Esther und Josef zum Thema «Resilienz»
Frage: Wie seid ihr aufgewachsen und was hat es ausgemacht, dass ihr euch zu starken Persönlichkeiten entwickeln konntet, die ihr Leben gemeistert und das ausgelebt haben, was in euch steckte?
Josef: Ich hatte grosses Glück. Mein Vater hat sich riesig über meine Geburt gefreut und war von Anfang an stolz auf mich. Meine Eltern haben mir ein Nest der Geborgenheit und Sicherheit gebaut, das hat mir die Gewissheit gegeben, geliebt, gemeint und zugehörig zu sein. Das hat sicher wesentlich dazu beigetragen, dass ich Urvertrauen ins Leben als solches entwickeln konnte. Das Schwierige waren meine Brüder, die mir immer wieder aus Eifersucht meinen Platz in der Familie streitig machen wollten. Ich habe aber stets auf meinen Vater gehört. Er gab mir Sicherheit, Kraft und Stärke.
Esther: Du bist ja ein Glückspilz, Josef! So einfach war es bei mir nicht. Ich bin als Waisenkind aufgewachsen. Wie froh war ich da um meinen Onkel Mardochai, der sich so liebevoll um mich gekümmert hat. Er hat mir gezeigt, wie das Leben funktioniert und er hat mir immer die Liebe Gottes vorgelebt. Deshalb wusste ich: Ich habe zwar keine Eltern, aber ich habe einen wunderbaren Vater im Himmel, der voll und jederzeit zu mir steht. Somit hatte ich zwar kein Ur-, dafür aber ein umso stärkeres Gottvertrauen. Das hat mir die Zuversicht in meinem Herzen gegeben, dass es auch für mich eine himmlische Bestimmung gibt, die ich unbedingt finden und ausleben wollte. Ja, ich habe wirklich immer daran geglaubt einzigartig zu sein.
Josef: Ja, einzigartig, das ist das richtige Stichwort. Denn als mich meine Brüder als Sklaven verkauft hatten, hat mir diese Überzeugung ebenfalls geholfen, an meiner Selbstwirksamkeit festzuhalten. Ich bin durch tiefe Todestäler gegangen, habe lähmende Angst erlebt, habe Hunger gehabt und wurde mit Eifersucht, Verleumdung und Gewalt konfrontiert. Ich habe aber nie an meiner Würde als Mann gezweifelt. Denn dies hatte mich mein Vater gelehrt und mir immer vorgelebt. Es gibt einen Vater im Himmel, der zu mir steht und mit mir ist. Und deshalb kann kein Pharao dieser Welt mich dazu zwingen, anderen Göttern nachzulaufen und mich und meinen Gott zu verleugnen.
Esther: Ich kenne diese Ängste und Schrecken nur zu gut! Du sprichst mir aus dem Herzen. Von einem Tag auf den anderen wurde ich von meinem Onkel getrennt, nur, weil der König eine neue Frau auswählen wollte. Alle jungen Frauen wurden zusammengetrommelt und im Palast eingesperrt. Wir wurden wie eine Ware behandelt. Ich hatte solche Angst, in einem Harem zu enden. Ich wollte leben, wollte meinen Auftrag suchen und nun musste ich lernen, wie man einem König richtig begegnet und Rituale einstudieren, die mir nicht wichtig waren. Am schlimmsten war die bevorstehende erste Nacht beim König. Ich musste zu einem Mann ins Bett steigen, den ich nicht kannte und nicht liebte. Ich hatte solche Angst vor Pein und Schmerzen. Doch auch ich gab meine Würde nicht auf! Bevor ich zu ihm ins Gemach geführt wurde pflückte ich mir noch eine wunderbar duftende Rose und nahm sie mit. Ich wusste, dass ich in den Augen Gottes genauso wie diese Blume war: Einzigartig, kostbar und ein Wohlgeruch vor ihm. Dies hat mir innere Kraft und Stärke gegeben, was der König anscheinend gespürt hat. Er war sichtlich beeindruckt.
Josef: Unsere Geschichten haben offensichtlich viele Parallelen. Meine klare Haltung und meine innere Würde haben mir geholfen, aus dem Sklavendienst auszusteigen. Ich unterstützte den Pharao in wichtigen Projekten, ohne mich selbst zu verleugnen. Trotzdem bin ich ihm nie in den Rücken gefallen, sondern stets loyal geblieben. Die vielen Stationen des Leidens, in denen ich gelernt habe, zu mir zu stehen und mein Können und Wissen dennoch anderen zur Verfügung zu stellen, haben mich auf den grossen Auftrag meines Lebens vorbereitet. Ich konnte einen grossen Speicher an Nahrung anlegen und aufbauen, damit ein ganzes Volk eine langjährige Hungersnot überstand.
Esther: Ganz ähnlich war es auch bei mir. Ich war einige Jahre vom König getrennt. Er interessierte sich nicht mehr für mich und ich war verzweifelt. Plötzlich wurde mir eine Anfrage von meinem Onkel Mordechai überbracht, ich solle zum König gehen und für unser Volk um Hilfe und Gnade bitten. Ein sehr gefährlicher Auftrag! Denn einerseits wusste der König gar nicht, dass ich Jüdin war und andererseits wusste ich, dass der König jederzeit die Möglichkeit hatte, mich wegen einer solchen Bitte umbringen zu lassen. Meine Geduld und mein inneres Vertrauen, das ich mein Leben lang entwickelt hatte, waren nun gefordert. Glaubte ich auch in dieser lebensbedrohlichen Situation an einen grossen Gott, der Wunder tut und mich und mein Volk am Leben lässt? Ich habe drei Tage und drei Nächte gelitten, geweint, gekämpft und gehofft, dass irgendetwas geschieht und ich nicht zum König müsste. Ich habe in diesen Kämpfen mit meinem Gott einen Schlachtplan entwickelt, wie ich das Vorhaben anpacken kann. Der Plan ist gelungen! Ich lebe immer noch und endlich sind der König und ich ein richtiges Traumpaar geworden, das in Zukunft als Team kämpft. Wie froh war ich in dieser ganzen Vorbereitungszeit auf diesen entscheidenden Moment hin, dass ich Menschen an meiner Seite hatte, die mich gelehrt, die mich gestützt und die mit mir durch alle Hochs und Tiefs unterwegs waren.
Josef: Genau! Auch ich hatte in meiner Verbannungszeit immer wieder Möglichkeiten genutzt, mit Menschen um mich herum Beziehung aufzubauen, ihnen mein Herz zu zeigen und sie auch, wenn ich nicht mehr weiterwusste, um Hilfe zu bitten. Am Ende war dies ein entscheidender Faktor, der mich in der Zeit, in der ich sogar im Gefängnis sass, wieder von dort herausgeholt hat – Dank eines Mannes, der an mich geglaubt hat und Freundschaft zu mir wollte.
Alte Geschichten, topaktuell
Obwohl diese beiden Biographien schon Jahrhunderte zurückliegen, sind sie in ihrer Aussagekraft noch immer top aktuell: Beide wussten bis zur letzten Konsequenz, dass sie ihren Umständen nicht ausgeliefert waren. Sie blieben beide zu jeder Zeit innerlich frei. Sie haben in jeder Situation die Konsequenzen aus ihrem Denken, Fühlen und Handeln getragen. Sie lebten beide ehrlich, wahr und klar – sie waren authentische Persönlichkeiten. Ihr grundsätzlicher Optimismus, dass das Leben einen Plan und einen Sinn hat, half ihnen, die schwierigen Phasen ihres Lebens zu überwinden. Dies gelang, weil sie ein hundertprozentiges Ja zu ihrer jeweiligen Situation hatten und sich nicht dagegen auflehnten. Sie suchten immer wieder nach Wegen und Lösungen, um aus Krisen heraus zu kommen. Sie verhielten sich nicht wie Opfer ihres Schicksals, sondern loteten aufs Neue mögliche Räume für Veränderungen aus. Dadurch haben sie zu jeder Zeit Eigenverantwortung gelebt. Getragen von der tiefen Überzeugung, dass der Schöpfer ihnen das Leben geschenkt hat und es prinzipiell gut mit ihnen meint. Sie haben an einen Gott geglaubt, an dem alles vorbei muss und der sie zwar ausbildet und prüft, aber nur aus Liebe und im Wissen, dass jede Erfahrung sie zu diesen einzigartigen Persönlichkeiten formt, die er kreiert hat. Ihr Beziehungsnetz war darum herum eine Freude in guten Zeiten, tragend und unterstützend in der Not.
Urvertrauen – Selbstwirksamkeit – Beziehungsnetz – Gottvertrauen; das sind die Schlüsselfaktoren, die Resilienz bei uns Menschen begünstigen, fördern und erhalten. Von zentraler Bedeutung für jeden von uns, der Resilienz bei sich entwickeln möchte, ist, dass wir von Anfang an eine eigenverantwortliche Grundhaltung einnehmen. Das heisst, dass wir niemand anderen als uns selber dafür zuständig und verantwortlich erklären, ob und wie weit wir den Weg der Resilienz gehen. Auf dieser Basis lebten Esther und Josef und besannen und stützten sich in jedem Moment auf diese Resilienz-Säulen. Diese liessen sie die Herausforderungen ihres Lebens meistern und ihrer jeweiligen Bestimmung entgegengehen. Sie wussten, wer sie sind und konnten sein, wie sie sind!
Zur Autorin:
Monika Graf (54) ist Coach & Supervisorin BSO, Geschäftsführerin und Beraterin in der Stiftung Casa Immanuel in Castrisch. Sie bietet auch Resilienzkurse an. Mehr dazu auf der Webseite des Casa Immanuel.
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Datum: 12.11.2016
Autor: Monika Graf
Quelle: Livenet