Warum Ramadan kein Schicksal ist, sondern eine Chance
Die meisten Menschen würden antworten, dass sie das bisher nicht wussten, sie würden in dieser Tatsache ein Problem sehen («Schwierig für die Fastenden») und würden vielleicht Handlungsbedarf sehen («Da sollte man etwas tun»). Kerstin Hack fragte sich, was diese Situation für das Zusammenleben in Flüchtlingsunterkünften bedeutet. Hier wohnen oft Hunderte von Muslimen und Nicht-Muslimen auf engstem Raum zusammen. Im Ramadan essen die einen tagsüber, die anderen nachts. Die einen schlafen nachts, die anderen am Tag. Keine Frage: Das ist nicht einfach. Und die Berlinerin wurde aktiv: «Mir lagen die Menschen auf dem Herzen. Und so begann ich, mir Gedanken dazu zu machen, was in dieser Zeit für alle hilfreich sein könnte. Mit Hilfe von muslimischen und christlichen Flüchtlingen, islamischen und christlichen Geistlichen und Ärzten entwickelte ich ein Konzept für die Unterkünfte – mit Fokus auf die Themen Versorgung mit Nahrung, Gesundheit und sozialer Friede. Mein Ziel war, Ideen zusammenzustellen, wie diese herausfordernde Zeit möglichst gut gestaltet werden kann.»
Plötzlich in der Politik
Die Überforderung der Berliner Behörden mit ankommenden Flüchtlingen war schon lange bekannt. Kerstin Hack wurde deswegen bereits letztes Jahr aktiv: Sie kümmerte sich per Facebook um Übersetzer für Flüchtlinge aus verschiedenen Sprachgruppen und initiierte «Nestwerk Berlin», eine Plattform, über die Wohnungen vermittelt werden. Und sie kaufte 40 Kilogramm Tee, um die Wartenden vor dem LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) etwas aufzuwärmen. Für sich selbst legte sie 200 Teebeutel auf die Seite, um sich täglich eine Tasse Tee aufzugiessen und dabei zu beten: für die Berliner Verwaltung, für die Verantwortlichen und für gute Lösungen. Heute erklärt sie: «Natürlich hätte ich ahnen können, dass Gott sich die Chance nicht entgehen lässt, mich auch zur Erhörung meiner Gebete einzuspannen.» Ein Staatssekretär, der für Flüchtlinge zuständig ist, ermutigte sie, ihre Ideen auch politisch einzubringen. So meldete sie sich – zu spät – zur Sprechstunde beim regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller, an und bekam trotzdem einen Termin. Sie beschrieb ihm das Problem rund um den Ramadan. Müller fragte sie nach ihren Vorschlägen und sie konnte ihre Ideen präsentieren.
Konzept für einen friedlichen Ramadan
«Wir Berliner wünschen uns, dass Sie alle diesen Monat im Frieden miteinander erleben können.» Dieser Satz steht ganz obenan in Kerstin Hacks Konzept. Und darin spricht sie Themen wie Gesundheit, Respekt voreinander und Rücksichtnahme an. Sehr praktisch wird es bei Ratschlägen wie: «Bitte essen Sie nicht vor den Augen derer, die fasten.» «Reden und beten Sie nicht laut, wenn andere schlafen.» So betont die Christin gleichzeitig die Freiheit, den eigenen Glauben auszuüben, und den Respekt vor allen, die anders glauben und leben. Insgesamt geht es ihr weniger darum, ein perfektes Konzept zu präsentieren. Sie beschrieb ihm das Probleme rund um die Thematik Unterbringung von Flüchtlingen. Sie will für die Situation von Muslimen und Christen im Ramadan sensibilisieren. Und will gleichzeitig zeigen, dass die entstehenden Probleme durchaus lösbar sind.
Willkommenskultur praktisch
Was können wir ganz konkret tun, um Muslimen und Christen in Flüchtlingsunterkünften während des Ramadans zu helfen? Kerstin Hack gibt einige Anregungen für Berlin, die aber auch an anderen Orten funktionieren werden:
- Beten: Beten Sie für die Menschen in den Flüchtlingsunterkünften, für Frieden im Zusammenleben und dafür, dass die, die nach Gott suchen in dieser Zeit seiner Liebe begegnen. Traditionell ist der Ramadan übrigens eine besondere Zeit der Gottessuche. Gerade Muslime rechnen während dieser Wochen mit dem Reden Gottes.
- Geben: Schenken Sie Bewohnern in den Unterkünften Ohrstöpsel und Schlafbrillen.
- Essen: Bringen Sie Muslimen Datteln mit. Die werden traditionell zum Fastenbrechen am Abend gegessen und sind in vielen Unterkünften nicht erhältlich. Dies ist eine echte Liebesgabe.
- Ruheort: Laden Sie Flüchtlinge, gerade Christen, die nicht fasten, für ein paar Stunden oder Tage zu sich nach Hause ein. Für viele ist diese Zeit besonders anstrengend. Es gibt ihnen neue Kraft, wenn sie ein paar Stunden (vor allem Nächte!) in Ruhe verbringen können. Oder laden Sie Muslime spätabends zum Essen ein, damit die anderen in Ruhe schlafen können.
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Datum: 28.05.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet