«Gemeindebau ist das A und O»
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Spektrum: Armin Mauerhofer, Sie waren 30 Jahre an der STH Dozent, 42
Jahre Pastor im Bund FEG. Was war Ihr besonderes Anliegen in dieser
Zeit?
Armin Mauerhofer: Mein grösstes Anliegen war und ist die
christozentrische Verkündigung des göttlichen Wortes. Als Pastor in
Langenthal entdeckte ich, wie durch diese Art der Verkündigung die
Gemeinde erfreulich wachsen durfte. Es geht bei dieser Verkündigungsart
darum, aufzuzeigen, dass das Wort Gottes nur mit der Hilfe von Jesus
Christus erfahrbar und lebbar ist. Jesus steht im Zentrum und nicht die
Moral nach dem Motto: «Du bist gefordert. Jetzt streng dich an. Das
fordert Jesus von dir.» Das eben gerade nicht. Auf diese Weise wird die
Botschaft der Bibel zur Überforderung.
Was ist denn der konkrete Unterschied zwischen dem «Jesus fordert» und «Jesus wirkt»?
Der Unterschied ist der: Wenn Jesus etwas von mir fordert, dann muss ich
aus eigener Kraft versuchen, dieses zu erfüllen, was ja meistens nicht
gelingt. Beim christozentrischen Ansatz geht es darum, zu zeigen, dass
der in mir wohnende Christus mir hilft, das, was das Wort Gottes von mir
fordert, auch zu erfüllen. Er gibt mir die Kraft und Befähigung dazu.
Jesus hat es so formuliert: «Ohne mich könnt ihr nichts tun.»
Irgendetwas ist von meiner Seite ja trotzdem gefragt, oder?
Von meiner Seite braucht es die Erkenntnis, dass Jesus mein Leben will.
Dies führt zur Hingabe an ihn und zur Bereitschaft, ihm zu gehorchen.
In seiner Laudatio an der STH hat Professor Grosse über Sie
gesagt, dass Sie Mut, Standhaftigkeit und trotzdem Offenheit gegenüber
Andersdenkenden zeigten. Wie haben Sie die Auseinandersetzungen erlebt?
Es sind in der Theologie zwei Systeme, die aufeinanderprallen. Hier die
ganz klare bibeltreue Haltung, dort die historisch-kritische Methode.
Ich hatte im Studium in Bern den Eindruck, dass man sehr oft aneinander
vorbeiredete. Ich habe von der Bibel her argumentiert und die Dozenten
haben von der historisch-kritischen Methode herkommend die Bibel und
damit das, was ich sagte, in Frage gestellt. Ich war nicht bereit, diese
Methode zu akzeptieren und stand demzufolge ausserhalb des vorgegebenen
Denkrahmens.
Ist diese Auseinandersetzung in Ihrer Beobachtung heute noch vorhanden?
Ich habe Angst, dass die Evangelikalen statt der Auseinandersetzung die
Anpassung suchen. Man sucht die Anpassung etwa in den Fragen des
Frauenpastorats, der Homosexualität, des vorehelichen
Geschlechtsverkehrs, der Scheidung und Wiederheirat. Die Bibel vertritt
in all diesen Bereichen klare Standpunkte. Die Evangelikalen passen sich
aber immer mehr an. Wenn ich zum Beispiel im Bereich des
Frauenpastorats nach wie vor die Auseinandersetzung suche, werde ich
verachtet. Man gibt mir zu verstehen, dass ich ein «Ewig-Gestriger» sei.
Sie sagen selbst, es geht eigentlich um die Christozentrik. Wie
stark betreffen diese Fragen – ihrer Meinung nach – die Mitte des
Evangeliums?
Es geht hier generell um die Frage, wie verbindlich die Aussagen der
Bibel sind. In den Augen vieler gibt es sogenannte Randfragen, in denen
die Bibel zeitgebundene Aussagen macht. Es bricht bei dieser Art, die
Bibel zu betrachten, doch die Frage auf: Welches sind nun zeitgebundene
Aussagen und welche haben überzeitliche Bedeutung? Wenn es in der Bibel
zeitgebundene Aussagen und Vorstellungen gibt, warum sollten dann die
Aussagen, die das Erlösungswerk Jesu betreffen, nicht auch zeitgebunden
sein? Wer sagt mir, wo die Grenze zwischen zeitgebundenen und
überzeitlichen Aussagen ist?
Sie kritisieren, dass man heute im Gemeindebau zu viel auf die
Humanwissenschaften wie Soziologie oder Psychologie baut. Finden Sie,
man kann davon gar nichts lernen?
Doch,
soziologisch können wir zum Beispiel lernen, dass es bestimmte Milieus
gibt, die man beim Gemeindebau beachten sollte. Es ist mir sehr wohl
bewusst, dass ich selbst nur bestimmte Milieus anspreche, deshalb lasse
ich jeden zweiten Sonntag jemand anderes predigen, der wieder andere
Milieus anspricht. Aus der Psychologie weiss ich, dass ich als Pastor
auf eine bestimmte Weise wahrgenommen werde. Einige nehmen mich sehr
positiv wahr, andere eher nicht. Aus diesem Grund suche ich mit den
Gottesdienstbesuchern das Gespräch, damit sie einen natürlichen Zugang
zu mir finden können.
Das Burnout ist ein grosses Thema unter Pastoren. Viele quittieren den Dienst. Wo sehen Sie die Gründe?
Der Pastorendienst ist heute enorm herausfordernd. Pastoren begegnen
sehr hohen Ansprüchen in der Gemeinde. Sie müssen predigen, Bibelstunden
vorbereiten und halten, Kranke besuchen, Sterbende betreuen, die
Kinder-und Jugendarbeit begleiten, sich seelsorgerlich um die
Gemeindeglieder kümmern, an vielen Sitzungen teilnehmen und Schulungen
in verschiedensten Bereichen in der Gemeinde anbieten. Die
entscheidenden Impulse in der Gemeindearbeit werden von ihnen erwartet.
Wenn die Gemeinde stagniert oder schrumpft, sind sie schuld. Was
Pastoren brauchen, sind Gemeindeglieder, die betend hinter ihnen stehen,
sonst schaffen sie es nicht.
Was ermutigt Sie denn heute in Bezug auf den Gemeindebau?
Mich ermutigt die grosse Offenheit der Bevölkerung für das Evangelium.
Die Verunsicherungen in unserer Gesellschaft führen dazu, dass plötzlich
wieder eine Offenheit für das Religiöse wächst. Das Zweite ist, dass
ich viele junge Pastoren kenne, die ihre Arbeit ausgezeichnet machen.
Sie predigen christozentrisch, führen in ihren Gemeinden klare
Strukturen ein und leiten die Gemeindeglieder zur Mitarbeit an. Sie
setzen auch evangelistische Schwerpunkte, sodass ihre Gemeinden
erfreulich wachsen. Zudem haben wir viele gute Ausbildungsstätten. Es
gibt ja wirklich für jeden Geschmack eine entsprechende
Ausbildungsmöglichkeit.
Zum Thema:
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Dossier: Innovative Gemeinden
Datum: 11.07.2016
Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: Idea Spektrum Schweiz