«Sexkauf ist kein Menschenrecht»
Wir spürten durch unsere bewegten Lebensgeschichten bald, dass unser Weg bei den missbrauchten oder zerbrochenen Menschen ausserhalb der Kirchenmauern ist. Deshalb kündigten wir vor zehn Jahren unsere Stelle in der Kirche als leitende Pastoren. Es waren damals sehr mutige Schritte im nackten Glauben aus dem sicheren Boot heraus aufs Wildwasser im Rotlichtmilieu. Wir erlebten dabei unzählige Wunder, wie Gott uns finanziell versorgte und in gefährlichen Situationen bewahrt hat. Im Laufe der Zeit sind ein Vereinsvorstand, Mitarbeitende und vielfältige Teams entstanden, die uns tatkräftig unterstützen und ergänzen. Wir arbeiten im Netzwerk national und international mit Polizei, verschiedenen Fachstellen und gemeinnützigen Institutionen zusammen.
Wie hat sich das Leben auf der Strasse
in diesen zehn Jahren verändert?
Dorothée
Widmer: Auf den berüchtigten Strassenstrichs waren anfangs
16-jährige Roma-Mädchen aus dem Ostblock am Anschaffen für ihre Zuhälterbanden.
Zum Glück haben sich einige Gesetze etwas verschärft, doch es gibt noch viel
Handlungsbedarf! Nach wie vor ist es gesetzlich in der Schweiz erlaubt,
«Zuhälterei» zu betreiben! Zudem gilt Sexarbeit bei uns als «normaler Beruf»,
zum Beispiel wie bei einer Krankenschwester. Deshalb können Zuhälter und
Bordellbetreiber auf ihren Homepages unbeschränkt «neue Fachkräfte» aus armen
Herkunftsländern anwerben und sie durch Hintermänner zu uns schleppen.
Menschenhandel geschieht leider immer noch unbemerkt vor unserer Haustüre! Ein
grosses Unrecht, das aufhören muss!
Können Sie ein, zwei Lebensgeschichten
mit uns teilen, bei denen Menschen durch Ihre Arbeit verändert wurden und
heute mit Ihnen unterwegs sind?
Peter Widmer: Da
gibt es einige Beispiele und doch beten und hoffen wir noch auf viele neue Aussteiger!
Sarah* war eine hoffnungslose, drogenabhängige Frau, die wir aus der
Strassenprostitution heraus begleitet haben. Wir ermöglichten ihr eine neue
Arbeit und sie erlebte Versöhnung mit ihrer Vergangenheit. Heute leitet sie mit
viel Engagement ihr eigenes Schutzhaus in Tansania, wo sie über 30 missbrauchte
Frauen und Kinder betreut.
Ein anderes Beispiel ist Kurt*. Weil er selber sexuellen Missbrauch von einer Frau und Gewalt in seiner Kindheit erlebt hatte, geriet er auf die schiefe Bahn. Später vermietete er Zimmer «zum Anschaffen» an Prostituierte. Er beschützte sie vor Übergriffen von Freiern, besorgte ihre Formalitäten und verdiente so seinen Lebensunterhalt. Heute nach einer langen Begleitungszeit mit Heartwings ist Kurt ein total veränderter Mann. Er hat die dunklen Kapitel seines Lebens hinter sich gelassen und erlebt mit Gottes Hilfe gute Schritte in eine neue Zukunft, wo er auch bei Heartwings tatkräftig mithilft.
Was berührt Sie bei Ihrer Arbeit
besonders?
Dorothée
Widmer: Negativ sind Momente, in denen wir
ohnmächtig mitansehen müssen, wie Frauen missbraucht werden bis zum Gehtnichtmehr
und aus Angst vor Strafe und Verfolgung im Heimatland keine Aussage machen.
Oder wenn wir Behinderte, Schwangere, Verletzte und Kranke beim Anschaffen
antreffen. Manchmal treffen wir auch Kinder an der Bar mitten unter Freiern, wo
die Mutter arbeiten muss!
Positiv sind diese tiefen Momente, in denen sich beim Gespräch im Bordell traumatisierte Frauen erstmals öffnen. Vertrauen wächst und Heilungsprozesse starten, was oftmals mit Tränen und Schmerzen verbunden ist. Oder bei der langjährigen Begleitung, wenn aussteigende Frauen ihre neue Ausbildung erfolgreich abschliessen. Sie finden dankbar Arbeitsplätze und neue Wohnungen ausserhalb des Rotlichtmilieus. Oder beim Verschenken ausdrucksvoller Kunstkarten, die Dorothée gemalt hat. Diese visuelle Betrachtung ist oft ein Schlüssel zum Herzen der Menschen und löst tiefe Emotionen und Gespräche aus.
Welches Projekt packen Sie als
nächstes an?
Peter Widmer: Wir
haben ein Problem mit der grossen Nachfrage für den Sexkauf,
was die Prostitution antreibt. Es darf nicht sein, dass immer mehr Männer in
diese Rotlichtfallen tappen, was mit viel Suchtpotenzial, Beziehungsunfähigkeit
und Menschenhandel verbunden ist! Deshalb starten wir ein Projekt mit
männlichen Milieuteams für Präventionseinsätze unter Freiern, Zuhältern und
sonstigen Konsumenten! Ein
Umdenken in unserer ganzen Gesellschaft und Gesetzgebung ist da dringend nötig.
Sexkauf ist kein Menschenrecht!
Dafür machen wir uns in Zukunft stark, was auf allen gesellschaftlichen und
gesetzlichen Ebenen geschehen muss.
Wie wächst Ihre Arbeit in der Schweiz?
Dorothée
Widmer: Wir besuchen mit Teams regelmässig über
300 Bordelle und Clubs in Zürich und Umgebung. Ein wachsendes Vertrauen und
neue Hoffnung unter den Frauen gibt Mut auszusteigen, wobei wir sie langfristig
begleiten. Ein weiterer Arbeitsbereich sind Vorträge zur Prävention in Kirchen,
Konferenzen, Schulen und Jugendanlässen. Durch unsere regelmässigen
Milieuschulungstage sind neue Teams und Arbeiten entstanden, die in der West-,
Zentral- und Ostschweiz unterwegs sind. Auch international bekommen wir
vermehrt Einladungen zu Schulungen und Präventionsarbeit. So arbeiten wir in
stark von Menschenhandel betroffenen Ländern wie Thailand, Tansania und Indien,
wo wir ein Schutzhaus finanziert haben. Wir beten konkret in Zürich und Umgebung
für unsere eigenen Schutzhäuser, wo Frauen durch unsere Teams beim Ausstieg
ohne Druck und unbürokratisch begleitet werden, was neue Mitarbeitende und
grosse finanzielle Wunder benötigt. Bei
dieser Gelegenheit möchten wir uns öffentlich für jede Unterstützung, sei es im
Gebet, finanziell, durch Einladungen oder durch Sachspenden bedanken! Unserem
Gott, der uns geführt hat und dies alles ermöglicht, gehört alle Ehre und der
grösste Dank!
*Name geändert
Zur Webseite:
Heartwings
Beitrag von Fenster zum Sonntag über Dorothée und Peter Widmer (Fromme Freaks)
Zum Thema:
Präsent im Rotlichtmiilieu: Gespräche mit Frauen, Freiern und Menschenhändlern
Schulung bei Rahab Olten: «Prostitution ist Gewalt an Frauen»
Früher selbst auf dem Strich: Heute erzählt sie Prostituierten von Jesus
Mit Liebe und Offenheit: Eine Pastorin geht gegen Prostitution vor
Datum: 27.11.2018
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet