Auch im Milieu ist die Heilsarmee willkommen
eine Nacht pro Woche im Zürcher Rotlichtmilieu Sexarbeiterinnen berät und ermutigt. Sie berichtet im Interview von den Herausforderungen dieser Arbeit.
Die nächtlichen Besuche des RAHAB-Teams auf der Strasse und in einschlägigen Lokalen kommen nicht nur bei den Sexarbeiterinnen, sondern auch bei den meisten Salonbesitzern gut an. Doch je länger die Nacht und je grösser der Alkoholkonsum, desto heikler diese Arbeit. Ohne Zivilcourage geht es nicht. Cornelia Zürrer Ritter, Sozialpädagogin und Leiterin RAHAB Zürich, erzählt, wie sie auch mal Passanten zu Zivilcourage auffordert, wie man Zivilcourage trainieren kann und dass Jesus, Sohn Gottes, den Menschen Zivilcourage vorgelebt hat.
Cornelia Zürrer Ritter, wo liegt Ihr Fokus bei der RAHAB*-Arbeit mit Frauen aus dem Milieu?
Wir beraten und begleiten die Frauen und setzen uns für sie ein, wobei nicht alle Sexarbeiterinnen hilflose Opfer sind. Viele sind Persönlichkeiten, die sich durchaus wehren können. Aber sie sind – vor allem als Sans Papiers – am kürzeren Hebel und werden von Zuhältern und Vermietern unter Druck gesetzt.
Zivilcourage bei dieser Arbeit?
Kürzlich beobachteten wir morgens um vier Uhr einen alkoholisierten Mann, der eine Sexarbeiterin bedrohte. Wir forderten ihn auf, aufzuhören. Worauf er uns zu beschimpfen anfing. Wichtig ist in solchen Situationen, körperliche Distanz zu wahren und ruhig, aber bestimmt zu bleiben. Der Mann ist nach einigem Hin und Her gegangen, sonst hätten wir die Polizei alarmiert.
Können Sie in solchen Momenten auf die Hilfe von Passanten zählen?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt auch im Milieu anständige und couragierte Menschen. Aber je länger die Nacht und je grösser der Alkoholkonsum, desto kleiner die Bereitschaft von Umstehenden, zu helfen.
Sind Sie von Natur aus mutig?
Nicht besonders. Ich bin eher schüchtern. Es kostet mich Überwindung, mit mir Unbekannten zu telefonieren. Dafür macht es mir nichts aus, nachts alleine unterwegs zu sein oder auch mal gegen den Strom zu schwimmen.
Was ist für Sie Zivilcourage?
Zivilcourage bedeutet für mich Hinstehen und sich für Würde, Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzen. Es kann – wie erwähnt – bedeuten, sich einzumischen und den Mund aufzumachen, auch wenn es brenzlig werden könnte.
Wie reagieren Zuhälter und Barbesitzer?
Sehr unterschiedlich. Manche danken uns für unsere Arbeit, andere klopfen blöde Sprüche. In den Bars und Salons wollen die Besitzer meistens wissen, was wir machen und welche Informationen wir verteilen. Es hilft sicher, dass wir klar als Heilsarmee angeschrieben sind. An den meisten Orten sind wir willkommen. Einzelne verweigern uns den Zutritt. Dort probieren wir es einfach wieder.
Was gibt Ihnen Kraft für diese Arbeit?
Mit Menschen, die gesellschaftlich eher am Rand stehen, ein Stück Weg zu gehen, macht Sinn! Es ist auch nie langweilig und ich lerne viel. Besonders motivierend ist, wenn wir etwas bewirken können, auch wenn es nichts Grossartiges ist.
Zum Beispiel?
Manchmal hilft das Vermitteln einer Fachstelle oder Adresse. Oft können wir im Gespräch Perspektiven aufzeigen oder wir helfen bei der Steuererklärung oder einer Bewerbung.
Wie hilft Ihnen der Glaube?
Jesus selber hat oft Zivilcourage gezeigt. Er scheute sich auch nicht, eine andere Meinung zu haben und sich für Menschen zu wehren. Er hat für mich Vorbildfunktion. Mir hilft auch der Gedanke, dass ich nicht alleine bin, und in schwierigen Situationen habe ich schon manches Stossgebet zum Himmel gesandt.
Ist Zivilcourage lernbar?
Ich glaube schon, dass man das trainieren kann. Einerseits kann ich das Bewusstsein schärfen für Zivilcourage-Situationen; anderseits kann ich das konkrete Handeln trainieren. Wichtig ist, dass ich meine Grenzen kenne und nicht die Heldin spiele.
Wie kann man Anwesende zu Zivilcourage «verknurren»?
Akut ist es immer ratsam, anwesende Personen direkt um Hilfe zu bitten. Zum Beispiel mit der Aufforderung, die Polizei zu alarmieren, das können alle, oder mit der Bitte, sich dazu zu stellen.
RAHAB*
In der Schweiz generiert die Sex-Branche jährlich rund 3,5 Milliarden Franken Umsatz. Ziel der RAHAB-Arbeit der Heilsarmee in Zürich ist die Beratung, Begleitung und Seelsorge von Frauen aus dem Sexgewerbe. Durch regelmässige Präsenz werden freundschaftliche Beziehungen aufgebaut. Die Heilsarmee-Beraterinnen sind jede Woche im Milieu unterwegs und die Anlaufstelle ist eine Nacht pro Woche geöffnet. Auch in Basel und Bern gibt es die RAHAB-Arbeit.
Webseite:
RAHAB
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Datum: 19.09.2016
Autor: Elsbeth Cachelin
Quelle: Trialog