Die Wiederbelebung des Antisemitismus
Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden. Gerade betonte er in der «Jüdischen Allgemeinen»: «Judenfeindschaft ist mit den europäischen Werten unvereinbar». Und er äusserte seine Besorgnis: «Antisemitismus als Normalfall – das darf Europa als Kontinent der Aufklärung nicht hinnehmen. Die EU‐Staaten müssen sich viel stärker als bisher im Kampf gegen Antisemitismus engagieren, um die Sicherheit jüdischen Lebens zu garantieren.»
Der neue Antisemitismus …
Uwe Dziuballa arbeitete gerade in seinem Restaurant, als er seltsame Geräusche von draussen hörte. Beim Nachsehen stiess er auf ein Dutzend vermummte Gestalten, die sein Lokal und ihn mit Gegenständen bewarfen. Sie sollen gerufen haben: «Judensau, verschwinde aus Deutschland», denn Dziuballa ist Jude. Sein Restaurant, das «Schalom», ist das einzige koschere Restaurant Sachsens.
Adam A. ist zwar kein Jude, aber er wuchs in Israel auf. Und er trug eine Kippa, die traditionelle jüdische Kopfbedeckung, als ihn und seinen Begleiter in Berlin drei Männer erst anpöbelten und dann mit einem Gürtel schlugen.
Die Liste von Ereignissen allein aus dem Jahr 2018 liesse sich fast beliebig verlängern. Übergriffe gegen Juden, weil sie Juden sind, scheinen zuzunehmen. Die «Jüdische Allgemeine» zitiert dazu eine Befragung von Juden in Europa, wonach «63 Prozent der Befragten aus zwölf Ländern […] in der Erhebung der EU‐Agentur für Grundrechte an[gaben], dass sich der Antisemitismus zuletzt deutlich verstärkt habe».
… ist der alte Antisemitismus
Echte aktuelle Gründe für dieses scheinbare Ansteigen der Judenfeindlichkeit sind nicht auszumachen. Höchstens die wachsende Akzeptanz von radikalen Äusserungen bzw. «Hate Speech» auf den sozialen Plattformen des Internets. Deren Gipfel war die diesjährige Verleihung des «Echo» an die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang für ein Lied, in dem sie ihre «Körper definierter als von Auschwitzinsassen» beschrieben. Was erst als künstlerische Freiheit entschuldigt wurde, führte nach heftigen Protesten schliesslich zum Aus für den renommierten Medienpreis.
Tatsächlich sind viele antisemitische Äusserungen und Scheinargumente uralt. Ob Verschwörungstheorien wegen einer scheinbaren jüdischen Vormachtstellung, das Leugnen des Holocausts oder die Schuldzuweisung an Juden für so ziemlich alle Probleme der Welt («Brunnenvergifter» sollten sie schon im Mittelalter gewesen sein): so unhaltbar die konkreten Vorwürfe sind, so haltbar sind die Gerüchte an sich.
Deshalb geht eine internationale Umfrage von 2015 davon aus, dass in Deutschland bis zu 16 Prozent der Bevölkerung eine «allgemeine antisemitische Haltung» haben, wie die Süddeutsche Zeitung zusammenfasste. Auch der Antisemitismusbericht der Deutschen Bundesregierung von 2017 betont dieses latent vorhandene antisemitische Denken. Sobald eigene Probleme wachsen oder das gesellschaftliche Umfeld diese Gedanken belohnt, sieht es so aus, als würde sich spontan eine antijüdische Haltung bilden – dabei ist es der alte Antisemitismus, der sich wieder einmal zeigt.
Christen – zwischen Schuld und Partnerschaft
In der Auseinandersetzung um Antisemitismus spielte und spielt der christliche Glaube eine zwiespältige Rolle. Der grosse Reformator Martin Luther tat sich erst einmal schwer mit den Juden. Später wandte er sich völlig gegen sie und verfasste das Buch «Von den Juden und ihren Lügen». Diese weit verbreitete Schrift lieferte den Nazis später die Legitimation für ihre Judenverfolgung.
Nicht so eindeutig antisemitisch, aber in ihren Folgen bis heute spürbar, ist Luthers Theologie der zwei Reiche. Stark verkürzt sagt sie aus, dass Christen ihren Schwerpunkt aufs Himmelreich legen und in diesseitigen Fragen einfach der weltlichen Obrigkeit gehorchen sollten. Genau diese Einstellung war es, die viele Christen im Dritten Reich lähmte und daran hinderte, Stellung für die Juden zu beziehen.
Doch Christen profilieren sich genauso als Freunde und Partner Israels. Die gemeinsame Nähe zum Gott der Bibel schafft immer wieder Brücken im Verständnis füreinander und sorgt für Vertrauen. Auch nachrichtlich arbeiten manche Christen daran, Berichte aus Israel «neutral» darzustellen und nicht tendenziös gegen den jüdischen Staat. Ein Beispiel hierfür ist der Christliche Medienverbund KEP mit seiner Initiative «Israelnetz». Diese Freundschaft, aber auch diese Sachlichkeit treten dem Antisemitismus klar entgegen.
Das Kind beim Namen nennen
Wie lässt sich gegen Antisemitismus vorgehen? Staatliche Aktivitäten gehen meist in Richtung Bildung und Aufklärung. Doch das – und da sind sich die meisten Experten einig – reicht nicht aus. Zusätzlich ist es nötig, Juden kennenzulernen, dann haben haltlose Gerüchte schlechtere Chancen. Bei Auseinandersetzungen geht es nicht darum, jede Äusserung zu dramatisieren, genauso wenig aber, sie unter den Tisch zu kehren. Die Gesellschaft, also jeder Einzelne, muss zeigen: Wir lassen es nicht zu, dass Menschen bedroht, lächerlich gemacht oder gar verletzt werden, weil sie Juden sind. Wenn wir so etwas sehen, dann schweigen wir nicht, sondern wir reden und beziehen Stellung.
Darüber hinaus gibt es in der Bibel noch eine interessante Idee für Christen. Der Jude Paulus nennt sie, als er von Mission spricht und darüber nachdenkt, andere für seinen Glauben zu gewinnen. Da beschreibt er als Grundlage etwas, das wir heute als Begegnung auf Augenhöhe bezeichnen würden: «Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne» (1.Korinther, Kapitel 9, Vers 20). Paulus verliert existierende Unterschiede nicht aus dem Blick. Er behält auch seinen Plan bei. Aber er entscheidet sich bewusst dafür, anderen partnerschaftlich zu begegnen.
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Datum: 12.12.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet