Ladina Spiess

«Ich sehe Jesus als 'Sinn'fluencer»

Lange Zeit war ihre kraftvolle, klare Stimme am Radio zu hören. Seit einigen Jahren ist die Frau
Ladina Spiess (Bild: best-image.ch/Bernhard Stegmayer)
Ladina Spiess auf ihrem Töff
Titelseite der Jesus.ch-Print Nr. 50 Zürich Oberland

dahinter auch zu sehen. Ladina Spiess (53) aus Ottikon ZH moderiert Events, coacht in kompetentem Auftreten und arbeitet neu als Texterin. Stark in der reformierten Kirche Gossau engagiert, sinniert sie über den Einfluss von Jesus.Ladina Spiess, Sie waren insgesamt 23 Jahre als Redaktorin, Moderatorin und Reporterin beim Radio tätig – von 1999 bis 2003 auch bei Radio Zürisee. Was hat Sie vor gut einem Jahr zum Weggang von Radio SRF 1 bewogen?
Ladina Spiess:
Ich wollte aufhören, solange mir die Arbeit noch Spass macht. Und nach 15 Jahren hatte ich mit 52 einfach noch Lust auf etwas Neues. Mein bisheriges berufliches Nebenengagement als Moderatorin und Coach ergänzt sich nun wunderbar mit der neuen Tätigkeit als Texterin. Aber ganz klar: Das Medium Radio ist und bleibt meine erste Liebe.

Sie sind im Glarnerland aufgewachsen und wohnen seit 25 Jahren mit ihrem Mann Matthias im Zürcher Oberland. Was schätzen Sie an Land und Leuten?
Mir gefallen das Ländliche und die sensationelle Lage des Zürcher Oberlands; die Nähe zu den Seen und auch zur Stadt Zürich – vor allem aber, dass der Weg in die Berge nicht weit ist. An den Menschen hier mag ich die Bodenständigkeit. Zahlreiche engagieren sich in Vereinen oder sonst wie fürs Gemeinwohl, was eine gewisse Verbundenheit schafft, ein schönes Miteinander. Wer hier Anschluss sucht, der findet ihn auch.

Nach einem Motorradunfall vor zwei Jahren kamen Sie zum Fototermin heute extra und erstmals wieder mit dem Töff. Sind Sie eine mutige Frau, Ladina?
Ich traue anderen und mir selbst viel zu. Prinzipiell lasse ich mich gern auf Abenteuer ein. Ich muss nicht immer wissen, was mich erwartet und mag es gar nicht, wenn schon alles geplant ist. Falls das reicht, um mutig zu sein, dann bin ich es.

Als Zeitgenossin und Begleiterin von Jesus wären Sie wohl nicht unglücklich gewesen. Auch mit ihm wusste man nie, was an der nächsten Ecke auf einen wartet. Teilen Sie unsere Bezeichnung von Jesus als «Influencer Nr. 1»?
In Bezug auf Jesus gefällt mir das Wort Influencer weniger. Influencer sind heute Menschen, die auf digitalen Kanälen meist auf äussere Dinge abzielen. Sie preisen uns ein bestimmtes Kleiderlabel, eine spezielle Frisur oder ein Produkt an. Ich sehe Jesus als «Sinn»fluencer. Er hat den Menschen Werte vermittelt und vorgelebt; Werte wie Vergebung und Versöhnung. Dadurch hat er Sinn in unsere Welt gebracht.

Wie beurteilen Sie den Einfluss von Jesus im Zürcher Oberland?
Es gibt hier viele Menschen, die sich von Jesus beeinflussen lassen und ihr Leben seinen Werten entsprechend gestalten. Das wirkt sich wiederum auf die Gesellschaft aus, prägt Lebensbereiche wie Politik und Familie, bis hin zur Kunst. Diese Menschen orientieren sich auch an den «Zehn Geboten». Es steckt viel Freiheit darin, wenn sich jeder an diese Weisungen halten würde. Die Welt wäre eine andere. Das zeigt sich nur schon beim Gebot «Du sollst nicht stehlen»: Konsequent von allen Menschen gelebt, wäre es nicht mehr nötig, Velos oder Haustüren abzuschliessen.

Welche Menschen hatten und haben Einfluss auf Sie?
Da kommen mir meine Eltern, aber auch meine Gotte und manch andere heute meist ältere Menschen in den Sinn. Sie alle haben mich geprägt und unterstützt, ich verdanke ihnen viel. Mir ist aber genauso wichtig, für die Sichtweise junger Menschen offen zu sein. Sie haben eine so lockere, frische Art, die Welt zu sehen und zu verstehen. Auch von meinem fünfjährigen Neffen konnte ich vor einigen Monaten lernen, als er sagte, dass mein Bruder / sein Onkel nach dessen Tod nun in seinem Herzen lebe. Das hat mich sehr berührt.

Was fasziniert Sie persönlich an Jesus?
Wer die Geschichten und den Lebensbericht von Jesus im Markus-Evangelium liest, wird entdecken, weshalb mich Jesus fasziniert. Er ist Gott und wurde zugleich Mensch. Er lebte und handelte mit grosser Liebe, Freundlichkeit und Weisheit. Zugleich war er sehr klar und konsequent. Auch der Kirchenvater Augustinus beschreibt für mich die Faszination und Einzigartigkeit von Jesus, wenn er sagt: «Ich habe Sprüche von Platon und Cicero gelesen, die weise und schön waren. Aber bei keinem habe ich gelesen: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich gebe euch Ruhe.» (Die Bibel, Matthäus-Evangelium, Kapitel 11, Vers 28, Anm. d. Red.) Platon und Cicero waren grosse Denker, aber schlussendlich doch nur Menschen. Jesus hat dieses «Mehr» und das fasziniert mich an ihm. Er hat uns nicht nur ein paar weise Sprüche hinterlassen. Er hatte den Auftrag, die Welt mit Gott zu versöhnen. Das ist der springende Punkt, denn darin finde ich diese unvergleichliche, tiefe Ruhe, von der Jesus spricht.

Wie erleben Sie Jesus im Alltag?
Ui, da würde ich gern ein grosses Wunder erzählen – aber leider nein! Jesus beeinflusst mein Leben ganzheitlich; das bedeutet, er ist bei und mit mir. Ich beginne am Morgen mit einer Zeit der Besinnung, lese ein gutes Wort oder eine Passage aus der Bibel, bete und tausche mich mit Matthias aus. Ich vertraue einfach darauf, dass Gott mich durch den Tag begleitet. Immer wieder kommt es vor, dass mich Freude und Dankbarkeit über erlebte Schönheit regelrecht überwältigen, vor allem in den Bergen. Auch so erlebe ich Jesus im Alltag. Oder ich frage mich in einer bestimmten Situation, wie er jetzt reagieren würde… Ich bin weit davon entfernt, es immer richtig zu machen, aber nah genug dran, um mich immer wieder inspirieren zu lassen.

Sie sind in der Gottesdienstkommission der Reformierten Kirche Gossau und moderieren regelmässig Gottesdienste. Welchen Beitrag leisten die Kirchen im Zürcher Oberland aus Ihrer Sicht für die Bevölkerung?
Mit dem Kirchentag im vergangenen Jahr hat man im Zürcher Oberland ein Zeichen gesetzt. Ich finde es grossartig, wenn Kirchen unterschiedlichster Schattierungen und Färbungen zusammenkommen. Es finden ja immer wieder Regio-Gottesdienste statt, die man heute zusammen feiert, ohne sich nach dem genauen kirchlichen Hintergrund der anderen zu erkundigen. Auch das soziale Engagement der Kirchen ist wichtig und klar ihr Auftrag – aber, wie ich finde, nicht der einzige. Jede Firma sucht heute ihren USP, ihr Alleinstellungsmerkmal – und die Kirche hat eines! Ihre Hauptaufgabe sehe ich in der Verkündigung von Gottes Wort, von der Vergebung und der Versöhnung. Natürlich geht es auch darum, Raum zu bieten, um Glauben zu teilen und Gemeinschaft zu leben. So gesehen hat die Kirche für die Menschen hier einen grossen Stellenwert; sie sollte einfach nicht ihre Hauptaufgabe aus den Augen verlieren.

Wo sehen Sie die grösste Herausforderung der Kirche generell?
Dass sie an Attraktivität verloren hat. Man muss sich fragen, weshalb die Kirche für die Leute nicht mehr ansprechend ist, kein Ort mehr, an dem sie sich abgeholt fühlen… Vielleicht hat es tatsächlich etwas damit zu tun, dass sie sich zu wenig auf ihr oben erwähntes Alleinstellungsmerkmal konzentriert und als Gemischtwarenladen auftreten möchte. Die vielen Austritte geben mir schon zu denken. Kirchen bieten Rituale wie Taufe, Konfirmation, Firmung, Trauung, die für uns Menschen wichtig sind; sie begleiten uns durch unser ganzes Leben, von der Geburt bis zum Tod. Dieser «Lebenslauf» geht ein Stück weit verloren, wenn man der Kirche den Rücken kehrt.

Welche Spuren möchten Sie mit Ihrem Leben hinterlassen?
Eine Statue auf dem Dorfplatz – ha ha! Nein, im Ernst: Kürzlich umarmte mich eine Frau, die ich nicht mehr erkannte. Sie bedankte sich von ganzem Herzen für meine Hilfe in schwierigen Teenagerjahren. Das hat mich sehr bewegt. 20 Jahre ist es heute her – und offensichtlich habe ich in ihrem Leben Spuren hinterlassen. Eigentlich sind die Spuren, deren wir uns gar nicht bewusst sind, doch die schönsten!

Dieser Artikel erschien in der Regionalausgabe Jesus.ch-Print Nr. 50 Zürich Oberland zum Thema «Influencer Nr. 1». Hier kommen Sie direkt zu allen bisher erschienen Regionalausgaben.

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