«Warum sollten Frauen nicht leiten dürfen...?»
Anderthalb Jahre hat eine Chrischona-Projektgruppe über dem Thema «Dienst der Frau in der Gemeinde» gebrütet. Im November wurde an der Predigerkonferenz auf St. Chrischona darüber diskutiert. Mitte September hatte das Komitee des Verbandes erste Entscheide gefällt. Die Gemeindeleitungen wurden kürzlich informiert.
Die Kernpunkte:
- Gemeinden stellen Frauen als hauptamtliche Mitarbeiterinnen an, ohne ihnen die alleinige geistliche Leitungsverantwortung zu übertragen.
- Frauen können in alle Gremien der Gemeindeleitung gewählt werden. Über die Form entscheiden die Ländervereine.
- Die aktive Förderung des gemeinsamen Dienstes von Mann und Frau ist zu verstärken.
Das Projekt ist laut René Winkler, Leiter von Chrischona Schweiz, in der Endphase. Es dürfe aber nicht isoliert diskutiert werden. Elementar seien auch die Fragen, wie wir zu Erkenntnissen kommen und mit unterschiedlichen Erkenntnissen umgehen.
Ein «Dauerbrenner»
Gespannt blicken Freie Evangelische Gemeinden (FEG) und Vereinigung Freier Missionsgemeinden (VFMG) auf die Entwicklung bei Chrischona. VFMG-Leiter Paul Beyeler würdigt die enge Zusammenarbeit der drei Verbände in den letzten Jahren und die gemeinsame theologische Linie. Die Frauen-Frage bleibe ein «Dauerbrenner».
Bei der VFMG könnten Frauen derzeit in die vollzeitliche Mitverantwortung einer Gemeinde berufen werden, aber nicht als Predigerin oder Älteste, sagt Beyeler. Grundlage sei eine Leitlinie, die sich an das «Frauenpapier» von Chrischona aus dem Jahr 1993 halte. Sie werde auch vom Bund FEG mitgetragen.
Keine Pfingst-Leiterinnen
«Bei uns wurde das Thema schon vor 15 Jahren an einer Pastorenkonferenz ernsthaft diskutiert», erklärt Max Schläpfer, Leiter der Schweizerischen Pfingstmission (SPM). «Die damals gefällten Entscheide haben sich bewährt.» Das heisst: Die SPM kennt keine Frauenordination. Frauen können in den 65 Pfingstgemeinden «jeden Dienst gemäss ihrer Begabung tun – mit der einzigen Einschränkung, dass Frauen keine Gemeindeleitungsaufgabe innehaben sollen».
Schläpfer erklärt dies mit dem «Leitungsverständnis» seiner Bewegung. Für Gesprächsstoff sorge freilich immer wieder, dass die Gemeinden den Dienst der Frau nicht gleich interpretierten. Grundsätzlich könne eine Gemeinde auch Frauen in den Ältestenrat berufen.
Lange EMK-Tradition
Eine ganz andere Tradition kennt die EMK mit ihren 153 Gemeinden und Predigtorten in der Schweiz. Die Methodisten feiern 2006 weltweit «50 Jahre Frauenordination». «Bei uns ist alles möglich», stellt Bischof Heinrich Bolleter fest. «Frau und Mann sind in allen Ämtern und Funktionen gleichberechtigt.»
Von einer Frauen/Männer-Sicht hält Heinz Strupler vom Bund Evangelischer Gemeinden (BEG) gar nichts: «Gott gab allen den gleichen Auftrag: Machet zu Jüngern alle Völker! Lassen wir Menschen das tun, wozu sie berufen sind, ganz egal, welches Geschlecht sie haben.» Im BEG entscheide jede Gemeinde frei, wer zu welchem Dienst berufen sei.
Ehepaare berufen
Bei Vineyard mit ihren 20 Gemeinden in der Schweiz betont die Leitung ihre «offene Haltung». Leitungsmitglied Wilf Gasser schränkt aber ein: «Auf der Umsetzungsebene sind wir immer wieder mit Rollenmustern konfrontiert, welche die Entfaltung der Frauen hindern.» Die Vineyard-Bewegung «Dach» (Deutschland, Österreich, Schweiz) wird von drei Ehepaaren geleitet. «Wir ermutigen dazu, Ehepaare gemeinsam in die Gemeindeleitung zu berufen», sagt Gasser, «und unabhängig vom Geschlecht Funktionen den Gaben gemäss wahrzunehmen. Als Verband sehen wir in der Freisetzung der Frauen ein riesiges Potenzial für das Reich Gottes.»
Den Gemeinden freigestellt
«Der Dienst der Frauen in Verkündigung und Leitung ist in etlichen unserer Gemeinden längst gängige Praxis geworden.» Dies schreiben Leitungsmitglied Emanuel Neufeld und Dozent Hanspeter Jecker zur Situation bei den Mennoniten, die in der Schweiz 14 Gemeinden zählen. Einzelne Gemeinden verständen die Dienstmöglichkeiten der Frau aber eingeschränkter. Mit dieser Vielfalt in Theologie und Praxis sei der Gemeindeverband bestrebt, das Evangelium glaubwürdig zu bezeugen.
Die Konferenz der Mennoniten der Schweiz (KMS) habe sich in den 90er-Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt. Die Fakten auf Konferenzebene: Im Ältestenrat der KMS sitzen 18 Prozent Frauen, in der Delegiertenversammlung 45 Prozent. Die seit zehn Jahren gültige Übereinkunft des Ältestenrates besagt: «Es ist den Gemeinden unserer Konferenz freigestellt, Frauen in Lehr- und Ältestendienste zu berufen. Männer und Frauen sind gemäss ihren Gaben, ihrer geistlichen Reife und der Berufung durch die Gemeinde gemeinsam zu den Diensten der christlichen Gemeinde berufen.»
«Positive Beispiele ab 20»
Langjährige Praxis ist der unbeschränkte Einsatz der Frauen auch beim Evangelischen Gemeinschaftswerk (EGW). Walter Gerber, Leiter Gemeinschaften, belegt dies: In der EGW-Leitung sind drei von zwölf Mitgliedern Frauen, von den 36 Bezirken werden fünf von Frauen geleitet, und in Gemeindeleitungen beträgt der Frauenanteil 50 Prozent. Die Kanzel stehe nicht nur Theologinnen, sondern auch andern engagierten Frauen offen. Walter Gerber: «Es gibt positive Beispiele ab Alter 20!» Die Verantwortung für alle Dienste liege bei den 36 Gemeindeleitungen.
Kein «Frauen-Problem» auch bei der Heilsarmee. «Wir sind in der bevorzugten Situation, dass die Frauen seit der Gründung im Jahre 1865 in London die gleiche Stellung einnehmen wie die Männer», sagt Heilsarmee-Chefsekretärin Ines Adler. Die Fakten: In der Direktion sind drei von acht Mitgliedern Frauen, von den 220 Offizieren im Aktivdienst sind etwas mehr als die Hälfte weiblich.
Biblische Aspekte
Woher nehmen die Verbände ihre biblische Legitimation?
- SPM-Leiter Max Schläpfer: «Der Entscheid, Frauen nicht zur Ordination zuzulassen, basiert auf der Überzeugung, dass es dafür biblische Anhaltspunkte gibt, etwa in 1. Korinther 14,34–38 und 1. Timotheus 2,11–14, welche die Ermahnung enthalten, dass Frauen nicht über Männer herrschen oder autoritativ ermahnend verkündigen dürfen.»
- EMK-Bischof Heinrich Bolleter verweist auf Galater 3,27–28: «Unter denen, die zu Jesus Christus gehören, ist es so: Hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn sie sind allesamt einer in Christus.» In den sozialen Grundsätzen der EMK heisse es: «Wir bejahen das Recht der Frauen auf Gleichbehandlung … auf allen Ebenen der Kirche und der Gesellschaft.»
- BEG-Leiter Heinz Strupler: «Gott hat jeden Menschen mit Würde geschaffen. Er gab allen den gleichen Auftrag: „Machet zu Jüngern alle Völker!“ Lassen wir Menschen das tun, wozu sie berufen sind, ganz egal, welches Geschlecht sie haben.»
- Vineyard-Leitungsmitglied Wilf Gasser: «Mann und Frau sind gleichermassen von Gott begabt, geistliche Leitung wahrzunehmen. Der revolutionäre Umgang von Jesus mit den Frauen hat schon damals fixierte Rollenbilder in Frage gestellt. Einige dieser vermeintlich biblisch vorgegeben Vorstellungen hindern uns heute noch, die Frauen ihren Gaben gemäss freizusetzen.»
- Mennoniten-Vertreter Emanuel Neufeld und Hanspeter Jecker: «Jesus hat mit seinem Leben die Würde der Frauen betont und ihre Stellung in der männerdominierten Gesellschaft aufgewertet. Die Stellen im Neuen Testament, die den Dienst von Frauen in Lehre und Leitung ablehnen, verstehen wir nicht als vor-, sondern als beschreibende Texte, die einer bestimmten Zeit und Kultur entsprechen. Vom neutestamentlichen Befund her betonen wir stärker die Begabung jedes einzelnen Gemeindeglieds.»
Liebe und Respekt
«Dienst der Frau in der Gemeinde»: Das Thema wird noch einige Zeit für rote Köpfe sorgen. Die Stellungnahme der Mennoniten betont, was das im Alltag bedeutet: «Wir gestehen einander unterschiedliche Erkenntnisse zu und begegnen einander darin mit Liebe und Respekt.»
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Wörtlich
«Ich bin überzeugt, dass manche Gemeindekonflikte mit weniger „Kollateralschäden“ beigelegt werden könnten, wenn Frauen in den Gemeindegremien stärker vertreten wären.»
Wilf Gasser, Leitungsmitglied Vineyard
«Man darf nicht eine Unterscheidung zwischen inspiriertem und nicht inspiriertem Wort Gottes machen.»
Max Schläpfer, Leiter Schweizerische Pfingstmission
«Für mich als Heilsarmee-Offizierin stellt sich weniger die Frage: Wieso dürfen wir Gemeinden leiten, predigen, in der obersten Leitung unseren Platz haben?, als: Weshalb sollten wir es nicht tun dürfen?»
Ines Adler, Chefsekretärin im Hauptquartier der Heilsarmee
Datum: 02.01.2006
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz