Prophetie: Ein Wegweiser, aber wohin?
Mit dabei waren Sabine Derron, die prophetische Standortgespräche anbietet, Reinhold Scharnowski aus der Livenet-Redaktion, der früher als Pastor tätig war, und Andreas Keller, Leiter der Stiftung Schleife Winterthur. Moderiert hat das Gespräch Livenet-Chefredaktor Florian Wüthrich.
Schon bei der Vorstellungsrunde stiegen die Gäste direkt ins Thema ein und Andreas Keller holte dieses manchmal so abstrakte und spezielle Thema auf den Boden des Alltags: In der Stiftung Schleife sei es ihnen wichtig, zu zeigen, dass die Prophetie etwas Natürliches für jeden Christen sein sollte. «Die Natürlichkeit wollen wir transportieren, dass es zu unserem Leben gehört und ein Stück weit die Aura vom Speziellen etwas wegnehmen, um zu sagen: Es gehört zum täglichen Leben, dass jeder Christ die Stimme Gottes hören kann und mit Schritten im Alltag anfangen kann zu leben.»
«Man muss lernen, damit umzugehen»
Es gehe vor allem um die Beziehung zum himmlischen Vater und nicht so sehr um die Gabe an sich, erklärte auch Sabine Derron, die in ihrem Leben schon viele prophetische Eindrücke und Worte weitergegeben hat. «Man muss lernen, damit umzugehen. Das ist nicht einfach etwas, das man hat und dann voll drauf los geht…» Man müsse viel lernen und geformt werden – und letztlich gehe es darum, Menschen zu Gott zu führen, damit diese Gott selbst erleben können.
Doch was ist eigentlich ein Prophet? Hierzu erklärte der Theologe Reinhold Scharnowski, dass Propheten in der Bibel keine «Vorhersager» sind wie ein Wetterprophet, der das Morgen vorhersagt, sondern vielmehr «Hervorsager»: «Das sind Menschen, die häufiger als andere, spezieller, klarer, deutlicher irgendeinen Eindruck oder eine Stimme von Gott hören und das dann für die Zuhörer in eine Situation hinein übersetzen.»
Prophetie und Seelsorge
Alle Gäste waren sich einig, dass die Biografie eines Menschen sehr eng mit dem Dienst der Prophetie verbunden ist. Sabine Derron etwa sprach von Zerbruch, den sie erlebt hat, von Schulung und Demütigung. Sie selbst mache sich nicht abhängig von anderen Menschen und achte darauf, dass niemand sie auf einen Thron setze. Deshalb gebe es in ihrem Dienst auch ganz klare Richtlinien: «Wir geben nicht einfach so prophetische Worte raus und dann gehen sie wieder, sondern ich habe im Laufe des Lebens gemerkt, dass die Leute oft überfordert sind mit den Worten. Wir machen es jetzt so, dass wir es in ein gutes Gespräch einbinden, dass man die Sachen auch noch mal von einer anderen Seite anschauen kann und wirklich einander helfen, wie man das implementieren könnte.»
Der Leib sollte prüfen
Ein wichtiger Teil der Prophetie ist auch das Prüfen. Hier wies Andreas Keller immer wieder auf die Verantwortung der Gemeinde hin. Zunächst seien prophetische Worte für die ganze Gemeinde gedacht. «Es ist ein Grundbedürfnis von Gott, dass wir eine Einsicht in die Zukunft haben, nicht nur ein paar einzelne.» Doch der Leib, die Gemeinde, müsse diese Einsichten prüfen, denn keine Gabe dürfe isoliert vom Leib bestehen. «Prüfen ist nicht ein kritisches Abstandhalten (…), sondern ein Herantasten, ein Annähern an jemanden, der so eine Einsicht erhalten hat und wo wir uns dann fragen: Der gleiche Geist, der das prophezeit hat, lebt auch in mir – und ich fange an, mit mir einen inneren Dialog zu haben.»
Auf Grundlage der Bibel höre man in sich hinein, wie der Eindruck resoniere – und letztlich führe das nicht dahin zu sagen, ob die prophetischen Worte richtig oder falsch sind, sondern dass wir als Leib miteinander zu Jesus hin wachsen. Es sei wichtig, die Propheten nicht sich selbst zu überlassen, sondern hinter ihnen zu stehen und gemeinsam darin zu wachsen.. «Da ist noch viel Aufholbedarf in der Gemeinde…»
Wenn Fehler passieren
Natürlich kam im Talk auch die aktuelle Lage in den USA zu Sprache, wo sich vor den Wahlen viele Pastoren prophetisch zu einem Sieg von Trump äusserten – und sich dies letztlich als falsch herausstellte (Livenet berichtete). Reinhold Scharnowski verfasste zu diesem Thema bereits zwei Artikel bei Livenet und erklärte im Talk, dass ihm dabei wichtig geworden sei, dass prophetisch Begabte auch nur fehlerhafte Menschen sind. «Prophetie kommt nie in reiner Form 'So spricht der Herr', sondern da ist immer ein Mensch, der es ausspricht – und da sind schon seine Gefühle und seine Gedanken mit reingemischt (…) und dafür braucht es die Prüfung, dass das Menschliche vom Geistlichen getrennt wird.» Es sei wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Prophetie immer aus drei Bereichen bestehe: Der Eindruck, die Interpretation und die Anwendung. «Wenn man das alles immer auf eine Person konzentriert, die den Eindruck gibt, die Interpretation und auch noch grad die Anwendung sagt – das ist in der Regel ungesund.» Auch hier sei die Gemeinde gefragt.
Doch was bedeutet das konkret für uns heute? Sollte man nach solchen gravierenden Fehl-Prophezeiungen lieber den Mund schliessen? Hier kam von allen Gästen ein entschiedenes Nein – Andreas Keller erklärte sogar, dass man direkt weitermachen müsse. «Wir schulden es der Welt, wir schulden es auch der Verwirrung, die es momentan gibt in unserer Gesellschaft, dass es klare Stimmen braucht. (…) Es braucht Klarheit; nicht nur überall Sicherheit, dass nichts mehr passiert und dass kein Geschirr mehr zerbricht. Ich plädiere dafür, dass wir schärfer werden, dass wir lernen, den Mund aufzumachen…»!
Förderung gefragt
Hierzu muss diese Gabe natürlich gefördert werden, was in besonderer Weise in der Stiftung Schleife passiert, aber auch Teil des Gemeindelebens sein sollte, findet Reinhold Scharnowski: «Ich bin überzeugt, dass es in jeder Gemeinde mehrere Personen gibt, die überdurchschnittlich häufig die Stimme Gottes hören oder Bilder erhalten. Ein Pastor müsste sie fragen, wo sie sind, was sie bekommen haben, ihnen eine Plattform geben, mit ihnen ins Gespräch kommen.»
Gerade in Zeiten der Pandemie, der Verunsicherung und der Suche sei dies besonders wichtig, empfindet auch Andreas Keller: «Wir schulden der Welt eine hoffnungsfrohe, klare Botschaft, einen Vorwärts-Drive, den wir im Geist Gottes haben. (…) Der Geist Gottes in uns ist unser grösster Fan. Er ist der grösste Visionär, der aus dem Thronraum herausschaut und er möchte, dass wir da weitergehen und tiefer gehen. Deshalb sage ich: Prophetie – jetzt erst recht!»
Sehen Sie sich hier den ganzen Livenet-Talk an:
Zum Thema:
Livenet-Talk: Prophetische Worte in Corona-Zeiten
«Jesus hat mir gesagt»: Wie können Propheten so falsch liegen?
Eine prophetische Botschaft: «Ich glaube, dass Jesus uns im Verborgenen ausrüsten will»
Datum: 19.02.2021
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet