Gehorsam entsteht aus einer vertrauensvollen Beziehung
Wie stark sollen Eltern Autorität in der Erziehung ausüben? Das ist eine von vielen grundsätzlichen Fragen, wenn es um die richtige Kindererziehung geht. Remo Largo, emeritierter Professor für Kinderheilkunde, macht im Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich, dass Bindung und Beziehung für Autorität und Gehorsam entscheidend sind.
«Wenn man sich fragt, weshalb Kinder überhaupt gehorchen», so Largo, «dann kommt man darauf, dass sie sich sehr stark an die Eltern und an andere Bezugspersonen binden. Diese Bindung macht sie gehorsam. Aus einer «emotionalen Abhängigkeit» wollten Kinder die Zuwendung und Liebe der Eltern nicht verlieren. Das bringe sie, sozusagen aus Eigeninteresse, zum Gehorsam.
20 Minuten Zeit fürs Kind
Dabei entstünden Bindung und Beziehung nicht automatisch, so Largo, sondern brauchten Zeit. Nach einer Erhebung in der Schweiz, auf die Remo Largo hinweist, verbringen Väter durchschnittlich kaum mehr als 20 Minuten am Tag mit ihrem Kind. Das entspreche dem zeitlichen Aufwand für die Morgentoilette. Wenn Eltern Gehorsam von ihren Kindern erwarteten, sei es entscheidend, dass sie auch Zeit in die Beziehung investierten. Nur so entstehe eine vertrauensvolle Bindung. «Man muss Zeit aufwenden. Man muss als Eltern gemeinsame Erfahrungen machen mit den Kindern.»
Nicht so schnell mit Zurechtweisung
Im Umkehrschluss gelte, dass man sich mit Zurechtweisung zurückhalten solle, wenn für die Beziehung wenig Zeit zur Verfügung stehe. Remo Largo: «Als ich noch gearbeitet habe und am Abend nach Hause gekommen bin, hätte ich nie gewagt, ein Kind gleich zurechtzuweisen. Das führt sofort zu einer Ablehnung. Wenn ich aber am Wochenende mit den Kindern längere Zeit zusammen war, kann die gleiche Zurechtweisung vom Kind angenommen werden. Das ist überhaupt kein Problem.»
Fernsehen und Gamen sind auch für Eltern bequem
Largo unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Kinder ausreichend Zeit in Beziehungen verbringen. Dabei warnt er vor der Versuchung von Fernseher und Gamen. Diese seien nicht nur für den Nachwuchs verführerisch, sondern auch für die Eltern, weil die Kinder dann bequem beschäftigt seien. Stattdessen sollten Eltern entweder selbst Zeit mit ihren Kindern verbringen oder sie dazu motivieren, mit anderen Kindern Zeit zu verbringen.
Eltern sollten «Alternativen anbieten. Sie können nicht einfach nur dem Kind das Gamen verbieten, sondern sie müssen sinnvolle Alternativen haben. Entweder machen Sie selber etwas mit dem Kind, oder das Kind kommt mit anderen Kindern zusammen und kann spielen.»
Weltweit grösste Dokumentation
Viele Jahre arbeitete Professor Remo Largo an der Universitäts-Kinderklinik Zürich. Heute lebt der Vater von drei Töchtern in Uetliburg im Kanton St. Gallen. Bekannt wurde er mit seinen Büchern «Babyjahre» und «Kinderjahre».
Als Leiter der Abteilung «Wachstum und Entwicklung» der Kinderklinik hat er 30 Jahre lang rund 800 Kinder von der Geburt bis ins Erwachsenenalter untersucht. Die Datensammlung, die zwei Stockwerke einer Bibliothek füllt, ist die weltweit grösste und umfassendste Dokumentation kindlicher Entwicklung.
Seine Sicht zur Frage von Autorität und Gehorsam bringt Largo in seinem Buch «Kinderjahre» so auf den Punkt: «Ein Kind braucht nicht zum Gehorsam gezwungen zu werden. Es ist biologisch darauf angelegt, zu gehorchen. Es ist bereit, sich an vertraute Personen zu binden, sich nach Bezugspersonen auszurichten. Sich von ihnen leiten zu lassen und sich an ihrem Verhalten zu orientieren.»
Zum Thema:
Erziehung als Herausforderung: Wenn Kinder die Eltern an ihre Grenzen bringen
Hanni und Heinz Etter: Warum Erziehen mit Vertrauen der bessere Weg ist
Fünf elementare Dinge: Was unsere Kinder wirklich brauchen
Kinderstrafen: Ist Liebesentzug weniger schlimm?
Datum: 16.10.2016
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet