Eine verstaubte Tugend wiederentdecken
Das Wort Demut kommt von dem althochdeutschen Wort diomuoti. Die einzelnen Bestandteile der beiden Wörter «dienen» (dionōn) und «Mut» (muot) zeigen schon sprachlich die Bedeutung des Wortes. Es geht um die Gesinnung eines Dienenden oder auch um das Gemüt eines Dieners.
Eine politische Demut
Direkt fällt mir die Bezeichnung «Der erste Diener seines Staates» ein, die einst Friedrich der Grosse für sich selbst wählte. Er gilt als Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus. Er setzte als König von Preussen seit 1772 tiefgreifende Reformen durch, etwa schaffte er die Folter ab und forcierte den Ausbau des Bildungssystems. Mit der Zeit wurde die Selbstbezeichnung eine gängiger Ausdruck für höchste politische Repräsentanten. Zu unserer Zeit trägt das Amt des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers die herausfordernde Aufgabe, der erste Diener des Staates zu sein.
Bezogen auf die Demut und die Wortherkunft zeigt sich hier eine politische Verantwortung, demütig zu sein. Letztlich sollten alle Politiker und Politikerinnen sich als «Diener des Staates» verstehen, nicht nur die Akteure der höchsten Verfassungsorgane. Doch man muss kein Kenner der politischen Szene sein, um zu merken, dass Politikerinnen und Politiker auch «nur» Menschen sind – und es ihnen schwerfällt, demütig zu sein und sich als Diener zu verstehen.
Doch was macht Demut eigentlich aus? Wie ist sie gedacht? Was bedeutet es aus christlicher Sicht, ein demütiges Leben zu führen? Und warum tut es Körper, Geist und Seele gut, wenn wir Menschen uns demütig verhalten? Diese Fragen und vor allem die Antworten darauf sind nicht nur für politische Gestalterinnen und Gestalter interessant, sondern für jeden von uns. Wir stehen alle im Leben und können uns demütig oder eben nicht demütig verhalten. Demut ist mehr als ein altes Wort und Christen können aus einer demütigen Haltung eine neue geistliche Tiefe gewinnen.
Eine mutige Demut
Es ist leicht zu erkennen: In dem Wort Demut steckt das Wort Mut. Also beherzt etwas zu wagen und sich zu trauen, einen Umstand anzupacken oder eine gefährliche Situation zu überwinden. Demut entkräftet das beherzte Eingreifen nicht, ganz im Gegenteil: Demut aktiviert uns Menschen und möchte uns zum Handeln ermutigen. Nicht nur im politischen Kontext, sondern in nahezu allen Bereichen des Lebens.
Demut ist kein Konzept, sondern eine Lebenshaltung. Gleichzeitig ist Demut kein blinder Aktivismus, sondern eine Herzenshaltung, die eine soziale Nachhaltigkeit schafft. Der Blick für das Miteinander wird gestärkt und macht das Herz offen. Der Mut, den die Demut in sich bereithält, ist nicht von dieser Welt, sondern hat einen göttlichen Kern. Die Verbindung zum Schöpfer ist Grundlage eines demütigen Lebens in Fülle. Daraus ergibt sich ein neuer Blick, der im eigenen Leben und im Leben der Mitmenschen und der Umwelt bemerkbar ist. Mut zur Demut birgt immer ein Geheimnis, da es mehr ist als die gesprochenen und geschriebenen Worte. Ein demütiges Leben ist komplex und doch leicht – und es verändert.
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Datum: 29.12.2024
Autor:
Johannes Schwarz
Quelle:
Magazin andersLeben 04/2024, SCM Bundes-Verlag