Wenn Christus zu den Menschen geht
Als Rebecca Kehrberger 2019 mit ihrer Familie in Mannheim eine Wohnung suchte, wurden sie in Franklin fündig. Der neu erbaute 38. Mannheimer Stadtteil war einmal Deutschlands grösste Siedlung für amerikanische Streitkräfte. Bald sollen «auf Franklin» 10'000 Menschen wohnen; besonders Familien mit Kindern sind schon viele hier. Als Christen stellten sie schnell fest: Sie wohnten zwar mit Blick auf die ehemalige «Franklin Church» der US-Armee, doch eine aktive Kirche oder Gemeinde gab es im Wohngebiet nicht. Das sollte sich ändern!
Sie suchten Kontakt zu anderen Christen und entdeckten eine spannende Initiative: Schon eine ganze Weile hatten der katholische Pastoralreferent Richard Link und sein evangelischer Kollege Pfarrer Bernd Brucksch ähnliche Gedanken wie sie und vernetzten Menschen, damit hier eine Gemeindearbeit entstehen könnte. «Das wollten wir nicht einfach so laufen lassen», erklärt Link im Gespräch. Rebecca Kehrberger wurde bald darauf vom CVJM als «Pionierin auf Franklin» für die Stadtteilarbeit angestellt. Zusammen träumen die drei von einer jungen Form von Kirche, die in den Stadtteil und zu seinen Menschen passt. Für die «Kirche auf Franklin» haben sie deshalb eine Kooperationsvereinbarung geschlossen.
Kirche, wo nichts ist
Wie entsteht Kirche, wenn mehr und mehr Familien zuziehen, aber kein Gebäude existiert? Ganz einfach: ohne Gebäude. Zu Beginn erhielt die Stadtteilkirche einen Bauwagen geschenkt, in dem sie erste Gesprächskreise anbot und heute vor allem ihr Material unterstellt. In der Grundschule, der ehemaligen Elementary School, können sie ein Klassenzimmer als multifunktionalen Kirchenraum nutzen: Dort finden Mitarbeitendentreffen statt, Bibelgesprächskreise, ein Frauentreff und eine Krabbelgruppe. Kinder kommen bei den Abenteuerknirpsen, den Abenteuerkids und dem Kinderchor zusammen. Sogar Taufen fanden hier schon statt. Richard Link schränkt ein: «Aber es ist und bleibt ein Klassenzimmer für maximal 30 Leute.» Wenn die Gruppen grösser werden, stossen sie in der Schule schnell an die Grenzen ihrer Kapazität.
Wer kommt denn so?
Weil das Wohngebiet erst seit Kurzen existiert, gibt es keine Alteingesessenen. Alle sind neu. Das sind hauptsächlich viele junge Familien mit kleinen und Kleinstkindern. Einige waren aus der Kirche ausgetreten oder gehörten nie dazu, andere waren eher kritisch eingestellt, und etliche hatten sich schon im Vorfeld in einer Kirche oder Freikirche engagiert. Sie alle treffen sich jetzt in der «Kirche auf Franklin» und leben und erleben dort Gemeinschaft. Das Besondere der Stadtteilarbeit ist, dass keine Sonntagsgottesdienste gefeiert werden, stattdessen gibt es Gruppenangebote unter der Woche und als regelmässige Highlights Festgottesdienste zu den kirchlichen Feiertagen. Eine Info über die Kirche hält fest: «Wir erleben, dass Menschen, die in diesen Stadtteil ziehen, Heimat und Kontakte suchen. Sie wünschen sich Heimat. Der grösste Heimatgeber für uns ist Gott. Begegnungsräume zwischen ihm und Menschen zu schaffen, ist unser Herzensprojekt.»
Ist das Kirche?
Kann so Kirche funktionieren? Rebecca Kehrberger meint: «Nur so! Es geht um die Fragen, wie wir Gemeinschaft leben und als Familien kirchliche Feste feiern können. Hier bleiben die Kinder entspannt und für die Eltern ist das Miteinander kein zusätzlicher Stressfaktor. Es geht uns nicht darum, eine evangelische oder katholische Kirche zu bauen. Labels wie diese werden zunehmend unwichtiger. In der Kirche der Zukunft werden diese Grenzen kaum eine Bedeutung haben.» Die Besuchenden geben ihr Recht. Sie kommen gern und die CVJM-Pionierin freut sich, wenn die Kinder bei den Abenteuerkids jammern: «Warum treffen wir uns nur alle zwei Wochen?»
Rebecca Kehrberger geht das Herz besonders auf, wenn sie an die Weihnachtsgottesdienste denkt: «Da treffen wir uns wie an den anderen Feiertagen ‘Open Air’. An Heiligabend sind wir auf dem Platz vor der Boulderhalle. Um 14 Uhr geht der Aufbau los und wenn es um 16 Uhr losgeht, ist hier mitten im Wohngebiet und im Alltag der Menschen ein Gottesdienstort entstanden, an dem fast 500 Leute gemeinsam feiern.» Immer wieder hört sie: «Wenn das Kirche ist, dann komme ich gern.»
Träume auf Franklin
Niederschwellig an den Menschen im Viertel dran zu sein, ist das Ziel der ökumenischen Initiative. Richard Link wünscht sich für die Zukunft: «Bisher sind wir Hauptamtlichenkirche. Wir wollen es aber schaffen, dass die Menschen, die bei uns mitmachen, die Kirche als ‘ihre’ Kirche mitgestalten und weiterentwickeln.» Als katholische und evangelische Kirche sowie CVJM wollen sie gemeinsam eine neue Art von Kirche denken und dies auch in neuen Strukturen zum Ausdruck bringen. Eines seiner Highlights war der diesjährige Franklin Meilenlauf, der traditionell Laufstrecken vom Kinderlauf bis zum Halbmarathon anbietet. Die Kirche auf Franklin ist regelmässig dabei und bietet unter einem Banner mit der Aufschrift «Segen tut gut» Gespräche, Gebet und Gottes Segen an. «Diesmal kamen so viele Leute wie noch nie. Und etliche wollten sehr persönliche Anliegen loswerden und Gottes Segen empfangen. Mit Helmut und seinen beiden Freunden kam ich ins Gespräch und segnete sie. Nach dem Lauf kamen alle drei zurück an den Stand, um sich zu bedanken. Dafür bin ich angetreten: um so bei den Menschen zu sein.»
Vieles ist noch unklar bei der jungen Stadtteilkirche. Werden sie irgendwann Räumlichkeiten brauchen und erhalten? Wird sich die Kooperation bewähren? Doch die drei Hauptverantwortlichen sind zuversichtlich: Gott hat etwas vor auf Franklin – und sie sind jetzt schon ein Teil davon.
Zur Website:
Kirche auf Franklin
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Datum: 06.11.2024
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet