«Vergib deinem Mitmenschen»

Und was, wenn es der Mörder meiner Tochter ist?

Vergebung ist wohl eine der schwierigsten, aber auch gesündesten Dinge der Welt. Die Mutter eines Opfers des Columbine-Attentates entschied sich bewusst dazu, dem Mörder der Tochter zu vergeben – und ermöglichte sich damit ein Leben ohne Bitterkeit.
Beth Nimmo

Vergebung ist eines der Dinge, die Jesus seinen Nachfolgern immer wieder ans Herz gelegt hat. Man solle nicht nur sieben Mal im Leben vergeben, sondern unzählige Male (Matthäusevangelium, Kapitel 18, Vers 22). Auch Jesus vergab seinen Feinden, selbst im Moment seines Todes (Lukasevangelium, Kapitel 23, Vers 34). Sogar Gottes Vergebung uns gegenüber ist an die Bedingung geknüpft, anderen zu vergeben (Matthäusevangelium, Kapitel 6, Verse 14 und 15). Doch was, wenn es nicht nur um eine Lüge, ein Zuspätkommen oder ein verpasstes Treffen geht? Was, wenn der andere mich schwer verletzt hat? Was, wenn er meine Tochter ermordet hat?

Die Mutter einer Ermordeten…

Diese Gedanken wird sich auch Beth Nimmo gemacht haben, die Mutter der 17-jährigen Rachel Scott, die aufgrund ihres Glaubens im Columbine-Massaker 1999 umgebracht wurde. Sie hatte mit einem Freund auf dem Rasen des Schulgeländes gegessen, als die zwei jugendlichen Täter auf sie schossen. Als sie noch nicht sofort tot war, fragte einer von ihnen: «Glaubst du noch an Gott?» Ohne zu zögern bejahte sie; der nächste Schuss brachte ihr den Tod.

Ihre Mutter war dankbar, dass Rachel noch im Tod ihren Glauben verteidigte, wie sie kürzlich in einem Interview mit Daily Mail erklärte. «Ich glaube, dass Rachel voller Frieden war, als sie der Waffe und ihrem Mörder gegenüberstand. Ich kann das nicht beweisen, aber ich möchte lieber glauben, dass Rachel im Frieden war und aus dieser Gegenwart des Bösen in die Gegenwart Gottes ging.» Doch was ist mit den Mördern, die nach dem Attentat Selbstmord begingen? Was ist mit der Aufforderung Gottes, auch ihnen zu vergeben?

…trifft die Mutter des Mörders

Nach dem Attentat schrieb die Mutter von einem der Mörder, Sue Klebold, einen tiefehrlichen Entschuldigungsbrief an die Familien der 13 Opfer. Aufgrund dieses Briefes entschloss Beth, sich mit Sue zu treffen. «Sie hatte grosse Angst vor dem Treffen und ich auch», erinnert sich Beth Nimmo. «Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Das war die Mutter von einem der Jungen, die meine Tochter getötet hatten. Ich bat Gott, dass er mir zeigen sollte, was ich dieser Frau sagen sollte – denn ich hatte keine Ahnung!» Beim Treffen bat sie Sue, ihr zu erzählen, wer der Attentäter Dylan Klebold vor dem 20. April 1999 gewesen war. Sue begann zu weinen und erzählte ihr vom «Jungen mit den Locken, der so geliebt und geschätzt wurde».

Vergeben – in erster Linie für mich selbst

«Wir sind keine Freundinnen, wir sind Bekannte», sagt Beth heute. Sie respektiert die Mutter des Attentäters ihrer Tochter – und gemeinsam mit ihrer Familie konnte sie dem Jungen vergeben. Das war überhaupt nicht einfach, doch weiss sie, dass die Vergebung letztlich ihr selbst zugutekommt. «Wenn ich vergebe, sage ich damit: 'Das, was du mir angetan hast, ist nicht normal, aber ich entscheide mich dafür, dir zu vergeben, weil ich nicht den Rest meines Lebens von dem Schmerz dominiert werden möchte. Er wird mich nicht kontrollieren, weil ich nicht zulassen werden, dass mich dies für den Rest meines Lebens definiert!'»

Wie ist das möglich?

Doch wie kann man jemandem vergeben, der einem so Schreckliches angetan hat? Es ist, wie Beth Nimmo zeigt, eine Entscheidung: Ich entscheide mich, zu vergeben. Jeden Tag aufs Neue, vielleicht mehrmals täglich, nämlich jedes Mal, wenn die Gedanken wieder zu dem Menschen und zu dem, was er mir angetan hat, zurückgehen. Und dabei sind wir nicht alleine: Gott möchte uns helfen. Wir dürfen mit ihm reden, ihm unseren Schmerz darlegen, ihn bitten, uns zu helfen, weil wir nicht wissen, wie. Und Gott wird helfen, denn er weiss, dass die Vergebung zunächst einmal für uns selbst wichtig ist, damit wir lernen, loszulassen. Erst dann kann Gott an der Wunde arbeiten, sie heilen. Und erst dann können wir weitergehen, weiterleben.

Wo ist so ein Gott?

Dabei kann es auch helfen, sich vor Augen zu führen, wie Gott reagiert: Er, der die Erde für uns geschaffen hat, der jeden Menschen von ganzem Herzen liebt, der sich nach einer Beziehung mit jedem Menschen sehnt, wie reagiert er darauf, dass ihm Menschen den Rücken zukehren, gar nichts von ihm wissen wollen, und dass selbst diejenigen, die ihm nachfolgen möchten, immer wieder mit den Mitmenschen streiten, ungeduldig werden, ausflippen…?

Die Bibel beschreibt ihn so: «Wo ist ein Gott wie du, Herr? Du vergibst denen, die von deinem Volk übrig geblieben sind, und verzeihst ihnen ihre Schuld. Du bleibst nicht für immer zornig, sondern lässt Gnade vor Recht ergehen, daran hast du Gefallen! Ja, der Herr wird wieder Erbarmen mit uns haben und unsere Schuld auslöschen. Er wirft unsere Sünden ins tiefste Meer.» (Micha, Kapitel 7, Verse 18 und 19) Wenn wir uns bewusstmachen, dass Gott uns alles vergeben hat, kann uns das helfen, unseren Mitmenschen zu vergeben – auch wenn es vielleicht das Schwierigste ist, was wir je getan haben.

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Datum: 23.11.2016
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Jesus.ch

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