Was tun gegen Foodwaste in der Schweiz?
Trotz steigendem Bewusstsein und Initiativen landet pro Person in der Schweiz immer noch rund ein Drittel der Lebensmittel im Nirvana der Entsorgung. Konkret entspricht dies 300 Kilogramm, die Herr und Frau Schweizer jährlich wegwerfen.
Eigentum verpflichtet
In Tschechien schreibt ein Gesetz den grossen Supermärkten vor, ihre Lebensmittel kostenfrei an Hilfsorganisationen zu spenden. In der Grundrechte-Charta heisst es, dass Eigentum verpflichte. Laut einer Gerichtssprecherin sei es das Ziel der Abgabepflicht, die «schwerwiegenden Fragen der Lebensmittelverschwendung» zu lösen, wie sie kürzlich einer Klage entgegnete. Bei Nicht-Abgabe droht den Supermärkten eine hohe Geldstrafe. Betroffen sind von dem Gesetz ausschliesslich Lebensmittelgeschäfte mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern.
Auch in Frankreich besteht bereits eine Abgabepflicht.
Nationalrat Hadorn: «Massnahmen sind auch in der Schweiz notwendig»
SP-Nationalrat Philipp Hadorn ist überzeugter Christ und pflegt einen Lebens-Stil der Solidarität, verzichtet auf Alkohol und Fleisch und ist Genossenschafter des Supermarktes Nummer 1 in der Schweiz. Was sagt er zur «Foodwaste-Thematik»? Livenet hat nachgefragt.
Livenet:
Wäre in der Schweiz auch denkbar, dass grosse Supermärkte ihre Lebensmittel-Reste spenden müssen? Sagen wir zum Beispiel beim Grossverteiler mit dem orangefarbenen
M, wo sie selber Genossenschafter sind?
Philipp
Hadorn: Die Lebensmittelverschwendung ist auch in der
Schweiz dramatisch. Massnahmen sind notwendig. Über sinnvolle konkrete
Massnahmen wird gestritten.
Natürlich ist es auch in der Schweiz möglich, den Supermärkten vorzuschreiben, dass als Massnahme gegen Foodwaste unverkäufliche Lebensmittel kostenlos abgegeben werden müssen. Die Grossverteiler in der Schweiz wie Coop, Migros, Manor, Aldi und Lidl arbeiten bereits heute mit Organisationen wie «Tischlein deck dich» oder «Schweizer Tafel» zusammen. Noch ist es natürlich nur ein Bruchteil, der so einer sinnvollen Verwertung zugeführt wird. Diese Organisationen erhalten solche Lebensmittel und sichern deren Verteilung an Menschen, denen es entscheidend hilft, den Alltag besser zu bewältigen.
Wie
wäre dies mit der Gesetzgebung?
Im Moment beruhen die Aktivitäten gegen Foodwaste
auf privater Initiative. In einem demokratischen Land kommt nur in die Gesetzgebung, was eine Mehrheit der stimmberechtigen Bevölkerung will. Standards
werden oft durch private Labels, sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen und
gelebte Praxis eingeführt. Sobald ein
Anliegen als «generell akzeptierter und notwendiger Standard» empfunden wird,
findet dies in der Gesetzgebung ihren Niederschlag. Nur so kann gewährleistet
werden, dass sich unsolidarische «Marktteilnehmende» nicht vor dieser
Verantwortung drücken. Eine solche Regulierung wäre selbstverständlich auch in
der Schweiz möglich.
Wäre es
auch sinnvoll?
Aus meiner Sicht wäre eine solche Regulierung
prinzipiell sinnvoll. Allerdings hat die Schweiz eine Tradition der Anreiz- und
Lenkungspolitik. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen im Parlament ist weder
eine Lenkungs- und schon gar nicht eine «gebietende, zukunftsgerichtete
Gesetzgebung» in diesem Bereich mehrheitsfähig.
Wie
müsste man die Problematik Ihrer Meinung nach angehen?
Mehrheiten, auch in der Öffentlichkeit, schafft man
mit Information und Sensibilisierung. Danach gilt es entsprechende Personen ins
Parlament zu wählen. Dazu besteht im bevorstehenden Herbst ja die Möglichkeit.
Welchen
positiven Initiativen begegnen Sie?
Die zivile Gesellschaft schafft Fakten. Die
Sensibilität nimmt zu. Das Thema kommt auf die «Frontseiten», wenn auch noch
eher selten.
Das Verhalten der Grossverteiler zeigt auf, dass auch sie auf diesem Thema kompetent werden. Die Zusammenarbeit mit den erwähnten Organisationen wie «Tischlein deck dich» und «Schweizer Tafel» lässt einerseits auf ökologische und soziale Werte rückschliessen, andererseits zeigt es auch, dass KonsumentInnen dieses verantwortungsbewusste Handeln schätzen und auch honorieren.
Was
kann der einzelne Konsument tun?
Kaufen Sie, nur was Sie auch verbrauchen. Achten Sie
auf die Haltbarkeit. Meiden Sie Abfall. Seien Sie tolerant, wenn Frischware
gegen Abend nicht mehr im Regal des Ladens steht. Geben Sie den Geschäften
entsprechende Rückmeldungen. Dieses Verhalten lässt sich nicht regulatorisch
auslösen, ist aber aus meiner Sicht ein Akt der Solidarität gegenüber
Mitmenschen, der Vernunft gegenüber der Umwelt und der Dankbarkeit gegenüber
dem Schöpfer. Eine lohnende Lebensweise!
Laut «Bundesamt für Umwelt» und einem Bericht aus dem Jahr 2017 könnten im Bereich der Lebensmittelindustrie in der Produktion und Verarbeitung 300'000 Tonnen Foodwaste verhindert werden; dies durch moderne Technologie.
Eine gerechte Verteilung und Nutzung der Lebensmittel ist auf jeden Fall erstrebenswert und gibt Zufriedenheit und fröhliche Gesichter – und Bäuche.
Zu den Webseiten:
Foodwaste
OGG
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Datum: 23.01.2019
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet