Wege zur Weisheit
Ziemlich ernüchtert stellte die französische Schauspielerin Jeanne Moreau einmal fest: «Weisheit stellt sich nicht immer mit dem Alter ein. Manchmal kommt auch das Alter ganz allein.» Damit zeigt sie schon zweierlei: Irgendwie hängen Erfahrung und Weisheit zusammen – aber niemand wird automatisch weise. Auch wenn es keinen 5-Punkte-Plan zu einem Leben in Weisheit gibt, lässt sich doch einiges dazu sagen, was weise Menschen ausmacht, und wie Sie in ihre Fussstapfen treten können.
Salomo & Co.
Gerade aus christlicher Perspektive geht hier kein Weg an Salomo vorbei. Der alttestamentliche König ist so etwas wie der Vorzeige-Weise der Bibel und galt selbst als der weiseste Mensch seiner Zeit. Als ihm Gott kurz vor seiner Krönung im Traum anbot, ihm einen beliebigen Wunsch zu erfüllen, entschied sich Salomo für Weisheit und bat: «So gib du deinem Knecht doch ein verständiges Herz, dass er dein Volk zu richten versteht und unterscheiden kann, was Gut und Böse ist. Denn wer kann dieses dein grosses Volk richten?» Gott gefiel das. Er erhörte den Wunsch und stellte fest: «Siehe, ich habe dir ein weises und verständiges Herz gegeben, dass deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und deinesgleichen auch nach dir nicht aufkommen wird.» (1. Könige, Kapitel 3).
Neben weisen Entscheidungen wie dem sprichwörtlichen salomonischen Urteil (auch Kapitel 3) geht es auch in vielen der Spruchweisheiten, die ihm zugeschrieben werden, um das Thema Weisheit. Typisch sind Aussagen wie diese zu ihrem Ursprung: «Denn der Herr gibt Weisheit, aus seinem Mund kommen Erkenntnis und Einsicht.» (Sprüche, Kapitel 2, Vers 6).
Trotz des starken Gottesbezugs, den Salomo immer zur Weisheit herstellt, fallen zwei Dinge auf: Weisheit gibt es auch ohne Glauben an Gott – einige seiner «Sprüche» zitiert der König von weltlichen Weisen. Und Weisheit kann durchaus selektiv sein – der weiseste König aller Zeiten traf einige sehr unweise Entscheidungen wie zum Beispiel die 999 Hochzeiten, die er nach seiner ersten noch feierte.
Eine Weisheits-Checkliste
Da niemand weise geboren wird, gibt das Abfragen Ihrer Weisheit Ihnen eventuell eine Idee, in welchen Bereichen Sie noch wachsen können. So verstehen die Psychologen Dilip Jeste und Michael Thomas ihren «Jeste-Thomas-Wisdom-Index».Weisheit ist für sie eine «potenziell modifizierbare Eigenschaft mit sieben Hauptkomponenten», die sie unter anderem mit folgenden Aussagen ermitteln:
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Ich neige dazu, wichtige Entscheidungen lange hinauszuzögern. (Entscheidung)
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Ich vermeide Selbstreflexion. (Selbstreflexion)
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Ich vermeide Situationen, in denen ich weiss, dass meine Hilfe benötigt wird. (Pro-soziale Verhaltensweisen)
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Ich weiss oft nicht, was ich Leuten sagen soll, die mich um Rat fragen. (Sozialberatung)
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Ich bleibe unter Druck ruhig. (Emotionale Regulierung)
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Ich geniesse es, verschiedene Standpunkte kennenzulernen. (Akzeptanz abweichender Perspektiven)
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Mein Glaube gibt mir innere Stärke. (Spiritualität)
Weisheit entwickeln
«Die Weisheit eines Menschen misst man nicht nach seinen Erfahrungen, sondern nach seiner Fähigkeit, Erfahrungen zu machen», meinte der Ire George Bernard Shaw einmal. Damit traf er für viele den Nagel auf den Kopf. Tatsächlich bezeichnet ein Bibellexikon Weisheit als «das Bemühen, die die Menschen umgebende Wirklichkeit zu ordnen, zu erfassen und zu erklären und sich so in der Welt geborgen zu wissen. Es geht um die Regeln, nach denen das Leben in allen seinen Beziehungen abläuft. Wer diese Regeln kennt und beachtet, dem ist gelingendes Leben sicher.»
Die Entwicklungspsychologin Judith Glück ist eine anerkannte Weisheitsforscherin. In «Psychologie heute» erklärt sie, was weise Menschen ausmacht: «Weise Menschen haben einen reflektiven und selbstreflektiven kognitiven Stil. Das heisst, sie hinterfragen die Dinge und sie hinterfragen sich selbst. Sie reagieren nicht impulsiv, sie denken intensiv nach und haben das Bedürfnis, insbesondere grosse Lebensthemen vertiefend zu verstehen.»
Dieses Hinterfragen und gleichzeitig offen in neue Situationen hineinzugehen scheinen typische Voraussetzungen zu sein, um weiser zu werden. Als weiteren wichtigen Punkt ergänzt Professor Glück: «Die guten Dinge geniessen. Das ist auch ein Ergebnis unserer Forschung: Weise Menschen wissen anscheinend recht genau, was ihnen guttut, und sie handeln auch danach.»
Offensichtlich gibt es nicht den einen Weg, um weise zu werden. Allerdings ist es – so wie in der Geschichte Salomos erzählt – ein Lebensziel, das wesentlich wertvoller und komplexer ist als andere Ziele. Laut Bibel lohnt es sich: «Wohl dem Menschen, der Weisheit findet, dem Menschen, der Einsicht erlangt!» (Sprüche, Kapitel 3, Vers 13).
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Datum: 26.06.2022
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet