Gott wirkt auch durch gebrochene Menschen
Mit 16 lernte ich ein Mädchen in meiner Klasse kennen, das mich sehr beeindruckte. Sie war hoffnungsvoll, lästerte nicht über andere Leute und war aktiv in der Kirche. Sie lud mich ein zu einem Schülerbibelkreis, den ich gerne besuchte. Durch unsere Freundschaft wurde ich inspiriert, in der Bibel zu lesen, zu beten und selbst in die Kirche zu gehen. Ich entschied mich dafür, mein Leben mit Jesus Christus zu leben.
Von Anfang an hatte ich Mission auf dem Herzen. Ich erzählte anderen gern von Jesus. Und mit 18 Jahren ging ich dann auf meinen ersten internationalen Missionseinsatz in die Mongolei. Einsätze nach Costa Rica und Rumänien folgten. Ich erlebte, wie Gott mein eigenes Leben durch den Dienst an Armen enorm bereicherte. Nach der Schule arbeitete ich ein Jahr in einem christlichen Gästehaus und investierte viel Kraft und Zeit in die Kirche.
Der Absturz
Auch als ich mein Studium begann und in eine neue Stadt zog, schloss ich mich schnell christlichen Gruppen an, ging regelmässig in die Kirche und war dort sehr aktiv. Doch in meinem Inneren wuchs eine innere Leere, und diese Leere wurde schmerzlich gross, als ich mit Leid und Tod konfrontiert wurde. Der plötzliche Tod eines guten Freundes warf mein Leben ziemlich aus der Bahn. Dazu kamen die schwere Krankheit meiner Kusine und der Selbstmord eines Kommilitonen. Ich fiel in eine Depression. Voll Trauer, Ohnmacht und Anklagen schrie ich zu Gott: «Hilf mir!»
Zuerst wusste ich nicht, was mit mir los war. Meine Lebensfreude und Energie waren verschwunden, ich war schnell gestresst, müde und ausgelaugt. Am liebsten wollte ich alleine sein. Ich zog mich zurück – auch in der Kirche. Ich war innerlich enttäuscht von Gott und der Welt. Auf meine Fragen gab es keine Antworten mehr. Alles war so sinnlos. Es kam mir so vor, als könnte ich nichts mehr tun, als wäre ich machtlos. Ich empfand keine richtige Freude mehr. Oft sass ich stundenlang in meinem Zimmer, die Gitarre in der Hand, spielte ein paar Töne und wenn die Musik ausklang, starrte ich gegen die Wand. Zuvor war ich aktiv, immer mittendrin und konnte anderen Menschen helfen. Diesmal nicht. Ich konnte nichts für andere tun – und nichts für mich. Ich war verzweifelt, wütend, voller Angst und Traurigkeit.
Meine Seele brauchte Hilfe
Irgendwann erkannte ich, dass meine Seele trauerte und ich dringend Hilfe brauchte. Das «Es wird schon wieder gut» von Freunden und Familie war mir kein Trost. Ich hatte den Eindruck, dass mein Glaube zerbrochen war. Trotzdem ging ich zu einer christlichen Therapeutin. Es tat mir schon gut, mein Herz ausschütten zu können, auch dass jemand für mich betete. Aber das Leid als Realität und Teil meines Lebens zu begreifen, fiel mir schwer.
Zuerst schämte ich mich für meine Depressionen – durfte man so etwas als Christ haben? Die Therapie half mir, mich zu öffnen und mich nicht zu verurteilen. Genauso wie die Tatsache, dass ich nicht alleine war, dass rund ein Viertel aller Frauen im Laufe ihres Lebens solch eine Depression erleben. Ich lernte mich selbst besser kennen, sah, wie ich manchmal durch meinen Aktivismus versuchte, vor dem Leben wegzurennen. Am liebsten hätte ich aufgegeben: meinen Alltag, mein Studium, mich selbst. Aber langsam bekam ich wieder Mut. Andere Menschen ermutigten mich, mein Studium abzuschliessen. Als ich einmal meine Bibel aufschlug, sprach mich ein Vers an: «Die harte Zeit ist vorbei.» Dieser Vers traf mich ins Herz. Ich realisierte: Gott weiss, wie es mir geht. Und er gibt mir Hoffnung und sagt mir, dass die Zukunft besser werden wird.
Gesundheit wäre besser…
Oft haderte ich mit Gott. Ich dachte, gesund könnte ich viel mehr für ihn tun, doch Gott wirkte gerade durch meine Zerbrochenheit. Ich schrieb in dieser Zeit Gedichte, die ich später Menschen gab, die auch Trauer durchlebten, und sie wurden durch meine Worte ermutigt. Gerade die erlebte Dunkelheit zeigte mir, wie hell Gottes Licht ist und wie viel Wärme und Kraft mir der Glaube geben kann. Ich merkte, dass ich nicht alles im Griff hatte, nicht alle Antworten im Leben wusste und nur im Suchen nach Antworten wachsen konnte. Aber ich verstand jetzt auch Menschen, die im Leid Gott anklagten und hoffnungslos waren.
Trotzdem Mission
Mit den Jahren wuchs mein Wunsch, mich längerfristig für Menschen in Not, Armut und Krankheit einzusetzen. Bewegt von dem Leid in Afrika, arbeitete ich sieben Monate in Nairobi, Kenia für Wasserprojekte und medizinische Projekte der UN. Dort begegnete ich Leid auf der Strasse, in den Häusern und dem Leben zahlreicher Menschen. Ich konnte ihnen mein Mitgefühl und meine Liebe entgegenbringen. Gleichzeitig wurde ich beschenkt von dem lebendigen Glauben vieler Kenianer. Ich traf erstaunliche Menschen, die von Leid und Not gezeichnet waren, aber die Hoffnung nicht aufgaben. Ihre Hoffnung war nicht auf materiellem Glück oder Gesundheit gegründet, sondern nährte sich aus ihrem Glauben und der Hoffnung Gottes. Meine eigene Last und mein Leiden wurden dadurch leichter und bekamen einen Sinn für mich, weil ich die Probleme anderer ganz anders als früher verstand.
Als wir in ein Dorf auf dem Land fuhren, tanzten die Frauen voller Freude. Sie zeigten uns die Wasseranschlüsse und Tanks, die von unserer Organisation mit Spendengeldern aus Deutschland gebaut worden waren. Eine Frau berichtete: «Früher liefen wir stundenlang zum nächsten Fluss, um schlechtes Wasser zu holen, das uns krank machte. Wir beteten für eine Lösung, und jetzt haben wir Wasseranschlüsse am Haus. Wir danken Gott dafür, dass er unsere Gebete erhört hat. Heute haben wir sauberes Wasser und sind gesund.»
Es war eine riesige Freude für mich zu hören, dass ihr Gebet durch unsere Arbeit beantwortet wurde. Diese jubelnden Frauen haben mir bestätigt: Gott wirkt auch durch gebrochene Menschen. Ich muss nicht komplett heil, perfekt und schön sein, Gott handelt durch meine Lebensgeschichte, durch meine Gaben, Stärken und Schwächen. Er wirkt durch mich. Und ich staune, wie er auch mich dabei positiv verändert.
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Datum: 19.04.2022
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet