«Es geht ums Letzte im Leben»
Livenet: Sie leiten am PraiseCamp die Aktionen in der Innenstadt. Was geht da ab?
Gabriel Häsler: Sind Sie in diesen Tagen (Ende Dezember 2012) in St. Gallen unterwegs, treffen Sie an vielen Kreuzungen junge Leute. Diese laden Sie z.B. ein, auf einer Karte einen Wunsch an Gott zu notieren und sie, an einen Ballon gehängt, als Gebet in den Himmel zu schicken. Sie begegnen Jugendlichen, die Ihnen etwas schenken, ein Lied singen, mit Ihnen eine Umfrage durchgehen oder etwas vom christlichen Glauben erzählen. In vier Tagen gehen insgesamt 2'000 junge Freudenboten in St. Gallen auf die Strasse – da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie angesprochen werden.
Vielleicht ergibt sich aus dem Gebet, das per Ballon hinaufschwebt, ein Gespräch über die Beziehung zu Gott. Wir schlagen den Passanten nicht die Bibel um die Ohren, sondern stellen Fragen und berichten von unseren Erlebnissen mit Gott. Ein Team schenkt auf der Strasse Tee und Kaffee aus. Teenager spielen ein spektakuläres Strassentheater und singen. Nach einer kurzen Strassenpredigt gehen sie zu den Umstehenden, verteilen eine Karte mit geistlichen Wahrheiten und suchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Eine Kreativ-Abteilung arbeitet mit Strassenkreiden, andere Jugendliche bringen Menschen zu Hause ein kleines Geschenk vorbei und freuen sich, wenn sich ein Gespräch ergibt.
Ist das nicht aufdringlich?
Nein. Jeder Politiker geht für seine Sache auf die Strasse. Die Menschen kommen nicht zu ihm; er geht zu ihnen. Und wir verkaufen nichts, wollen die Leute auch nicht in irgendeine Kirche locken, sondern zum Nachdenken über den Glauben einladen. Damit sie von der christlichen Botschaft etwas mitbekommen und mit Jesus in Kontakt treten. Das ist nicht aufdringlich.
Es geht ja ums Letzte im Leben. Wir glauben, dass Menschen entweder verloren gehen oder gerettet werden. Werden sie die Ewigkeit mit Gott oder getrennt von ihm verbringen? Um dies Menschen nahezubringen, dürfen wir ihnen nahe treten. Ich verdeutliche dies mit einem Vergleich: Wenn Sie einen Ertrinkenden aus dem Meer retten und er nicht mehr atmet, überlegen Sie, ob Sie ihm zu nahe kommen, wenn Sie ihn Mund zu Nase beatmen? Nein, denn es geht um Leben und Tod.
Als geübte Strassenevangelisten sind wir jedoch sensibel. Sehr selten beschweren sich Leute, wir seien aufdringlich.
Als Leiter des Netzwerks Schweiz sind Sie erfahren. Was ist aber mit den Teenagern, die Sie auf die Strasse schicken?
Wir bereiten die Jugendlichen sorgfältig vor, jeden Nachmittag eine Stunde. Sie wählen eines von acht Teams. In ihm werden sie spezifisch geschult. Meine Erfahrung ist, dass die Teenager nicht frech, sondern ausgesprochen höflich auf die Passanten zugehen.
Wie gehen Sie mit der Distanz zum Glauben um, die viele Leute an den Tag legen?
In unserer postmodernen Zeit gibt es für viele keine allgemein gültige Wahrheit mehr. Gestern sprach ich mit zwei 15-Jährigen, die genauso begannen: «Gott? Nein, den braucht es nicht; er existiert in der Vorstellung von Leuten, die Hilfe brauchen…» Darauf hätte ich sagen können: Ich erlebe es anders – aber wenn du es so siehst…
Doch ich versuchte, in das Leben der Jugendlichen hineinzusprechen. «Bist du 100 Prozent sicher, dass es keinen Gott gibt?» fragte ich den einen. «Wie bist du zu diesem Schluss gekommen? Entweder es gibt einen Gott oder es gibt keinen. Wer sich mit einem ‚Vielleicht‘ begnügt, kann eigentlich nur verlieren.» Im Gespräch switchte der junge Mann, weil er merkte, dass er sich der Frage stellen muss.
Wir bringen nicht irgendeine politische Message, sondern kommen mit einer Botschaft, die Kraft hat. Wenn wir Jesus predigen als den, der sich für uns Menschen am Kreuz hinrichten liess, liegt darin Kraft. Das mag im postmodernen Verständnis schräg klingen – bereits Paulus räumte ein, dass das Wort vom Kreuz für die einen ein Ärgernis, für andere einfach lächerlich ist. Doch, schrieb er: Denen, die berufen sind, ist es Gottes Kraft.
Wenn Sie Menschen eine in Watte verpackte Botschaft weitergeben, nimmt vermutlich niemand Anstoss und der Kontakt bleibt eher oberflächlich. Wenn Sie hingegen klar sagen, was Sie glauben, lösen Sie entweder Widerspruch und Ablehnung oder ein vertieftes Nachdenken aus, vielleicht ein Umdenken.
Ihnen geht es darum, dass sich Menschen auf einen Weg machen?
Ja. Denn Gott sagt: Wer mich von ganzem Herzen sucht, von dem will ich mich finden lassen. Sie können nicht behaupten, dass es Gott nicht gibt, wenn Sie ihn nicht von ganzem Herzen gesucht haben. Ich habe Gott erlebt und sage, dass es ihn gibt. Der Atheist hat ihn nicht erlebt – wie will er sagen, dass es ihn nicht gibt?
Doch es geht bei Strassenevangelisation nicht nur um das Säen, das Auslösen eines Prozesses. Immer wieder erleben wir, dass das Wort Gottes Menschen zur Umkehr führt. Am Praisecamp arbeitet eine junge Frau mit, die sich vor einem Jahr bei einem Strasseneinsatz von Netzwerkbasel für Jesus entschied. Mittlerweile hat sie sich taufen lassen, ihr Leben in Ordnung gebracht und Anschluss in einer lokalen Kirche gefunden. Das Beste: Sie ist so begeistert von dem, was Jesus in ihrem Leben getan hat, dass sie es anderen Menschen weitergeben möchte.
Erleben Sie Offenheit auch bei älteren Gesprächspartnern?
Es ist bekannt, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene eher fürs Evangelium öffnen. Aber wenn Hunderte Jugendliche auf dem Marktplatz singen, dass sie Gott Grosses zutrauen, und dann laut «Unser Vater» beten, löst dies auch in der silbernen Generation etwas aus – vibration in the air. Eine ältere Frau hatte Tränen in den Augen. Es bewegte sie, dass Junge so zum Glauben stehen.
Datum: 22.01.2013
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet