Klaus Douglass

Zurück zur ersten Liebe

Zurückgehen, zur ersten Liebe
Klaus Douglass sehnt sich nach der Begeisterung für Jesus, die ihn am Anfang seines Christenlebens erfüllt hat. In der Offenbarung findet er drei hilfreiche Tipps, um wieder Anschluss daran zu finden.

Als ich anfing, bewusst als Christ zu leben, war ich völlig «on fire». Ich war selbst noch Teenager und engagierte mich in der Jugendarbeit unserer Kirchengemeinde. Nahezu täglich gingen bei mir zu Hause Jugendliche ein und aus. Wir tranken Cola, assen Chips und redeten bis in die Nächte hinein über Gott und die Welt. Ich las viel in der Bibel und trug auch immer eine bei mir: stets bereit, sie herauszuholen und anderen daraus vorzulesen.

Ich verteilte Johannes-Evangelien vor Diskotheken, beteiligte mich an missionarischen Strassenaktionen und las jedes Traktat und jedes christliche Buch, das mir die Finger kam. Bei meinen missionarischen Aktivitäten war ich leider alles andere als takt- und rücksichtsvoll. Und vieles von dem, was ich tat, würde ich heute auf keinen Fall noch einmal tun. Aber irgendwie war es eine «geile Zeit». Voller Feuer, voller Hingabe, voller Emotionen. Immer wieder kamen Menschen zum Glauben. Und ich machte nahezu jeden Tag Erfahrungen mit Gott.

Das ist viele Jahre her. Heute bin ich deutlich reflektierter und vernünftiger geworden (jedenfalls hoffe ich das). Ich bin in meinem Herzen immer noch ein Missionar, aber sehr viel moderater und achtsamer in Glaubensgesprächen. Und verrückte Dinge mache ich nur noch ganz selten. An sich finde ich das durchaus positiv. Auf der anderen Seite muss ich nüchtern konstatieren: Irgendwie ist alles auch deutlich ruhiger, gleichmässiger und leider auch langweiliger geworden. Ich lebe immer noch gerne mit und für Jesus. Aber das alte Feuer, die frühere Begeisterung, das Schwärmen, die Innigkeit und die Leidenschaft – all das ist irgendwo auf der Strecke geblieben.

Viele von uns teilen diese Erfahrung: Sie haben irgendwann einmal mit grossem Engagement und mehr oder minder grosser Begeisterung angefangen, sich für Gott bzw. für Jesus zu engagieren. Aber irgendwie ist der Schwung der Anfangszeit im Lauf der Jahre verloren gegangen. Sie arbeiten immer noch viel – ja, vielleicht mehr als je zuvor –, aber das alte Feuer brennt nicht mehr wirklich.

Ein spannender Bibeltext

Im biblischen Buch der Offenbarung finden sich in Kapitel 2 und 3 sieben so genannte Sendschreiben. In ihnen stellt der Heilige Geist sieben Gemeinden in Vorderasien eine Art (Zwischen-)Zeugnis aus. Im ersten dieser Schreiben lobt der Geist die Gemeinde in Ephesus für ihren Einsatz, ihre Geduld und Widerstandskraft in der Verfolgung und dafür, dass sie in schwierigen Zeiten am rechten Glauben festhält. Allerdings benennt er auch einen wesentlichen Kritikpunkt: «Eines habe ich an dir auszusetzen: Von deiner anfänglichen Liebe ist nicht mehr viel übrig. Weisst du noch, mit welcher Hingabe du einmal begonnen hast? Was ist davon geblieben? Kehr um und handle wieder so wie zu Beginn.» (Offenbarung Kapitel 2, Verse 4-5)

Das klingt fast wie bei einer Ehe, die etwas in die Jahre gekommen ist. Beide Partner sind einander treu, man hält gemeinsam den Herausforderungen des Alltags stand, man hilft einander etc. Aber die Liebe ist nicht mehr so wie am Anfang. Vielleicht hat man hat das Tempo und die Intensität der Anfangszeit nicht durchhalten können. Oder es haben sich andere Dinge in den Vordergrund gedrängt: berufliche Herausforderungen, Familie und Kinder, Routinen des Alltags. Statt sich um gemeinsame Quellen der Inspiration zu kümmern, hat man vorausgesetzt, dass diese einfach «da» seien. Und irgendwann hat man sich emotional auseinandergelebt. Das muss nicht immer zur Scheidung führen. Man kann auch weiterhin in Solidarität und Fürsorge miteinander leben. Aber da ist kein Feuer mehr, man brennt nicht mehr füreinander, ist nicht mehr voneinander begeistert. Und das ist definitiv nicht gut.

Ohne Liebe ist alles nichts ...

Denn Liebe ist vielleicht nicht alles. Aber ohne Liebe ist alles nichts. Natürlich: Liebe ist nicht immer ein Ritt auf Wolken. Und sie muss sich auch nicht immer gut anfühlen. Wer jemals nachts aufgestanden ist, um ein zahnendes Kind zu beruhigen oder ihm die Windeln zu wechseln, weiss, wovon ich rede. Liebe ist oft eher ein Akt der Solidarität und praktischer Hilfe als ein Akt der Leidenschaft und Begeisterung. Aber wenn die Liebe solche Gefühle gar nicht mehr hervorruft, läuft irgendetwas grundsätzlich schief. Was ich hier von Partnerschaften schreibe, gilt auch für unsere Beziehung und unser Engagement für Gott. Viele tun – haupt- oder ehrenamtlich – treu ihren Dienst für Gott und die Menschen. Wir engagieren uns aufrichtig und in grosser Solidarität. Aber das alte Feuer, die alte Leidenschaft, die Begeisterung des Anfangs ist weg. Vielleicht haben wir uns schon so daran gewöhnt, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Manchmal schauen wir sogar verächtlich auf die alten Zeiten zurück: «Wie dumm und töricht ich damals gewesen bin! Wie gut, dass ich diese Zeit der Unvernunft und Unausgegorenheit hinter mir gelassen habe.» Aber irgendetwas fehlt uns, das spüren wir tief im Inneren.

Und – das ist jetzt wirklich überraschend – es fehlt offensichtlich auch Gott. So jedenfalls verstehe ich den Vorwurf, den der Heilige Geist der Gemeinde inEphesus macht: «Du hast deine erste Liebe verlassen.» Echt jetzt? Ist es wirklich möglich, dass Gott ähnlich empfindet wie jemand, der nach vielen Jahren der Ehe zurückschaut und feststellt: Respekt, Solidarität und gegenseitige Hilfe sind zwar da, und das ist wirklich wertzuschätzen. Aber ohne die lustvoll-schwärmend-verrückte Liebe der Anfangszeit fehlt nicht nur «etwas», sondern irgendwie das Entscheidende. Auch in unserer Gottesbeziehung. Unser Text belässt es aber nicht bei dieser Feststellung bzw. dem Vorwurf. Vielmehr gibt der Heilige Geist der Gemeinde in Ephesus drei Hinweise, wie sie wieder Anschluss an die «erste Liebe» bekommen kann.

Drei konkrete Hilfen

Erstens: Erinnere dich

Dr. Klaus Douglass

Spüren wir dem nach, wie es am Anfang war: Als uns Gottes Liebe so berührte, dass wir selbst zu Liebenden wurden. Was hat uns damals begeistert und bewegt? Hier geht es darum, emotional einmal an die Zeit anzuschliessen, als wir noch voller Feuer und Leidenschaft waren. Als ich diese Übung für mich gemacht habe, spürte ich zuerst eine tiefe Frustration, weil ich mir selbst gegenüber eingestehen musste: Ja, das alte Feuer ist nicht mehr da. Meine Leidenschaft und Vision waren verloren gegangen. Mir an dieser Stelle nicht mehr weiter etwas vorzumachen, war ausgesprochen schmerzhaft. Darum erfolgte unmittelbar darauf meine zweite Reaktion: Rationalisierung. Ich legte mir jede Menge Argumente zurecht, warum die Entwicklung, die ich genommen hatte, doch im Grunde positiv zu bewerten sei. Dass das Christsein meiner Anfangszeit doch sehr unreif und unreflektiert gewesen sei. In mancherlei Hinsicht hatte ich mit diesen Argumenten zweifellos recht. Und doch merkte ich im Tiefsten, dass ich mir etwas vormachte. Im Grunde hatte und habe ich Sehnsucht nach dieser «ersten Liebe». Diese Sehnsucht war meine dritte Reaktion. Nicht Sehnsucht nach der «guten, alten Zeit», sondern nach dem alten Feuer und nach der Leidenschaft, die mich einmal antrieb. Leider kommen wir an diese Sehnsucht oft nur heran, wenn wir uns vorher grundlegend ehrlich machen. Das kann sehr schmerzhaft sein, aber es lohnt sich. Denn Sehnsucht ist der Anfang von allem – auch von neu entfachter Liebe.

Zweitens: Kehre um

Das griechische Verb, das hier steht – «metanoeo» heisst wörtlich übersetzt «umdenken» oder «den Geist neu ausrichten». Das ist ein spannender Schlüssel für alle Bibelstellen, in denen wir aufgefordert werden, umzukehren bzw. Busse zu tun, denn damit holen wir das Wort aus der moralisch-moralisierenden Ecke heraus. Für die Bibel beginnt «Umkehr» immer mit neuen Gedanken bzw. mit einer Neuausrichtung unseres Geistes. Es hat wenig Sinn, neue Dinge zu tun, wenn wir noch in den alten Gedanken gefangen sind. Denn die alten Gedanken werden unsere Taten schon nach kurzer Zeit wieder in die alten Bahnen lenken. Ähnliches gilt für unsere Gefühle. Denn sowohl Stimmungen wie auch fehlende Stimmungen haben ebenfalls etwas mit Gedanken zu tun. Wenn ich dauerhaft andere Gefühle haben will, brauche ich andere Gedanken, brauche ich eine Neuausrichtung meines Geistes. Meine Gefühle kann ich nur schwer beeinflussen – wohl aber meine Gedanken. Diese aber strahlen aus: auf meine Gefühle, auf meine Taten, auf mein ganzes Leben. Die Frage ist also: Welche Gedanken helfen mir, mich positiv und voller Elan zu engagieren? Wie muss ich meinen Geist ausrichten, damit ich mit Feuer und Leidenschaft ans Werk gehe? Denke ich: «Schon wieder ein Tag voller Mühe und Arbeit!»? Oder lieber: «Ich lebe und kann arbeiten – Gott sei Dank! Dieser Tag ist ein einzigartiges Geschenk Gottes an mich – das will ich wertschätzen und mich daran freuen (vgl. Psalm Kapitel 118, Vers 24). Ich darf auch heute meine Gaben nutzen und meinen Beitrag leisten. Gott will mich gebrauchen und will für andere einen Unterschied machen. Ich will diesen Tag maximal nutzen – und maximal feiern.»

Drittens: Tu die ersten Werke

Überlege: Was hast du damals voller Leidenschaft getan? Tust du es heute noch? Wenn nein: Warum nicht? Ja, manches davon war peinlich und töricht und ich werde es gewiss nicht wiederholen. Aber vieles war doch auch überaus sinnvoll und entsprang nicht nur der Leidenschaft, sondern führte auch in neue Leidenschaft! Ich las viel in der Bibel, ich sprach mit Menschen über Jesus Christus, ich sammelte Menschen um das Evangelium usw. – das hat mich damals erfüllt und es erfüllt mich bis heute. Es geht nicht darum, christliche Jugendsünden und Torheiten zu wiederholen, sondern der alten Leidenschaft zu folgen.

«Erste Werke» kann man aber nicht nur zeitlich verstehen, sondern auch von der Prioritätenfolge her: Was ist besonders wichtig für mich? Welche Taten entfachen bei mir neue Leidenschaft, weil sie meinen Gaben und meiner Berufung entsprechen? Und: Komme ich überhaupt noch dazu, das zu tun? Ich habe das vor einiger Zeit festgestellt, dass ich vor lauter Dingen, die ich angeblich tun «muss», nicht mehr zu Dingen komme, die ich tun will und die für mich prioritär sind, weil sie meinen Gaben und meiner Berufung entsprechen. Das hat dazu geführt, dass ich mir für diese «ersten Werke» bewusst Zeit einräume und sie vor allen anderen Dingen priorisiere: first things first! Ergebnis: Leider mehr Arbeit, aber eine deutlich grössere Befriedigung und mehr Leidenschaft. «Handelt wieder so wie zu Beginn» heisst für mich: Tut das, was euch «fliegen» lässt. Und lasst euch davon unter keinen Umständen abbringen. Das also ist der Rat, den der Heilige Geist der Gemeinde in Ephesus gibt: Erinnert euch – denkt um – tut die ersten Werke. Erinnert euch – das ist die emotionale Ebene. Denkt um – das ist die kognitive Ebene. Tut die ersten Werke – das ist die Ebene des Handelns. Die Reihenfolge ist sinnvoll, aber nicht ganz so wichtig. Entscheidend ist, dass alles drei Hand in Hand geht. Dann haben wir gute Chancen, wieder zur alten Leidenschaft zurückzufinden.

Zum Autor

Dr. Klaus Douglass ist Pfarrer und Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle midi in Berlin. Die hier aufgeführten Gedanken lehnen sich an den Vortrag an, den er im Mai 2023 auf der midi-Frühjahrstagung «Zurück zur ersten Liebe» gehalten hat.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin Aufatmen vom SCM Bundes-Verlag.

Zum Thema:
«Es kommt etwas Neues!»: René Christen und das Buch der Offenbarung
Talk-Reihe zu «The Chosen»: Näher zu ihm – Erlebnisse mit Jesus
«Jazz und Spiritualität»: Die Dreifaltigkeit Feuer, Wahrheit und Gebet

Datum: 21.12.2023
Autor: Dr. Klaus Douglass
Quelle: Magazin Aufatmen 4/23, SCM Bundes-Verlag

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