Im Dschungel der Berufswahl

Wie Eltern bei der beruflichen Orientierung helfen können

Stephan Münch hat viel Erfahrung mit Jugendlichen in der Berufswahl
Stephan Münch unterstützt Jugendliche in ihrer Berufswahl. Dass dies für den Jugendlichen wie auch für die Begleitpersonen herausfordernd sein kann, weiss er gut! In diesem Beitrag erzählt er von seiner Erfahrung und gibt praktische Tipps.

Als ich Cora kennenlernte, war sie 19 Jahre alt und stand kurz vor ihrem Abitur. Sie hatte glänzende Noten, ein Einser-Schnitt war ihr sicher. Weil Cora vielseitig begabt war (sprachlich, wissenschaftlich, künstlerisch), gab es eine grosse Frage in ihrem Leben: Was um alles in der Welt soll sie jetzt mit ihrem Abitur anfangen? Ihr stehen so viele Türen offen, aber durch welche soll sie gehen? Im Gespräch meinte sie: «Ich würde gern studieren, weiss aber nicht, was oder wie. Ich habe viele sehr unterschiedliche Interessen, aber keine Ahnung, welchen Weg ich gehen soll. Wenn ich an meinen späteren Beruf denke, fühle ich mich unvorbereitet, unerfahren und unsicher.» Deshalb entschied sich Cora erst einmal zu einem Orientierungsjahr. In dieser Zeit konnte sie Stück für Stück ihren Berufswunsch herausarbeiten.

So wie Cora geht es vielen jungen Leuten. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2023 stellte fest, dass über ein Drittel aller Schulabgänger nicht weiss, wohin es gehen soll. Die Schule ist ihnen keine besonders grosse Hilfe. 49 Prozent fühlen sich von der Schule nicht auf das Berufsleben vorbereitet. Viele der Heranwachsenden ergreifen irgendeinen Beruf oder studieren irgendetwas – auch wenn es ihnen nicht liegt. Dadurch entstehen Unzufriedenheit und Unsicherheit. Das führt dazu, dass fast 30 Prozent aller Lehrlinge ihre Ausbildung und 28 Prozent der Bachelor-Studierenden ihr Studium abbrechen.

Fünf Tools zur Unterstützung

Wie können wir als Eltern unsere Kinder unterstützen, damit sie ihren Weg finden – mitten durch diesen Dschungel der Überforderung hindurch? Wie gelingt es uns, ihnen Sicherheit, Mut und Liebe zu geben – damit sie aufrecht und entschlossen durch die Herausforderungen gehen können? Ich möchte dafür fünf praktische Tools an die Hand geben:

  1. Vertraue deinem Sohn/deiner Tochter
    Eine der grössten Herausforderungen für Eltern – ich kenne das aus eigener Erfahrung – ist das Loslassen. Heranwachsende müssen ihren eigenen Weg gehen dürfen. Das ist oft nicht so einfach. Vor allem, wenn sie etwas tun, was man sich nicht für sein Kind vorgestellt hat. Aber es ist die Grundvoraussetzung für eine gute Charakterentwicklung und die eigene Identitätsbildung junger Menschen.
     
  2. Vertraue dein Kind Gott an
    Als ich selbst mit 21 Jahren von zu Hause auszog, rechnete ich es meinen Eltern hoch an, dass sie mich innerlich losgelassen haben. Sie fragten zwar hin und wieder nach, mischten sich aber in keine meiner Entscheidungen ein. Aber was ich unglaublich geschätzt habe: Sie beteten für mich. Das habe ich übernommen: Ich bete nahezu jeden Tag für unsere vier Kinder im Alter von 17 bis 23 Jahren. Die Kinder Gott anzuvertrauen, ist das Beste, was wir für sie tun können.
     
  3. Herausfinden, welcher Beruf passt
    Bei unserem Orientierungsjahr Lebenstraum haben wir einen drei Monate dauernden intensiven Berufsfindungsprozess. Wir bieten Bewerbungstraining und Einzelgespräche an und bekommen Unterstützung von der Agentur für Arbeit. Aber das entscheidende Tool für die Berufsfindung ist ein Test, den wir mit den jungen Erwachsenen machen. Dieser kostenlose Test gibt einen genialen Überblick über Berufsgruppen, die zu einem passen würden, und zeigt, welche Berufe den persönlichen Gaben entsprechen. Diesen Test (Dauer ca. 1,5 Stunden) findet ihr hier. An dieser Stelle ein Angebot: Wer den Test macht und danach ein Gespräch führen will, kann mich gern über die Homepage ansprechen.
     
  4. Einfach mal ausprobieren
    Wenn man den Test gemacht hat, ist es wichtig, verschiedene Berufe auszuprobieren. Viele Schulen bieten Praktikumszeiten an. Wenn man mehr Praktika braucht, kann man in den Ferien ein zusätzliches Praktikum einschieben. Viele Firmen sind dankbar, wenn Praktikantinnen oder Praktikanten kommen, da aktuell ein Nachwuchsmangel im Ausbildungsbereich besteht und die Firmen so potenzielle Bewerber kennenlernen können. Hier dürfen wir als Eltern unseren Heranwachsenden beistehen, Kontakte herstellen, vermitteln. Aber die Anfrage oder Bewerbung zum Praktikum muss er oder sie immer selbst schreiben!
     
  5. Mutige Entscheidungen treffen
    Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, ob der Beruf, den man favorisiert, auch wirklich passt. Aber 80 Prozent Sicherheit reichen vollkommen aus. Da kann man seinen Sohn oder seine Tochter wirklich ermutigen, einen Schritt ins Studium oder in die Lehre zu gehen – auch wenn nicht alles perfekt ist. In meiner Tätigkeit als Berufsberater von jungen Leuten habe ich gemerkt, dass man beruflich das tun sollte, was einem auf dem Herzen liegt – auch wenn eine Rest-Unsicherheit besteht. Es geht zwar auch um Karriere, finanzielle Möglichkeiten oder Sicherheit im Job. Aber wichtig ist, dass einem die Tätigkeit Spass macht.

Nach zehn Jahren intensiver Begleitung von jungen Menschen in unserem Orientierungsjahr Lebenstraum bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir als Eltern oder Begleiter lediglich Unterstützer auf dem Weg ins Leben sein können. Vertrauen spielt hier eine grosse Rolle – und Loslassen. Wenn wir unseren Kindern nicht vertrauen und sie nicht loslassen, behindern wir sie in ihrer persönlichen Entwicklung. Stattdessen können wir sie ermutigen, Dinge auszuprobieren und mutige Entscheidungen zu treffen, damit sie aufrecht durchs Leben gehen können. Und das Schöne ist: Wir als Christen dürfen wissen, dass unsere Söhne und Töchter in Höhen und Tiefen in Gottes Hand sind.

Stephan Münch gründete vor zehn Jahren mit seiner Frau Hanna das Orientierungsjahr Lebenstraum in Uffenheim (Nähe Würzburg). Weitere Informationen finden sich unter Dein Lebenstraum.

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Datum: 02.07.2024
Autor: Stephan Münch
Quelle: Magazin FamilyNext 4/24, SCM Bundes-Verlag

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