Die Dinge mal ganz anders sehen
Ärgere dich nicht darüber, dass der Rosenstrauch Dornen trägt, sondern freue dich darüber, dass der Dornenstrauch Rosen trägt. —Arabisches Sprichwort
«Danke für meine Arbeitsstelle», sang der Strassenmusiker. Ich weiss nicht, ob er von Herzen meinte, was er da sang. Dennoch berührte es mich. Wie der Text weitergeht, weiss ich noch aus meinen Kindertagen: «Danke für jedes kleine Glück. Danke für alles Frohe, Helle und für die Musik.»
Für das Schöne im Leben zu danken – das fällt leicht. Doch könnte ich Gott und dem Leben auch dankbar sein, wenn ich mein Geld mit Strassenmusik verdienen müsste? Ich hatte, als ich an dem Musiker vorbeilief, einen Strauss Tulpen im Fahrradkorb. Blumen liebe ich. Tulpen finde ich besonders schön!
Perspektivwechsel
Mich hat die Begegnung sehr berührt. Im Grunde ist da ein Perspektivwechsel passiert. Beim Zuhören habe ich mein Leben mit dem verglichen, wie ich mir sein Leben vorstelle. Durch diese andere Betrachtungsweise habe ich die Schätze, die ich habe, neu entdeckt. Ich bin dankbar, dass ich es mir leisten kann, Blumen anzupflanzen und manchmal auch zu kaufen.
An meinen schlechten Tagen sehe ich vor allem die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die mein Leben als Autorin und Verlegerin mit sich bringt. Die Begegnung mit dem dankbaren Musikanten half mir, meinen Blick auf andere Aspekte zu richten.
Manchmal muss man nur die Blickrichtung ändern. Der Blick einiger Menschen geht beim Vergleichen stets nach oben. Sie vergleichen sich immer mit denjenigen, denen es vermeintlich besser geht als ihnen. Sie blicken neidvoll auf die Mitmenschen, die reicher, glücklicher oder gesünder sind. Das führt nur zu Frust.
Das ganze Bild sehen
Ausserdem ist es so, dass wir vom Leben der Reichen und Schönen auch immer nur Bruchteile sehen. Wir wissen nicht wirklich, wie ihr Leben war und ist.
Andere sehen nur einen Aspekt. Vor einer Weile sass ich während eines Vortrags neben einer Bekannten. Der Redner sprach von seinen unerfüllten Sehnsüchten. Ich wurde beim Zuhören immer nervöser. Nur träumerisch in Sehnsucht schwelgen nützt selten etwas, Ich mag es lieber, wenn Menschen tatkräftig anpacken.
Meiner Nachbarin ging es ganz anders. «Wie wunderbar muss es sein, mit so einem feinfühligen Mann verheiratet zu sein?», seufzte sie. Zugegeben – ihr eigener Mann ist etwas rauer. Er ist jedoch sehr herzlich, kann gut anpacken und kriegt wirklich etwas bewegt. Ich fragte mich, ob sie mit dem sehnsuchtsvollen Redner wirklich glücklicher wäre? Wenn er vielleicht immer nur von einem schönen Garten träumt, aber nie praktisch mit anpackt. Vielleicht würden ihr mit ihm ganz andere Dinge fehlen.
Anders gesagt: Wenn man sich schon mit anderen vergleichen will, sollte man nicht nur einen Aspekt auswählen, sondern möglichst alle. Das könnte dann vielleicht eine spannende Perspektive geben.
Vergleichen nach unten
Wenn man sich schon mit anderen vergleichen will, sollte man die auswählen, denen es schlechter geht. Millionen Menschen mangelt es an Nahrung, Bildung und Perspektive. Im April 2019 habe ich in einem Flüchtlingslager mitgeholfen, wo sich bis zu 40 Menschen ein Zelt teilen, das kaum grösser ist als meine Wohnküche, die ich für mich alleine habe.
Es ist leichter dankbar zu sein, wenn man sich mit den 98% der Menschheit vergleicht, denen es in vieler Hinsicht schlechter geht als uns. Der Blick auf die 2% reicheren und scheinbar glücklicheren Menschen verdirbt die Laune und verschwendet kostbare Lebenszeit. Die Perspektive zu wechseln und sich mit den vielen zu vergleichen, denen es zumindest materiell schlechter geht als uns, wird wahrscheinlich zu mehr Dankbarkeit führen.
Praxistipps
■ Notiere: Was siehst du, wenn du dein Leben aus einer anderen Perspektive betrachtest? Was würde jemand sehen, der aus einem anderen Land kommt, ein anderes Alter oder Geschlecht hat?
■ Optisch: Betrachte etwas aus einer anderen Perspektive als sonst: deinen Tisch, deine Wohnung, deinen Partner, deine Stadt. Was fällt dir auf?
Medientipps
■ Das Leben ist schön. Regie: Roberto Benigni. Universum Film GmbH, 1997. Ein wunderbarer Film über die Kunst, in schwierigsten Situtionen noch dankbar zusein.
Zum Thema:
Den kennenlernen, der dir eine neue perspektive geben kann
Unmögliches?!: Miteinander Unmögliches erreichen
Schönheit entdecken: Mit offenen Augen durchs Leben gehen
Abenteuer: Die Kunst, Aufregendes zu entdecken
Datum: 09.12.2019
Autor: Kerstin Hack
Quelle: Jesus.ch