Zum Wesensmerkmal einer Freikirche gehört auch, dass sie keinen Absolutheitsanspruch erhebt, sondern das Gespräch und Kontakte zu andern Kirchen und Freikirchen pflegt und auf verschiedenen Ebenen die Zusammenarbeit sucht, in der Schweiz zum Beispiel mit der Evangelischen Allianz oder dem Verband Evangelischer Freikirchen und Gemeinden (VFG). Die Reformation übernahm ihren Staats- und Kirchenbegriff aus dem Altertum und dem Mittelalter. Sie kannte deshalb nur einen Kirchentyp, nämlich das Staatskirchentum. Dieses ging davon aus, dass es nur eine absolute religiöse Wahrheit gibt, die das Leben der Herrscher und aller Untertanen bestimmt. Für dieses Verständnis war es logisch, dass Staat und Kirche sich verbinden, um alle Staatsangehörigen in dieser absoluten Wahrheit zu erziehen. Allerdings gab es schon im Mittelalter trotz dieser Anschauung häufig Konflikte zwischen Staat und Kirche. Andere religiöse Überzeugungen, welche zur Abtrennung von der Staatskirche geführt hätten, konnten damals weder vom Staat noch von der Kirche geduldet werden. Dies war auch die Haltung der Reformatoren. Zwar weichte die Reformation diesen Grundkonsens ein wenig auf, indem sie neben der bisherigen, alleinseligmachenden Kirche eine zweite Kirchenfamilie begründete. In dieser Kirche - so die Überzeugung der Reformatoren - war die göttliche Wahrheit endlich wieder von menschlich-geschichtlichen Zusätzen befreit, wie sie die römisch-katholischen Kirche belastete. Dennoch hielt die Reformation am Grundsatz fest, dass es in einem Staat nur eine Kirche geben kann. Dies führte schliesslich zu dem bekannten Kompromiss "cuius regio, ejus religio" (wer regiert, bestimmt auch die Religion) des Augsburger Religionsfriedens von 1555. Damit wurde die Kirche sogar dem Staat unterstellt. Dies prägte die kommenden Jahrhunderte. Das Prinzip des Staatskirchentums wurde im europäischen Raum erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich durchbrochen - bedingt durch den Wandel des Staatsbegriffs und der Demokratisierung der Gesellschaft. Insofern waren die Freikirchen, deren tiefste Wurzeln vorreformatorisch (zum Beispiel: Waldenser) sind, eine avantgardistische Bewegung. Die freikirchlichen Bewegungen orientierten sich an der Gemeinde des Neuen Testaments, einer Gemeinschaft der Gläubigen, die "Gott mehr gehorchen wollte als den Menschen" und "dem Kaiser" nur das zu geben bereit war, was ihm aufgrund der Bibel zustand. Diese Auffassungen brachten die jungen freikirchlichen Bewegungen natürlich in einen starken Gegensatz zum Staat und seiner Kirche. Viele Freikirchler - man denke zum Beispiel an die ersten Täufer in Zürich - bezahlten ihre Überzeugungen mit Verfolgung und dem Märtyrertod. Amerika und Russland wurden daher für viele Freikirchler des 17. und 18. Jahrhunderts zu einer neuen Heimat, in der sie gemäss ihrer Glaubensüberzeugungen leben konnten. Während ihnen im zaristischen und orthodoxen Russland nur sehr eingeschränkte Religionsfreiheit gewährt wurde, erlebten sie Amerika als das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Hier wirkten sie massgeblich am Aufbau der jungen Staaten mit. So entwarf der Baptist Roger Williams um 1643 eine Verfassung für Rhode Island, in der zum ersten Mal in der Geschichte die völlige Trennung von Staat und Kirche verankert war. Diese Verfassung wurde später zur Grundlage der Verfassung der Vereinigten Staaten. Erst im 19. Jahrhundert kehrte die freikirchliche Bewegung nach Kontinentaleuropa zurück. Einer der Pioniere dieser Bewegung war Johann Gerhard Oncken, der 1834 in Hamburg die erste deutsche Baptistengemeinde begründete, die in der Folgezeit zur Keimzelle der meisten europäischen Baptistenkirchen wurde. Die Spannung zwischen Freikirchen und den Landeskirchen sind zum Teil bis heute spürbar, insbesondere bei jüngeren Freikirchen, die sich oftmals von den Landeskirchen bedrängt fühlen. Umgekehrt fühlen sich Vertreter von Landeskirchen von den Freikirchen konkurrenziert. Während sich Freikirchen wie die Evangelisch-methodistischen Kirche oder die Heilsarmee diesbezüglich leichter tun, ist die Distanz zwischen Landes- und Freikirche zum Beispiel bei den Freien Missionsgemeinden und den Freien Evangelischen Gemeinden grösser. Ein Kritikpunkt an den Amtskirchen (evangelische und katholische) ist deren Finanzierung über die vom Staat eingezogene Kirchensteuer. Freikirchliche Gemeinden fordern eine strikte Trennung von Kirche und Staat und lehnen den Einzug von Kirchensteuern durch staatliche Organe ab. Sie finanzieren sich aus Beiträgen und Spenden und erwarten in der Regel von ihren Mitgliedern den "Biblischen Zehnten" (10 Prozent ihres persönlichen Einkommens). Sofern die Gemeinden nicht durch ehrenamtliche Laienpastoren betreut werden werden die Pastoren von der Gemeinde oder dem Gemeindeverband finanziert. - Wolfgang E. Heinrichs: Freikirchen - eine moderne Kirchenform. Entstehung und Entwicklung von fünf Freikirchen im Wuppertal. Brunnen Verlag, Giessen, 1989 (2. Aufl. 1990).
Datum: 15.02.2005
Freikirchlicher GottesdienstDer Kirchenbegriff der Reformation
Die freikirchliche Alternative
Aus den USA zurück nach Europa
Ablehnung der Kirchensteuer
Literatur
- Vereinigung Evangelischer Freikirchen: Freikirchenhandbuch - Informationen - Anschriften - Berichte - Texte. Brunnen-Verlag. Bestell Nr. 224868, ISBN: 3-417-24868-X, Paperback. CHF 16.90
Autor: Fritz Imhof
Eine Freikirche ist eine vom Staat unabhängige christliche Kirche. Sie ist gewöhnlich als Freiwilligkeitskirche organisiert und erwartet in der Regel eine persönliche Entscheidung für die Mitgliedschaft im religionsmündigen Alter. Sie wird durch freiwillige Beiträge ihrer Mitglieder finanziert.