen. Ich muss anderen nicht sagen, dass sie falsch liegen, sondern ich habe zu begründen, warum ich als Christ eine andere Haltung vertrete. Und ich kann hoffen, dass ich verstanden werde.

Was bewirken Sie effektiv?

Ich bewirke jedenfalls, dass intensiv darüber geredet wird, auch im kleinen Kreis.

Sie sind seit bald 30 Jahren politisch tätig. Was sagt Ihre Frau zu diesem Leben für die Politik?

Ich habe meine Frau an einer Konferenz in Holland kennengelernt, also durch die Politik! Sie war vollamtlich in der Jugendorganisation der Christlichen Volkspartei in Norwegen tätig. Darum war auch der spätere norwegische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik unser Trauzeuge. Ihr war früh bewusst, dass die Politik immer ein Schwergewicht in meinem Leben sein würde.

Noch beginnt unsere Bundesverfassung «Im Namen Gottes». In welcher moralischen Verfassung ist unser Land?

Wir erleben in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine starke Auflösung von Normen und Werten. Man kann kaum mehr sagen, was unsere Gesellschaft hält und trägt. Auf der anderen Seite höre ich bei vielen Kontakten mit jungen Menschen, dass sie durchaus wieder bereit sind, Werte anzunehmen, wenn sie einen Sinn darin sehen können. Ich denke zum Beispiel an Verbindlichkeit und Treue in Beziehungen, vor allem in der Ehe, oder auch an die Bewahrung der Schöpfung.

Wie gross ist der Einfluss der Christen in unserer Gesellschaft noch?

Christen haben in einer demokratischen Gesellschaft nach wie vor grosse Möglichkeiten, um Einfluss zu nehmen. Aber sie müssen in gewissen Bereichen auch mit Teilerfolgen zufrieden sein. Ich bin nicht sicher, ob die Gesellschaft früher so viel christlicher war. Ich gehe aber davon aus, dass die biblischen Werte auch für unsere heutige Gesellschaft gut sind. Darum müssen wir Christen uns in allen Bereichen bewusst engagieren und versuchen, Einfluss zu gewinnen. Nur so können biblische Werte wieder vermehrt Beachtung finden.

Was können Christen für diese Gesellschaft tun?

Wir sollen uns um das Wohl der Gemeinschaft kümmern und für sie beten. Das gehört zusammen. Wir sollen Menschen für Jesus gewinnen - das ist das Zentrale. Aber daraus folgt auch, dass sich überzeugte Christen bewusst für die Gesellschaft einsetzen.

Christen sind für diese Gesellschaft mitverantwortlich - klar. Aber wo beginnt das?

Im Kleinsten! Das beginnt im Quartier, im Dorf oder in der Stadt, überall. Politik ist alles, was einer gemeinsamen Regelung bedarf. Wenn in einer Quartierstrasse zu rasch gefahren wird, kann schon die erste politische Aktion beginnen.

Eine junge Frau von 19 oder 20 Jahren möchte politisch aktiv werden. Was soll sie tun?

Sie soll sich mit aktuellen Abstimmungen auseinandersetzen. Dort, wo sie sich besonders angesprochen fühlt, soll sie in die Tiefe gehen. Dann soll sie sich bei Leuten melden, die schon politisch tätig sind, und sich zeigen lassen, wie und wo praktische Schritte möglich sind. Das kann in einer Arbeitsgruppe, einer Kommission oder einer Partei der Fall sein.

Würde Jesus heute einer Partei beitreten?

Das nehme ich nicht an, weil Jesus über unseren menschlichen Strukturen steht. Aber er würde uns sicher ermutigen, unsere Überzeugung überall dort einzubringen, wo es möglich ist. Er würde uns ermutigen, in der Gesellschaft Licht und Salz zu sein.

Datum: 10.04.2002
Autor: Heiner Studer
Quelle: Reflexionen

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