«Leiten bedeutet zugleich Schmerz und Freude»
Der Livenet-Talk, moderiert von Redaktionsleiter Florian Wüthrich, ging direkt ans Eingemachte: Welche Herausforderungen erleben die Gäste in der aktuellen Krise? Für Thomas Härry, Fachdozent am TDS Aarau, Autor und geistlicher Begleiter von Führungskräften, ist es vor allem die zwischenmenschliche Herausforderung: Man müsse genauer und sorgfältiger kommunizieren, damit auch über Zoom und Co. rüberkommt, was man wirklich sagen möchte.
Für Johannes Wirth, Senior Pastor der Freikirche GVC Winterthur, sind es vor allem Dinge an sich selbst, von denen er dachte, er habe sie schon lange überwunden, die nun aber wieder hochkommen.
Sabine Fürbringer, Psychologin und Leiterin von «Campus WE», dem Arbeitsbereich für berufstätige Mütter und Frauen in Leitungsfunktionen, sieht dagegen der Technologieschub inmitten der Coronakrise als «einen riesigen Gewinn». Es brauche aber viel mehr Aufmerksamkeit bei Online-Meetings, weil man hinterher nicht so leicht noch einmal nachhaken könne.
Krisen gehören zum Führen dazu
Doch – und darin waren sich alle Gäste einig – sind es nicht nur (gesellschaftliche) Krisenzeiten, die herausfordern. Selbst Zeiten, in denen man denke, man habe das Wichtigste geklärt und konsolidiert, können sich schnell ändern, so Thomas Härry: «Es kommen immer unerwartete Ereignisse und Leute, die ausfallen oder gesellschaftliche Ereignisse, die uns aus der Routine reissen. Das ist auch typisch Gott: Er reisst Menschen aus der Routine, auch deshalb, weil er ihnen beibringen will, dass sie von ihm abhängig bleiben.» Sein Rat für die aktuelle Situation ist es, wie ein Start-up-Unternehmen zu denken und Fehler und Schwierigkeiten einzuplanen. «Anstatt schnell das Gemeindeleben wiederherstellen zu wollen, ist es besser, Klarheit zu finden darüber, was Gott von uns in dieser Zeit möchte und wie wir die Menschen dorthin führen.»
Selbstführung
Ein wichtiger Aspekt der Leitungspersonen ist die Selbstführung. Wenn sich Konflikte nicht lösen, hat dies laut Thomas Härry häufig mit Leitungspersonen zu tun, die nicht merken, dass sie manipulieren oder dass man sie auf bestimmte Dinge nicht ansprechen kann. Ein guter Ansatz ist hierbei für Sabine Fürbringer die Teamleiterschaft, in der man auch persönlich als Leitungsperson im Umgang mit den anderen Leitern reifen kann.
Auch Johannes Wirth gab in diesem Zusammenhang einen Tipp: «Grundsätzlich ist für mich wichtig, dass ich Menschen habe, denen ich bewusst erlaube, mir ins Leben hineinzureden.» Dies sei entscheidend gewesen, auch wenn sie ihm Dinge sagten, die ihm nicht gefielen, ihm aber gut taten. Doch auch die Führungskraft selbst dürfe nicht schweigen, sondern auch bei anderen ins Leben reden.
«Leiten bedeutet zugleich Schmerz und Freude», zitierte Thomas Härry den srilankesischen Autor Ajith Fernando. Diesen Teil des Schmerzes müsse man annehmen und bejahen.
Werte prägen und prüfen
Etwas anderes, das Johannes Wirth als Leiter fasziniert, ist, dass er Kultur prägen kann. Hierbei sei es unwichtig, ob es ein Lobpreis-Leiter, ein Kleingruppenleiter oder ein Gemeindeleiter ist – jeder sei ein Kulturarchitekt. Indem er selbst Werte und Kultur lebt, könne er dies in der Gruppe prägen, etwa die Kultur der Pünktlichkeit, die Kultur des Dienens und anderes.
Und auch hier kommen laut Sabine Fürbringer wieder die Krisenzeiten ins Spiel, denn in solchen Zeiten sehe man, ob die vorgelebte Kultur und Werte auch von den Gruppenmitgliedern wirklich gelebt werden. «In Krisen zeigt sich, ob die Werte, die wir etabliert haben, wirklich taugen.»
Konflikte lösen
Krisen seien aber auch Katalysatoren von Situationen und Unstimmigkeiten, die in der Vergangenheit nicht gelöst wurden, ist Thomas Härry sich sicher. «Ich bin überzeugt, dass in einigen Gemeinden alte Geschichten wieder hochkommen werden, weil jeder jetzt für sich ist und im Stillen seinen Frust kultivieren kann. (…) Es ist weise, wenn ein Leiter sich jetzt Zeit nimmt, um über die Werte und die Faktoren im Umgang nachzudenken.»
Ein wichtiger Aspekt sei hierbei, Konflikte und zwischenmenschliche Probleme nicht per E-Mail oder Whatsapp zu lösen, so Härry. «Ich habe das manche Male verkehrt gemacht, weil ich ein Schnellschreiber bin; ich habe mir Erleichterung verschafft mit einem schnellen Text und hinterher einen Riesensalat gehabt und musste mich schmerzhaft bemühen, die Beziehung wiederherzustellen.» Deshalb sein Rat: Niemals Konflikte über E-Mail, Briefe oder Whatsapp lösen. Selbst das Telefon sei eine Notlösung. Manchmal muss man dann warten, bis es gelöst ist, aber es sollte immer im persönlichen Gespräch geschehen.
Fehler machen erlaubt?
Dürfen Leiter denn Fehler machen? Ganz bestimmt, ist sich Johannes Wirth sicher. «Wenn man sich entschuldigen kann und zu den Fehlern stehen kann und als Leiter authentisch ist, dann darf man auch Fehler machen.» Und er fügt schmunzelnd hinzu: «Die Frage ist: Dürfen denn Mitarbeiter auch Fehler machen?» Wenn allerdings andere Leiter Fehler machen, sollte man dies nie verurteilen, sondern sich vielmehr fragen, was man selbst daraus lernen kann.
Obwohl Führungspersönlichkeiten oft einen hohen Preis zahlen müssen, würden alle drei Gäste die Herausforderung in jedem Fall wieder annehmen. Sabine Fürbringer sieht in ihrem Leben die Treue Gottes, wie er sie immer durchgetragen hat. Wenn er sie in neue, herausfordernde Bereiche beruft, ist das für sie wie eine Einladung Gottes. «Da möchte ich ihm auch treu sein.» Diese Überzeugung trägt sie auch durch schwierige Zeiten, nämlich zu wissen, dass Gott ihr die Leiterschaft anvertraut und zugetraut hat.
Auch für Johannes Wirth war es nicht immer einfach, gerade am Anfang. «Ich habe Schritt für Schritt gelernt, was zum Paket Leiterschaft dazugehört. Konflikte mag ich immer noch nicht, aber es gehört einfach dazu… Und ich bin gerne Leiter!»
Hier können Sie den Talk in voller Länge anschauen. Es handelt sich um die Wiederholung eines Talks vom April 2020:
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Datum: 19.03.2021
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet