Philip Henry Gosse

Ein Versöhner von Glaube und Wissenschaft

Die Frage nach Schöpfung oder Evolution ist seit Jahrzehnten ein «Kampfthema». Viele haben sich daran abgearbeitet. Ein neuer Zugang zu diesem Thema stammt ausgerechnet aus dem 19. Jahrhundert – aber er ist überdenkenswert.
Zion National Park, USA (Bild: Unsplash)
Philip Henry Gosse mit seinem Sohn Edmund (Bild: Wikimedia)

Es gibt Gesprächsthemen, bei denen man nur verlieren kann, wenn man versucht, einen verbindenden Standpunkt einzunehmen. Aber stimmt es tatsächlich, dass eine respektvolle Auseinandersetzung rund um strittige Themen nicht möglich ist? Ein typisches Beispiel für solch ein Thema ist die Frage nach der Entstehung der Erde bzw. der Lebewesen darauf. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist davon überzeugt, dass das Leben sich per Evolution entwickelt hat (61 Prozent laut Statista). 20 Prozent gehen dagegen von einer Schöpfung Gottes aus. Ein Teil dieser Gläubigen unterstreicht sogar, dass sie von einer buchstäblichen Sechs-Tage-Schöpfung überzeugt sind. Viele Diskussionen zu dem Thema werden dabei von der Frage beherrscht: Wer hat recht? (Natürlich ich!) Kaum eine Rolle spielt dagegen die Frage: Wie gehen wir bei der Diskussion miteinander um?

Gegenseitiges Lächerlich-machen

Ein beliebtes Mittel, um die eigene Position zu stärken, ist es, Andersdenkende zu diskreditieren – sie lächerlich zu machen. Damit wirkt der eigene Standpunkt automatisch überzeugender. Als im 19. Jahrhundert der Gedanke an eine Evolution aufkam, haben die Kirchen und die kirchlich geprägte Öffentlichkeit genau so reagiert. Kein Wunder, dass das bekannteste Bild von Charles Darwin eine Karikatur ist, in der er als Affe mit Menschenkopf dargestellt wird. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse geändert. Jetzt sind es die Christen, die sich ein Gespräch auf Augenhöhe wünschen würden, aber als «Kreationisten» bzw. Ewiggestrige verunglimpft werden.

Ein Pionier mit Idee

Als Zeitgenosse Darwins lebte der heute fast vergessene Philip Henry Gosse (1810-88). Mit 22 Jahren hatte er eine Gottesbegegnung, die ihn tief prägte. Gleichzeitig interessierte er sich brennend für Naturkunde – zunächst nebenbei, dann hauptberuflich erforschte er die Vogelwelt auf Jamaika genauso wie die Meerestiere vor der englischen Küste. Tief beunruhigt von den um sich greifenden evolutionären Gedanken unter seinen Wissenschaftskollegen entwickelte er eine Idee, die beide Welten miteinander verknüpfen sollte: die «ideal time theory» – auf Deutsch: die Theologie der alten Erde.

Gosse sah die geologischen Forschungsergebnisse der damaligen Zeit und wollte sie mit dem biblischen Schöpfungsgedanken harmonisieren. Der US-Theologe Roger E. Olson beschreibt die Idee in einem Artikel sogar als «unwiderlegbar». Gosse erklärte in seinem Buch «Omphalos: an Attempt to Untie the Geological Knot», dass Gott Adam als einen erwachsenen Mann mit Bauchnabel («omphalos») geschaffen hatte, dass die Bäume im Paradies bereits Jahresringe hatten und dass der Schöpfer die Fossilien im Boden einfach mit erschaffen hatte. Er erklärte damit das Vorhandensein von Fossilien, ohne an die Existenz von Dinosauriern zu glauben. Gosse wollte den Schöpfungsbericht ernst nehmen und genauso die Ergebnisse der (damals) aktuellen Forschung. Das Ergebnis: Sowohl die Kirche als auch die Wissenschaft lehnten den Forscher samt seiner Ergebnisse ab. Gefragt war keine Harmonisierung, sondern Polarisierung.

Meine Meinung – deine Meinung

Hatte Adam einen Bauchnabel? Gab es ihn als Person oder steht er als Archetyp für «den Menschen»? Darüber kann man diskutieren.

Ist die Erde 4,6 Milliarden Jahre alt und hat sich nach dem Urknall vor fast 14 Milliarden Jahren zufällig samt aller darauf lebenden Spezies entwickelt? Oder hat Bischof James Ussher recht, der den Schöpfungszeitpunkt auf den 23. Oktober 4004 vor Christus berechnete?

Vielen Menschen werden diese Fragen fast egal sein. Andere sind bereit, dafür zu kämpfen, dass die Erde jung ist oder alt. Dass Gott sie in sechs Tagen geschaffen hat oder dass sie in Jahrmillionen zufällig entstanden ist. Tatsächlich werden die wenigsten Menschen hier eine Extremposition einnehmen. Glauben, Wissen und Denken entwickeln sich weiter. Gut so! Da sollte es doch möglich sein, nach 150 Jahren den Kerngedanken von Philip Henry Gosse aufzunehmen: Schaffen wir es, bei kontroversen Themen auf eine respektvolle Art und Weise miteinander im Gespräch zu bleiben?

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Datum: 05.12.2022
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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