Auch das Wohl der Gesellschaft – und ihrer Kinder – muss zählen
Im Vorfeld der Tagung hatte die Basler Rechtsprofessorin Ingeborg Schwenzer mit einem Gutachten zuhanden der Fribourger Tagung Aufsehen erregt und nebst einer Angleichung der Ehe an freie «Lebensgemeinschaften» auch für uneingeschränkte Adoption, Polygamie und Polyandrie sowie Abschaffung des Inzestverbotes plädiert. In Fribourg stiessen Befürworter und Gegner der vorgeschlagenen Änderungen aufeinander, wobei Bundesrätin Simonetta Sommaruga sich deutlich für eine Änderung des Familienrechts aussprach, das auch so genannten Lebensgemeinschaften eheähnliche Rechte einräumt.
In der laufenden Diskussion werden einige skurrile Widersprüche sichtbar. Die Befürworter der Änderungen, die letztlich die besondere Stellung der Ehe abschaffen wollen, argumentieren mit der gelebten Realität, der sich das Gesetz anzupassen habe. Die gelebte Realität ist vor allem Folge der Abschaffung des Konkubinatsverbots Ende des 20. Jahrhunderts und ermöglichte erst die Zunahme der Ehen ohne Trauschein. Diese werden von Paaren eingegangen, die sich nicht rechtlich festlegen und ohne rechtliche Prozedur wieder trennen wollen, wenn es nicht mehr für beide stimmt. Und die meisten von ihnen schätzen diesen rechts- und pflichtfreien Raum. Etliche profitieren sogar davon, wenn es um Steuern oder die AHV-Rente geht. Der Vorschlag von Schwenzer will ihnen nun einen Rechtsstatus einräumen, wenn sie drei Jahre zusammen gelebt haben – auch wenn sie diesen eigentlich gar nicht wollen. Dahinter steckt wohl die Beobachtung, dass vor allem Frauen in solche Beziehungen hineinschlittern und bei einer Trennung benachteiligt sind, insbesondere wenn sie, zum Beispiel wegen Kindern, ihren Beruf aufgegeben haben. Das Phänomen der armutsgefährdeten alleinerziehenden Mütter hat allerdings etliche andere Ursachen.
Gut für die Kinder ...
Das heutige Gesetz drängt Paare zur Heirat, wenn sie eigene Kinder bekommen, weil es sonst ziemlich kompliziert wird, die Elternschaft und Sorge zu regeln. Es ist aber auch im Interesse des Kindes, wenn die Eltern sich für eine dauerhafte Beziehung entscheiden, weil diese für das Kind mehr Sicherheit mit sich bringt. So gesehen, ist die heutige Regelung gar nicht so schlecht. Und schliesslich sind sich heute fast alle einig, dass im Familienrecht das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen muss. Daran müsste sich auch der Gesetzgeber halten.
Wenn der Vorschlag von Schwenzer für einen Drei-Jahre-Automatismus für Lebensgemeinschaften realisiert werden sollte, müssten sich de facto Paare, die diese rechtliche Einbindung nicht wollen, temporär wieder trennen. Sonst würden sie quasi per Gesetz «zwangsverheiratet». Eine Idee, die eigentlich in einer freiheitlichen Gesellschaft, welche den Bürgern die Verantwortung und die Entscheidung für ihr Leben überlassen will, quer in der Landschaft steht.
... und die Gesellschaft
Andererseits muss die Frage erlaubt sein, wie Gesetze beschaffen sein müssen, die letztlich auch der ganzen Gesellschaft dienen, indem sie Formen des Zusammenlebens favorisieren, welche auf die Dauer tragfähig sind und dem Staat nicht unkontrollierbare Kosten bescheren. Das müsste mehr denn je für die Ehe sprechen, gerade auch, weil sie heute absolut freiwillig eingegangen wird – und gemäss neuen Zahlen wieder weniger aufgelöst wird als noch in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende. Daneben gibt es die grosse Freiheit zum Zusammenleben in allen Formen – und auch die Möglichkeiten, per Vertrag die wichtigen finanziellen Dinge zu regeln. Ein Reformbedarf nach der Art von Professorin Schwenzer ist so gesehen nicht ausgewiesen, Fundamentalopposition gegen punktuelle, sinnvolle Änderungen aber auch nicht, soweit sie dem Kindes- und dem Allgemeinwohl dienen.
Datum: 26.06.2014
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / SSF