Neue Perspektiven

Trauma kann Leben positiv verändern

Todesfälle, Scheidungen, Krankheiten und Katastrophen lösen bei Betroffenen oft schwere psychische Probleme aus. Doch langfristig können traumatische Ereignisse das Leben auch in eine positive Richtung steuern.
Traumatisierten gelingt oft Neuanfang.

«Vielen Opfern des Schicksals gelingt es, ihre Banden zu Familie oder Freunden zu stärken, sich selbst besser zu kennen, besser an anderen Anteil zu nehmen und neue Perspektiven zu finden», berichtet der britische Psychologe Stephen Joseph von der Universität Nottingham.

Was uns nicht umbringt...

…macht uns stark. In seinem Buch «What doesn't kill us» fasst Joseph 20 Jahre Erforschung des «posttraumatischen Wachstums» zusammen. Er untersuchte Überlebende eines 1987 versunkenen Fährschiffes, der «MS Herald of Free Enterprise». Fast alle zeigten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, kamen mit ihrem Schicksal kaum zurecht und waren im Job und in ihren Beziehungen stark beeinträchtigt.

Bei einer erneuten Untersuchung drei Jahre später bemerkte er jedoch mit Überraschung, dass viele auch Positives berichteten: 46 Prozent bezeichneten ihr Leben nach der Katastrophe als schlechter denn zuvor, fast ebenso viele (43 Prozent) jedoch als besser.

Leben neu denken

Ähnliches zeigten auch die Überlebenden der New Yorker Terroranschläge von 2001 oder jener von Madrid 2004. «Die meisten Menschen wissen, dass sie ihr Leben nicht so weise, verantwortungsvoll, mitfühlend und reif führen, wie sie könnten. Ein Trauma ist wie ein Weckruf zum Nachdenken und erlaubt, neue Perspektiven zu sehen. Woher komme ich? Was ist der Sinn meiner Existenz? Wohin gehe ich? Mit solchen Fragen setzen sich Betroffene eher auseinander.

Viele können nicht mehr dort weitermachen, wo sie zuvor waren - was auch gut sein kann», erklärt Joseph. Der US-Radfahrer Lance Armstrong schrieb in seiner Autobiografie sogar «Krebs war das beste, was mir je passiert ist»: Nachdem er den Tumor überlebt hatte, gewann er die Tour de France als bisher Einziger siebenmal in Folge.

Gemeinschaft wichtig

Auf eigene Faust schafft man es allerdings kaum, durch posttraumatischen Stress zu wachsen. «Wer weinen muss, braucht einen, der daneben sitzt. Wer sprechen muss, einen Zuhörer und wer Hilfe sucht, Hilfeleistende», so Joseph. Trauma-Opfern rät er, sich mit anderen auszutauschen. «Oft hilft es zu wissen, dass man mit der schlimmen Erfahrung nicht alleine ist.»

Zweitens solle man Trauma als Reise verstehen, die trotz allem auch gut verlaufen kann, weshalb man die Augen auch für das Positive offen halten müsse. Freilich gelingt es vielen Traumatisierte nicht, im Sozialleben und Beruf wieder zu funktionieren. Hier sei es wichtig, ärztliche und psychologische Hilfe zu suchen und anzunehmen.

Dennoch übt er auch Kritik an der eigenen Zunft, die er als «posttraumatische Industrie» bezeichnet. «Wer nur nach der posttraumatischen Belastungsstörung sucht, hilft damit nicht, sondern schafft damit eher eine selbsterfüllende Prophezeiung. Ausgewogene Unterstützung muss auch der Möglichkeit Platz geben, dass am Ende des Tunnels Licht ist.»

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Bücher zum Thema:
Stephen Joseph: What Doesn't Kill Us (vorerst nur in englischer Sprache erhältlich)
Ursula Roderus: Handbuch zur Traumabegleitung. Hilfen für Seelsorger, Berater und Therapeuten

Datum: 09.02.2012
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet / pte

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