Andere Massstäbe

Christ bleiben – auch als Wissenschaftler

Natur- und Geisteswissenschaften werden von Christen oft als Gefahr für den Glauben angesehen. Das Magazin INSIST sprach dazu mit drei christlichen Akademikern, die mit dem Thema unverkrampft umgehen. Wir bringen Auszüge aus einem ausführlichen Interview.
Forscherin in Labor

Dr. Konrad Zehnder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Schweizerischen Geotechnischen Kommission an der ETH Zürich. Das Magazin INSIST konfrontierte ihn mit der Frage, wie er mit dem «methodischen Atheismus» in der Naturwissenschaft umgehe. Denn die Forscher müssten ja Gott bei ihrer Arbeit ausklammern.

Der Glaube verändert meine Haltung beim Forschen

«Als gläubiger Christ und Naturwissenschaftler muss ich Gott nicht extra ausklammern, wenn ich forsche», lautet die überraschende Antwort des ETH-Forschers. Wenn er forsche, tue er das mit bestimmten Methoden. Und diese hätten nichts zu tun mit der Frage nach Gott. Dennoch ist für ihn klar, «dass Gott da und auch in der Natur gegenwärtig ist». Die Frage nach Gott spiele aber eine Rolle, «wenn es darum geht, wie ich meine Forschungsaufgabe löse. Die Schöpfung ist von Gott gewollt. Sie ist ein wunderbares Spiel mit vielen Facetten, in die man im Verlaufe der Jahrhunderte immer mehr Einblick erhalten hat.» Diese Einsicht verändere seine Haltung beim Forschen. Wie denn? Dazu Konrad Zehnder: «Einerseits indem die ständige Bewegtheit, Veränderung, das Ringen der Natur, die erschütternden Gegensätze zwischen wunderbaren 'Kunst'-Werken (Lebewesen, Kristalle, Landschaften...) und abgründigen, zerstörenden Kräften und das Leiden in der Natur mir das 'Seufzen der ganzen Schöpfung' vor Augen führt. Andererseits indem ich Gott um Lösungen bitte, wenn ich beim Suchen nach Vorgehensweisen oder nach Erklärungen von unerwarteten, nicht verstandenen Ergebnissen nicht mehr weiter komme – und sie mir auch geschenkt werden.»

Als Wissenschafter auch Mensch sein

Der promovierte Chemiker Felix Ruther ist nebst seiner Aufgabe als VBG-Studienleiter auch als Gymnasiallehrer tätig. Kommt im Unterricht auch die Frage nach Gott ins Spiel? Dazu Ruther: «Im wissenschaftlichen Teil des Unterrichts kommt Gott nicht vor, zum Beispiel als Ursache von allem... Alles, was wir von uns aus naturwissenschaftlich denken und beschreiben, ist methodisch gesehen atheistisch.» Das sage aber nichts darüber aus, ob es Gott gibt oder nicht. «Deswegen ist die Naturwissenschaft nicht als Ganzes atheistisch. Sie ist einfach ein menschliches Produkt – wie das Brotbacken auch», so seine überraschende Antwort. Aber das ist nicht alles: «Als Lehrer bin ich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Mensch. Und da gibt es immer wieder Möglichkeiten, etwas von meinem persönlichen Glauben weiterzugeben.»

In den Geisteswissenschaften gibt es den methodischen Atheismus weniger. Daher die Frage an den Historiker und Anglizisten Jonas Bärtschi: Sehen Sie trotzdem eine Spannung zwischen Glaube und Wissenschaft? Laut Bärtschi ist die Situation in den Geisteswissenschaften tatsächlich etwas anders. Dennoch: «Auch Geisteswissenschaftler argumentieren oft mit den Naturwissenschaften und sagen dann zum Beispiel, die Wissenschaft habe doch bewiesen, dass es keinen Gott gäbe.» Bärtschi: «Da müssen wir mit der Begrifflichkeit aufpassen. Wissenschaft ist lediglich eine Methode, mit der wir an die Dinge herangehen.»

Selbständig denken lernen

Bärtschi folgert daraus: «Wenn man darüber nachdenkt, dann merkt man: Die vielzitierte Spannung zwischen Glaube und Wissenschaft ist gar keine! Probleme tauchen dann auf, wenn die Wissenschaft unwissenschaftliche Aussagen macht, die über Beobachtungen und Forschungsmethoden hinausgehen. Oder dann, wenn der christliche Glaube unreflektiert oder unvollständig ist.» Nun spricht er aus eigener Erfahrung aus einem Studium: «Beim Lesen all dieser gescheiten Texte über Kulturtheorie schien mein Glaubenssystem dem allem nicht gewachsen zu sein. In dieser Situation war die Zürcher VBG-Gruppe ein sicherer Hafen, an dem ich einen christlichen Glauben entwickeln konnte, der nicht nur eine Sammlung von Überzeugungen ist, sondern auch eine konkurrenzfähige Erklärung der Welt. Daraus lässt sich dann auch ein produktiver Ansatz der Literaturinterpretation ableiten.»

Konkret: «Wenn ich als Christ Literatur interpretiere, dann muss ich mir über die Grundlagen im Klaren sein. Da gibt es ja ganz verschiedene Ansätze. Michel Foucault meint beispielsweise, es gebe nur Interpretationen von Interpretationen von Interpretationen – aber keine letzte Wahrheit. Damit ist aber jede Interpretation willkürlich und letztlich sinnlos. Da muss ich mich fragen, ob ich mit dieser Sicht der Welt einverstanden bin. Denn aus christlicher Sicht ist nicht alles Interpretation. Es gibt einen fixen Anfangspunkt – Gott. Gott ist in sich selber gut und wahr. Deshalb kann ich von ihm einen Massstab ableiten, was in der Welt gut und wahr ist. Dieser Massstab hilft mir, mich im Dschungel der Interpretationen zurechtzufinden.»

Datum: 20.11.2013
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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