Irrtümer über das Glück
Denn bei den Untersuchungen übers Glück werden immer wieder auch Irrtümer aufgedeckt, mit denen viele Menschen herumlaufen.
Irrtum Nr. 1: Schönheit und Reichtum machen glücklich
Weit gefehlt. Lieschen Müller mag es glauben. Doch die Forschungen belegen das Gegenteil. Schöne Menschen haben keineswegs ein häufigeres und höheres Glücksempfinden. Viele schöne Frauen erleben, dass ihr makelloser Körper die Männer anlockt. Die Enttäuschung ist umso grösser, weil das Glück zu zweit häufig nur von kurzer Dauer ist. Die Scheidungsrate der Schönen und Superschönen liegt weit über dem Durchschnitt. Bei den Reichen und Superreichen sieht es ähnlich aus. Bei der Befragung von Multimillionären kam heraus, dass 37 Prozent von ihnen sich unglücklicher fühlen als der Durchschnitt der US-Bevölkerung.
Irrtum Nr. 2: Die Glücklichen haben Glück
Sie werden geradezu vom Glück verfolgt, meinen viele. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes Glückspilze. Aber das stimmt nicht. Professor Seligman, ein führender Psychiater in den USA, fand heraus, dass die glücklichen Menschen genauso von Tiefschlägen, Pleiten und Misserfolgen heimgesucht werden wie andere. Nur ihre Lebenseinstellung ist eine bessere. Glückliche Menschen denken eher lösungsorientiert und nicht problemorientiert. Seligman behauptet: «Diese Menschen fragen nicht, ‚Warum ist mir das zugestossen?', sie fragen ,Wozu ist das passiert? Was lerne ich daraus?‘» Sie schauen nach vorn und bleiben nicht beim Misserfolg hängen.
Irrtum Nr. 3: Die Glücklichen sind gesünder
Auf Anhieb leuchtet das ein: «Hauptsache gesund!» Aber auch dieses Vorurteil wird nicht bestätigt. Die wirklich Glücklichen sind nicht gesünder, körperlich fitter als andere Menschen. Sie verstehen es oft nur, geschickter mit ihren Kräften umzugehen. Sie nörgeln und kritisieren weniger. Sie nehmen das Leben mit seinen Höhen und Tiefen, Freuden und Traurigkeiten. Sie murren nicht gegen Gott, gegen andere und gegen die Welt. Die Glücklichen unter uns haben das Talent, ihren Energiespeicher schnell wieder aufzufüllen. Es gelingt ihnen, eine Reihe von Wohlfühlmustern zu realisieren, die es ihnen leichter machen, Unangenehmes hinter sich zu lassen. Jeder sollte für sich so eine Wohlfühl-Liste erstellen, die es ihm ermöglicht, seinen Zufriedenheitspegel wieder zu erreichen.
Irrtum Nr. 4: Man kann dem Glück nicht hinterherrennen
Häufig höre ich von Leuten, die die Bequemlichkeit lieben, die gerne im Sessel ruhen und mitleidsvoll auf Jogger und Wanderer schauen: «Die rennen um ihr Leben. Seht, wie sie pusten und ihre Lungen strapazieren!»
Irrtum. Fitness sorgt für Zufriedenheit. Der Mensch, der Bewegung liebt und Bewegung pflegt, erhöht sein Glücksgefühl. Es ist keine Frage, dass Jogging und Walking depressive Verstimmungen mindern. Depressionsfördernde Stoffe werden beim Schwitzen aus dem Körper ausgeschieden, Glückshormone (Endorphine) ausgeschüttet.
Irrtum Nr. 5: Sich glücklich fühlen ist eine Veranlagung
Die Vererbungstheoretiker haben also doch Recht, dass fast alles, was mit uns geschieht, durch die Gene vorherbestimmt ist?
Mitnichten. Die derzeitige Forschung geht davon aus, dass nur etwa 50 Prozent unseres Glückspotenzials auf die genetische Ausstattung zurückzuführen ist. Die anderen 50 Prozent liegen in unserer Macht. Lebensglück oder Lebensunlust können wir nicht allein den Genen oder Gott in die Schuhe schieben. Wir sind für unser Leben mitverantwortlich.
Irrtum Nr. 6: Glücklich sind die Chaoten
Chaoten sind liebenswert, in der Regel tolerant bis zur Schmerzgrenze. Sie regen sich weniger auf, lassen Fünfe gerade sein. Sie leben und lassen leben, sie machen sich keine Gedanken und zergrübeln das Leben auch nicht. Es geht ihnen so richtig gut. Auch falsch! Die Forscher fanden unter den wirklich glücklichen Menschen so gut wie keine Chaoten. «Ordnung - zumindest im Geist – gehört zum Lebensgefühl der Leichtigkeit», sagt Professor Diner. «Die Glücklichen fällen Entscheidungen schneller, gehen lieber das Risiko falscher Entscheidungen ein, als sie hinauszuzögern oder hinauszuschieben. Sie erledigen, was ansteht, anstatt es anzuhäufen.» Glückliche Menschen packen Dinge an und erleben sich nicht als Opfer. Sie sind die Gestalter ihres Schicksals.
Irrtum Nr. 7: Der grosse Wurf macht glücklich
Wer das grosse Los gezogen hat, ist glücklich. Er schwebt auf Wolke Nr. 7. Der Posten in der Firma, den viele liebend gern haben möchten, macht den Besitzer zum Glückspilz. Die schöne Frau, von vielen angestarrt, hat selbstverständlich den einen überglücklich gemacht, der viele Bewerber aus dem Felde geschlagen hat.
Völlig daneben. «Trait-Glück» nennen die Wissenschaftler die Fähigkeit, kleine Glücksmomente zu erkennen und zu geniessen. Wer sich in den letzten 24 Stunden über fünf kleine Dinge gefreut hat, bringt die besten Voraussetzungen mit, ein glücklicher Mensch zu sein. Können Sie ohne langes Nachdenken spontan fünf Begebenheiten nennen, die Sie glücklich und zufrieden gesehen oder genossen haben? Glückliche Menschen freuen sich an Kleinigkeiten. Sie haben ein Auge für Staunenswertes und für Erfreuliches.
Irrtum Nr. 8: Wer nichts anbrennen lässt, ist am glücklichsten
Es gibt viele Menschen, die alle Angebote, die ihnen über den Weg laufen, wahrnehmen müssen. Sie glauben, wenn sie nichts verpassen, sind sie auf den Zug ins Glück aufgesprungen.
Sie irren sich. Besonders die Menschen, die erlebnishungrig und besonders abenteuerlustig sind, jagen dem Glück mit heraushängender Zunge nach. Ein neuer Trend zeichnet sich ab: «Sie verzichten auf Fernsehen, Freizeitstress, Karriere oder auf die neueste Technik – und fühlen sich glücklich», formuliert David Meyers, ein amerikanischer Glücksforscher. Die vielen Angebote wachsen den Menschen über den Kopf. Der Mensch, der verzichtet, bekommt ein freundliches Weltbild. Der Verzicht lohnt sich.
Irrtum Nr. 9: Je weniger Eltern Kinder zu beeinflussen suchen, desto glücklicher werden sie
Jahrzehntelang wurde diese Weisheit publiziert: Das Kind muss die Freiheit haben, sich selbst zu entscheiden. Kinder lieben es, eigenständig ihren Weg zu wählen und zu finden.
Das Gegenteil belegen die demoskopischen Untersuchungen. Frau Noelle-Neumann, die Direktorin des Allensbacher Institutes, schreibt: «Wir müssen hier auf einen Irrweg zu sprechen kommen, der mehrere Generationen unglücklich gemacht hat. Wo es ernst wird – was Kinder glauben, was sie lesen, mit wem sie befreundet sind – da versuchen Eltern, sie überhaupt nicht zu beeinflussen. Diese Art von bequemem ,Laufenlassen' ist das Gegenteil von dem, was wir bei starken, glücklichen Menschen finden.»
Irrtum Nr. 10: Korrigieren Sie den Fehler, und Sie sind restlos zufrieden
Es gibt eine wirksame Methode, das eigene Glück zu sabotieren: Sie finden immer das Haar in der Suppe. Sie sind fehlerorientiert. Bei Vorträgen benutze ich gern ein grosses Blatt Papier. Ich zeichne einen kleinen schwarzen Punkt darauf und frage die Zuhörer, was sie sehen. Prompt kommt die Antwort: «Einen kleinen schwarzen Punkt.» Warum sehen wir nicht, dass das Papier zu 99,9 Prozent weiss und unbefleckt ist? Wir fliegen auf den winzigen Fliegendreck, der die meterlangen Gardinen beschmutzt hat. Was geschieht, wenn Sie die kleinen Fehler korrigiert haben? Mein Verdacht: Sie finden neue Fehler, die Sie in Atem halten. Sie suchen, und Sie werden garantiert erfolgreich sein.
Irrtum Nr. 11: Wenn Sie perfekt sind, sind Sie glücklich
Perfektionismus ist der unerfüllte Traum vieler Menschen. Jeder hat Vorstellungen, wie das Leben, die Ehe, die Kinder, die Küche, der Mann, die Frau und der christliche Glaube sein sollten. Der Nachteil: Alle genannten Dinge und Personen entsprechen nicht dem Ideal, das wir uns gemacht haben. Und die Konsequenz: Der Perfektionist ist unglücklich. Sein Ziel wird nicht erreicht, er jammert der Vollkommenheit nach. Wie sagte der ehemalige Chefarzt für Psychiatrie der Klinik Hohe Mark: «Unsere Klinik ist voll von Perfektionisten, die alle an der Vollkommenheit gescheitert sind.» Perfektionismus ist Sünde. Wer selber vollkommen sein will, braucht Jesus nicht. Der ist nämlich für Sünder und Unvollkommene gestorben.
Irrtum Nr. 12: Schliess dich einer Kirche an, und du wirst glücklich
In den letzten Jahren mehren sich die Berichte über Forschungen, die herausfanden, dass religiöse Menschen glücklicher und gesünder leben. Die Tatsachen sind eindeutig. Aber in der Aufforderung: «Schliess dich einer Kirche an, und du wirst glücklich», liegt ein gravierender Denkfehler. «Die Kraft des positiven Denkens» ist nicht die zentrale Botschaft des Evangeliums. Menschen, die sich einer Kirche anschliessen, damit sie glücklicher werden, können schwer enttäuscht werden. Die Heilung von seelischen Störungen, von Ängsten, die Befreiung von Zwängen und Süchten ist niemals das vordergründige Ziel biblischer Lehre. Aber wie sind die Forschungen zu verstehen, dass bewusste Christen, auch Anhänger anderer religiöser Gruppen, glücklicher und zufriedener sind? Wir können es als Christen zuspitzen: Wer Christus annimmt, wer ihm vertraut und seine Rettungstat glaubend akzeptiert, der wird auch die Erfahrung machen, dass er eine Zufriedenheit erlebt, die aus der innigen Verbindung mit Christus erwächst. Dieser Glaube hat Rückwirkungen auf Leib und Seele und Geist. Die innige Verbindung mit Christus schafft Frieden, der die zwischenmenschlichen Beziehungen erfasst, der die Beziehung zum lebendigen Gott einschliesst und der den gesamten Organismus beflügelt.
Reinhold Ruthe ist Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche und Eheberater. Der Autor vieler Ratgeberbücher ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.
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Glück – Wege zu einem erfüllten Leben
Datum: 23.07.2012
Autor: Reinhold Ruthe