Herausfordernder Bibelvers

Freut euch!

Mann, der sich freut
Das steht so einfach mal in der Bibel: «Freuet euch im Herrn allezeit!» Doch je länger Elise Reissmann sich mit diesem Vers beschäftigte, desto stärker hat sie sich gefragt: Wie soll das bloss gehen?

Gute Freunde baten mich im Herbst 2019, auf ihrer für Frühjahr 2020 geplanten Hochzeit zu predigen. Als Trauvers hatten sie sich Philipper 4,4 ausgesucht: «Freuet euch im Herrn allezeit und abermals sage ich: Freuet euch!» Damals ahnte ich noch nicht, auf welchen Weg mich die Zusage zu dieser Predigt führen würde.

Ein sperriger Vers

Die Hochzeit wurde wegen der Pandemie zweimal verschoben. Ich hatte also insgesamt fast drei Jahre Zeit, mich gedanklich mit der Predigt zu beschäftigen. Und je mehr ich über diesen Vers nachdachte, desto sperriger wurde er. Mein innerer Monolog klang ungefähr so «Sich allezeit freuen… am Hochzeitstag klingt das ja noch leicht. Aber wartet mal ab, wenn euch der Ehealltag eingeholt hat, wie es dann mit der Freude aussieht. Allezeit? Pustekuchen. Okay, also ist es umso wichtiger, sich an die Freude in Christus zu erinnern. Aber jetzt mal ehrlich – sich immer freuen? Allezeit? Ist das nicht etwas übertrieben, lieber Paulus?» So wälzte ich Predigthilfen und Bibelauslegungen, um eine Erklärung für diese Aufforderung zu finden. Sich immer freuen – irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, was damit gemeint sein soll. Und noch weniger, wie man einem verliebten Brautpaar klar machen könnte, dass ihr Trauvers möglicherweise eine der grössten Herausforderungen ihres Lebens sein würde.

Denkfehler

Ich bin noch immer nicht fertig damit, über diesen Vers nachzusinnen. Trotzdem möchte ich meine unfertigen Gedanken mit euch teilen: zwei Sackgassen und ein Kreisverkehr. Sackgasse 1: Die Betonung auf im Herrn verschieben. Das Argument klingt dann so: Paulus meint nicht, dass wir uns immer freuen sollen, sondern wenn wir uns freuen, sollen wir uns an Christus freuen. Also: Freut euch nicht an den Unwichtigkeiten dieser Welt, sondern lasst allein Christus eure Freude sein. Und da Christus ja irgendwie auch immer bei uns ist, haben wir eigentlich auch immer Grund zur Freude. Zack, Problem gelöst. 

Aber: Die Bibel unterscheidet nicht zwischen «weltlichen» und «christlichen» Freuden. Das machen nur wir. Wenn wir Schokolade essen, haben wir das Gefühl zu «sündigen», wenn wir Bibellesen haben wir das Gefühl, etwas «Gutes» zu tun. Freude an einem Glas Wein nach einem üppigen Abendessen scheint uns verwerflicher zu sein als Freude über ein gesundes Vollkornbrot nach einer anstrengenden Wanderung. Diese Wertungen von «besserer» oder «schlechterer» Freude kennt die Bibel allerdings nicht. Sie warnt zwar vor Schadenfreude, aber ansonsten sind alle Lebensbereiche gleichermassen mit Freude durchtränkt. Jona freut sich über seine Rizinuspflanze ebenso wie David über seine Freundschaft mit Jonathan oder der Hirte über sein verlorenes Schaf. Paulus’ Aufforderung, sich allezeit zu freuen daher nur auf Jesus zu beziehen, führt erstmal in eine Sackgasse.

Eine Frage der Perspektive?

Sackgasse 2: Die Betonung auf «Freuet euch!» verschieben. «Freut euch! Los jetzt! Macht schon!» Aber Freude kann man nicht produzieren. Oder doch? Viele lesen diesen Vers zuerst als Appell: Ich muss mich freuen. Immer lächeln, gut drauf sein, Sorgen wegstecken. Wenn ich mich nicht freue, mache ich etwas falsch. Gott gibt uns ja alles, was wir zur Freude brauchen. Wir alle, die wir diesen Artikel lesen, haben vermutlich genug Essen, ein gemütliches Bett und sogar noch genügend Geld, um uns eine Zeitschrift zu leisten. Warum also sich nicht an all diesem Guten freuen? Ob das Glas halb voll oder halb leer ist, ist doch eine Frage der Perspektive. Im Grossen und Ganzen geht es uns allen doch prima und wir haben allen Grund, uns zu freuen. Also Perspektive wechseln, in allem irgendetwas Gutes zu sehen. Zack, Problem gelöst. Warum fällt es uns trotzdem so schwer, uns allezeit zu freuen? Und warum fühlt sich das Grinsen am Sonntagmorgen manchmal so falsch und aufgesetzt an? Auch hier verrennen wir uns in einer Sackgasse.

Ein Fingerzeig auf Gott

Kreisverkehr: Freut euch – allezeit – im Herrn – allezeit – freut euch – im Herrn. Mir scheint es hilfreich, den Vers als Kreisverkehr zu betrachten. Freude ist dann möglich, wenn wir Jesus als unseren Herrn vor Augen haben. Gleichzeitig ist die Aufforderung zur allzeitigen Freude genau so gemeint: Uns immer und in allen Dingen zu freuen. Das bedeutet nicht, sich über alles zu freuen. Es gibt Umstände, die uns zurecht traurig oder wütend machen. Aber: Trauer und Wut sind keine Gegensätze zur Freude. Nur wer mitleiden kann, kann sich auch mitfreuen. Gott war selbst zornig. Paulus, der uns hier zur Freude ermuntert, hatte auch mal seine wütenden Momente. Dennoch gilt: In allem, was uns im Leben begegnet, sind wir im Herrn. Wir gehören nicht uns selbst, sondern Christus. Auch wenn wir uns über Kaffee, Kekse, Kinder oder ein nettes Kompliment eines Kollegen freuen. Das alles kommt letztlich von Gott und verweist auf ihn als den guten, kreativen, grosszügigen Schöpfer. Jede kleine Freude und jede grosse Freude sind ein Fingerzeig auf einen Gott, der sich darüber freut, uns eine Freude zu machen.

Mit Freude überrascht

Zurück zum Bild des Kreisverkehrs: Statt uns im Alltag in den Sackgassen zu verzetteln, nehmen wir immer mal eine andere Ausfahrt. Mal ist es die Ausfahrt Erinnerung. Dann ist es wichtig, uns daran zu erinnern, dass aller Grund zur Freude von Gott kommt. Mal nehmen wir die Ausfahrt der Erwartung. Wir bedenken, dass auf uns ewige Freude, wie sie in Jesaja verheissen ist, wartet, und harren in dieser Erwartung aus. Mal wird uns bewusst: Allezeit heisst jetzt. Jetzt und hier sind wir zur Freude aufgefordert. Und immer kommen wir zurück zum Zentrum und kreisen um ihn: Jesus. 

Das bedeutet nicht, immer gut drauf zu sein und alle Probleme wegzulächeln. Wahre Freude kann man nicht anknipsen. Wahre Freude überrascht uns. Es ist nicht selbstverständlich, dass Schokolade lecker schmeckt, dass unsere Kinder so umwerfend lachen können, dass Blumen duften und Musik uns zum Tanzen bringt. Die Welt, wie sie ist, ist nicht selbstverständlich. Wir verstehen erst, wie viel Freude in dieser Welt auf uns wartet, wenn wir die Welt von Christus her verstehen lernen. Und in Christus, im Herrn, sehen wir: Gott freut sich daran, uns zu erfreuen. Gott ist ein Gott, der gern Freude bereitet. Und der sich an uns freut. Allezeit. «Wo hat Gott dich zuletzt mit Freude überrascht?» – was würde passieren, wenn wir uns diese Frage gegenseitig regelmässig stellen?

Einüben und kultivieren

Aber was machen wir denn nun mit diesem Appell? Irgendwie steht er ja doch noch wie ein Elefant im Raum: Freut euch! Ich bin nicht fertig mit meinen Gedanken dazu. Paulus auch nicht. Es lohnt sich, die weiteren Verse im Philipperbrief dazu nachzuschlagen und sich zu fragen, inwiefern sie uns das Freuen erleichtern und erklären. Und dann ist da auch noch der Galaterbrief, in dem die Freude als Frucht des Heiligen Geistes beschrieben wird. Freude ist zuerst eine Gabe. Erst danach auch eine Aufgabe. Freude ist eng verwandt mit Dank und Hoffnung. Und die können wir durchaus aktiv einüben und kultivieren, allein, als Paar oder als Familie. Täglich innehalten und bewusst danken. Selbstverständliches vor Gott betrachten und mit Gott verstehen. Und hoffen. Uns erinnern, an alle Zusagen Gottes, die in Erfüllung gehen werden. Eine dieser Zusagen ist: Ein Leben in ewiger Freude.

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Zum Thema:
Den Glauben entdecken
Serie «Heiliger Geist»: Freude – unabhängig von äusseren Umständen
Oft gehört, neu verstanden: Freude – Lebenselixier der Christen 

Datum: 09.02.2025
Autor: Elise Reissmann
Quelle: Magazin Joyce 01/2025, SCM Bundes-Verlag

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